Einzelne Maßnahmen reichen nicht mehr, um den Verkehrsbereich zurück auf Kurs beim Klimaschutz zu bringen. So sieht es der Expertenrat für Klimafragen, der die Fortschritte der Bundesregierung beim Klimaschutz prüft. Tatsächlich stößt der Verkehr das dritte Jahr in Folge deutlich mehr aus, als er gesetzlich dürfte. Rund 13 Millionen Tonnen CO2 zu viel. Kein anderer Bereich reißt sein Ziel so ungebremst wie der Verkehr. Und schnelle Besserung ist laut Experten nicht in Sicht.
Keine Fahrverbote – ab jetzt wird verrechnet
Daran dürfte auch die Einigung auf eine Novelle des Klimaschutzgesetzes nichts ändern, nur die unmittelbare Verantwortung vom Verkehrsminister nehmen. Das Gesetz hing seit Herbst letzten Jahres im parlamentarischen Verfahren fest. Grüne und FDP kamen nicht zusammen. Am Montagnachmittag, nachdem der Expertenrat seine Prüfung präsentiert hatte, verkündet die FDP: Es werde nun nicht zu Fahrverboten kommen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte die in Aussicht gestellt, sollte die Einigung auf das neue Gesetz nicht kommen und er ein Sofortprogramm vorlegen müssen.
Die größte Neuerung des Gesetzes besagt, dass nicht mehr zunächst das Klimaziel jedes einzelnen Sektors im Vordergrund steht, sondern die Einhaltung des Gesamtziels. Wenn also wie 2023 der Energiesektor mehr einspart als er muss, der Verkehrssektor aber mehr ausstößt als er darf, wird das verrechnet. Und der Verkehrsminister muss keine Sofortmaßnahmen mehr vorlegen, mit denen er die Lücke schließen will.
Expertenrat: Verkehr braucht ein größeres Maßnahmenpaket
Die Klimawissenschaftlerin und Physikerin Brigitte Knopf ist stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats. Sie hatte noch am Vormittag Wissings Fahrverbotsdebatte dem Streit um das Klimaschutzgesetz zugeordnet. Es gehe dabei gar nicht um Maßnahmen, die es wirklich bräuchte. Knopf sagt: Es brauche ein größeres Maßnahmenpaket, um die Lücke beim Verkehr zu schließen.
Zwar sehen die Wissenschaftler positive Ansätze, etwa die CO2-Komponente bei der Lkw-Maut, aber es brauche mehr. Der Expertenrat hatte in der Vergangenheit eingebracht, steuerliche Regelungen etwa zu Dienstwagen zu ändern und den CO2-Preis früher zu erhöhen. Das würde Heizen und Tanken teurer machen.
Massiver Emissionsrückgang 2023
Der Expertenrat für Klimafragen, bestehend aus fünf Wissenschaftlern, überprüft die Umsetzung der selbst gesteckten Regierungsziele beim Klimaschutz. Und auch die Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung ihr Ziel für 2030 erreichen will: 65 Prozent weniger CO2-Ausstoß als 1990.
Das Umweltbundesamt liefert dafür jedes Jahr die Datengrundlage. Und die sah 2023 überraschend gut aus: Rund zehn Prozent weniger Treibhausgasemissionen registrierte das Umweltbundesamt gegenüber dem Vorjahr. Der größte Rückgang seit 1990. Als die Zahlen im März bekannt wurden, freute sich Klimaminister Robert Habeck (Grüne): Man sei auf Kurs, das Klimaziel 2030 könne so erreicht werden.
Verantwortlich ist die wirtschaftliche Lage
Der Expertenrat bestätigt den Rekordrückgang. Und auch die Haupterklärung dafür: Weniger Kohleverstromung. Im vergangenen Jahr sorgte der Energiesektor für 20 Prozent weniger Ausstoß. Allerdings erklären die Experten das mit dem Produktionsrückgang in der energieintensiven Industrie.
Dieser Rückgang und die insgesamt schwache Wirtschaftsleistung hat sich demnach auch im Bereich Verkehr ausgewirkt: Der Güterverkehr auf der Straße nahm ab. Das heißt: Weniger Lkw transportierten weniger Waren. Und zwar so viel weniger, dass der Pkw-Verkehr, der weiter zugenommen hat, die Einsparung nicht ausgleichen konnte.
Unklar, wie es weitergeht
Zweiter Grund für den großen Emissionsrückgang ist das veränderte Heizverhalten, das direkt mit dem milden Winter zu tun hat. Die Experten haben berechnet: Wenn Witterung und Produktion der energieintensiven Industrie sich wie im langjährigen Mittel entwickelt hätten, lägen die Jahresemissionen wohl um rund 74 Millionen Tonnen höher. Damit wäre das Ziel nicht erreicht worden. Der Rückgang von 2023 ist demnach einer, aus dem sich wenig für die Zukunft ablesen lässt. Das widerspricht Habecks optimistischer Einschätzung.
Wenn der Verkehr nicht liefert, könnten EU-Strafzahlungen drohen
Und auf noch einen bisher wenig beachteten Aspekt weist Klimawissenschaftlerin Knopf nach der Einigung gengenüber BR24 hin: Es gebe trotz Einigung auf das neue Gesetz europäische Verpflichtungen, die eingehalten werden müssten. Die sogenannte europäische Lastenteilung hat eigene Ziele festgelegt. "Das betrifft vor allem die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft", sagt Knopf. Hier werde die Zielverfehlung ab 2024 projiziert. Laut Projektionsbericht könnte es um eine Lücke von etwa 130 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 gehen. Es sei wichtig, dass es ein Maßnahmenpaket für den Verkehrssektor gibt. "Sonst könnten Deutschland teure Strafzahlungen drohen."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!