Eine junge Frau blickt nachdenklich in die Ferne
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Jugendforscher Hampel: "Wir haben extrem viele junge Menschen, die angeben, sie haben Angst vor der Altersarmut."

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"AfD bespielt die Sorgen der jungen Menschen"

Zweitstärkste Kraft bei den 16- bis 24-Jährigen: Die einen jubeln, die anderen sind über das Ergebnis der AfD bei der Europawahl geschockt. Gibt es einen Rechtsruck bei Deutschlands Jugend und wenn ja, woher kommt er? Ein Expertengespräch.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Seit dem Ergebnis der Europawahl am vergangenen Wochenende dreht sich viel um die Frage: Warum haben so viele junge Menschen die AfD gewählt? Die Erklärungsansätze reichen von Protestwahl über TikTok bis hin zu einem vermuteten generellen Rechtsruck der deutschen Jugend. Im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) macht Kilian Hampel, Politikwissenschaftler und Jugendforscher an der Universität Konstanz deutlich: Die aktuelle Politik nimmt die Sorgen und Ängste der jungen Menschen zu wenig ernst.

BR24: Haben wir uns in den letzten Jahren Nazis herangezüchtet und keiner hat’s gemerkt?

Kilian Hampel: Nein, das glaube ich nicht. Wir erleben jetzt auch nicht gerade so einen starken Rechtsruck in der Gesellschaft, dass wir Sorge haben müssten, dass nationalsozialistische Tendenzen in der gesamten Jugend vorhanden wären. Was wir gerade haben, ist eine extreme Unzufriedenheit, eine hohe Frustration bei jungen Menschen und die führt gerade dazu, dass sie sich eher der AfD hingezogen fühlen als anderen Parteien, vor allem den regierenden Parteien.

Rechtsextrem? "Das macht mir nicht so viel aus"

BR24: Warum gerade der AfD, hatte das Geheimtreffen von Potsdam und die anderen negativen Schlagzeilen, Stichwort Russlandnähe und mutmaßliche Spione, doch keinen bleibenden Einfluss?

Hampel: Die Ergebnisse der aktuellen Wahl haben gezeigt, dass nicht alle die AfD wählen, aber dass sehr viele mit der aktuellen Regierung sehr stark unzufrieden sind. Jetzt ist es so, die AfD hatte eindeutig Skandale. Wir sehen aber auch deutlich in Umfragen Menschen, die sagen, mir macht das gar nicht so viel aus, dass diese Partei größtenteils rechtsextrem, als gesichert rechtsextrem gilt, mir geht es eher um die Message, die diese Partei vertritt, mir geht es um die Message, die ich damit aussagen möchte. Und die Message ist gerade: Wir sind unzufrieden mit der aktuellen Regierung, wir sind unzufrieden mit unserer persönlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Situation, und wir möchten da etwas verändert bekommen. Und da haben viele junge Menschen derzeit wohl das Gefühl, dass sie das mit der AfD am meisten bekommen.

Im Video: Jugend – Alles Nazis? Possoch klärt!

Junge Menschen zählen täglich ihre Sorgen

BR24: Was fehlt denn der Jugend konkret, wenn Sie sagen, sie ist mit der aktuellen Regierung unzufrieden?

Hampel: Die größten Sorgen bei jungen Menschen sind tatsächlich immer noch wirtschaftliche Sorgen, diese sind durch den Angriffskrieg Russlands gekommen. Dazu kommen andere Probleme, die sich ergeben haben durch die Inflation, durch teure Mieten und junge Menschen wünschen sich darauf Antworten. Manche Möglichkeiten gab’s, für Studierende eine Einmalzahlung, aber viele sagen, es ging nicht weit genug. Sie wünschen sich für die Zukunft bessere Visionen. Wir haben extrem viele junge Menschen, die angeben, sie haben Angst vor der Altersarmut, Angst davor, dass das Rentensystem zusammenbricht, das sind eigentlich Sorgen, die junge Menschen nicht haben sollten. Aber derzeit treibt es viele um und diese Sorgen, die gehen dann in die Richtung, dass man sagt, dann wähle ich jemanden, der mir für diese Sorgen vielleicht direkt eine Lösung präsentiert.

Im Osten noch weniger Neues

BR24: Gibt es dabei Unterschiede zwischen West und Ost?

Hampel: Gerade im Osten sind die Menschen noch frustrierter als im Westen. Sie haben noch mehr das Gefühl, dass die Politik nicht für sie arbeitet, sondern eher gegen sie. In unserer Studie gibt es viele junge Menschen, die auch sagen, dass sie das Gefühl besitzen, dass der Staat sich mehr um Flüchtlinge kümmert als um hilfsbedürftige Deutsche und dieses Narrativ ist auch etwas, das die AfD bespielt.

Und das ist problematisch. Denn da wird das Bild suggeriert, dass der Staat sich überhaupt nicht um die Deutschen kümmert, auch nicht um wirklich um diejenigen kümmert, die wirklich Hilfe brauchen. Und das ist etwas, was auch rechtsextreme Parteien ganz klar bespielen, das ist ganz einfach Populismus.

BR24: Gegen Rechtsextremismus und Populismus sind die Menschen doch zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen

Hampel: Wie wäre denn der Fall, wenn wir diese Demos nicht gehabt hätten? Wären wir dann vielleicht sogar schon bei 25, 30 Prozent AfD-Anteil? Wir sehen im Osten, dass die AfD dort fast gar nicht verloren hat, tatsächlich sogar mit Abstand die stärkste Kraft ist, Stand jetzt eventuell sogar eine Regierung stellen könnte mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht". Darüber wird jetzt die nächsten Wochen sehr, sehr viel diskutiert werden. Wir haben bald die Wahlen im Osten, die gehen ganz Deutschland an.

"AfD erzählt den jungen Menschen, mit mehr Migranten geht’s ihnen schlechter"

BR24: Haben wir uns eventuell auch getäuscht in einer romantischen Verklärung, der einen, jungen Generation: Ein Jugendlicher ist links und woke?

Hampel: Woke muss er nicht unbedingt sein. Was er sein müsste, wäre lebensfroh und zukunftsfroh, weil eigentlich steht das ganze Leben noch bevor. Das ist gerade das Problem, über das die jungen Menschen stolpern, dass sie aus sehr, sehr vielen Krisen kommen, und auch, was die Zukunft angeht, sehr, sehr unsicher sind. Das Gefühl besitzen, meine Rente, die wird eh nicht existieren, die Arbeit, die verändert sich sehr, sehr stark und der Wirtschaft geht es gerade auch sehr schlecht. Dann kommen dann noch vielleicht viele Migranten ins Land, und dann geht es mir vielleicht noch schlechter. Zumindest ist das, was die AfD ihnen erzählt. Und das schürt dann diese Sorgen noch mehr, obwohl man eigentlich genau das Gegenteil bräuchte. Man bräuchte eigentlich einen Frohsinn. Man bräuchte eher eine Zukunftsvision für die nächsten Jahre, um gemeinsam anzupacken und den Problemen zu begegnen.

BR24: Danke für das Gespräch.

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