01.05.2022, Hessen, Frankfurt/Main: «Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich» steht auf dem Plakat einer Frau bei der Mai-Kundgebung der Gewerkschaften in Frankfurt am Main.
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Was eine flächendeckende Vier-Tage-Woche für die Wirtschaft bedeuten würde, ist derzeit noch nicht vorherzusagen. (Symbolbild)

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#Faktenfuchs: Was bedeutet eine 4-Tage-Woche für die Wirtschaft?

Verlieren wir durch die Vier-Tage-Woche Wohlstand? Davor warnt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und mahnt auch, dass Firmen deshalb ins Ausland abwandern werden. Was sagen Ökonomen dazu?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Darum geht's:

  • Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) prognostizierte in der BR-Sendung "jetzt red i", eine flächendeckende Umstellung auf eine Vier-Tage-Woche schwäche Deutschland wirtschaftlich.
  • Vereinzelt setzen Unternehmen die Vier-Tage-Woche bereits um. Studien zeigen zwar positive Effekte auf den Umsatz und die Zufriedenheit der Mitarbeiter — erlauben jedoch laut Experten keine gesamtwirtschaftlichen Schlüsse für Deutschland.
  • Ökonomen befürchten, die Produktivität könnte nachlassen. Ob Firmen aus Deutschland abwandern, hängt von vielen Faktoren ab und ist noch schwer abzusehen.

Weniger arbeiten bei gleichem Geld – das verspricht die Vier-Tage-Woche. Für einige klingt das verlockend – andere befürchten, darunter leide die deutsche Wirtschaft. In der BR-Sendung "jetzt red i" warnte etwa der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger davor. Der #Faktenfuchs hat seine Aussage überprüft.

Was bedeutet "Vier-Tage-Woche" und was hat Aiwanger genau gesagt?

Der Begriff Vier-Tage-Woche kann verschiedene Arbeitsmodelle bedeuten:

  • eine Umverteilung der vollen Arbeitszeit auf vier statt fünf Tage
  • eine Kürzung der Arbeitszeit auf vier Tage mit entsprechender Lohnkürzung
  • eine Verkürzung der Arbeitszeit auf vier Tage bei voller Bezahlung

Aiwanger bezog sich bei "jetzt red i" auf die dritte Option: "Wenn wir in die Richtung gehen wollen, viermal acht Stunden statt fünfmal acht Stunden, und für diese 32 Stunden dann dasselbe Gehalt wollen wie vorher für 40 Stunden, dann können sich vielleicht das einige Branchen leisten", sagte Aiwanger. "Aber insgesamt wird Deutschland damit Wettbewerbsfähigkeit verlieren und viele Firmen werden dann eben ins Ausland weggehen. Wir werden Wohlstand verlieren."

Wo gibt es schon eine Vier-Tage-Woche?

Aiwanger spricht über eine mögliche Umstellung in der Zukunft, Arbeitszeitverkürzungen werden jedoch schon seit Jahrzehnten diskutiert. In manchen Ländern werden sie auch schon umgesetzt: Island zum Beispiel führte 2021 eine 35-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt ein. Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Arbeitnehmer verbesserten sich. Auch die Arbeitgeber waren zufrieden.

Belgier haben seit Ende 2022 ein Recht darauf, nur vier Tage zu arbeiten. Die Wochenarbeitszeit von 38 Stunden bleibt allerdings gleich und wird lediglich umverteilt. Heißt: An vier Tagen wird je neuneinhalb Stunden gearbeitet. Allerdings kritisierte die belgische Gewerkschaft FGTB, dass die verlängerte Arbeitszeit die teilnehmenden Arbeitnehmer überlastete. Auch die Kinderbetreuung ließe sich mit den Arbeitszeiten nicht vereinbaren.

Darüber hinaus berichten auch einzelne Unternehmen von Erfolgen bei der Umstellung auf flexiblere Arbeitszeit-Modelle: von Microsoft Japan bis hin zu Unternehmen in Bayern wie dem Heizungs- und Klimatechnikbetrieb Soppart im Passauer Landkreis. Aber weder in Deutschland noch im Ausland wurde eine Vier-Tage-Woche mit nur 32 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit, wie sie Aiwanger erwähnt, von Unternehmen großflächig umgesetzt.

Es gibt aber einzelne Studien, die zeigen, dass es positive Effekte haben kann, wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit bei vollem Gehalt verkürzen konnten — etwa aus Großbritannien. Mitarbeiter dort waren zufriedener und gesünder, der Umsatz stieg im Durchschnitt um 1,4 Prozent, Krankheitstage gingen um zwei Drittel zurück, Bewerberzahlen stiegen.

Diese Studien werden häufig von der neuseeländischen Nichtregierungsorganisation "4 Day Week Global" begleitet, die sich weltweit für die Vier-Tage-Woche einsetzt. In Deutschland läuft seit Februar dieses Jahres eine vergleichbare Studie mit 45 Unternehmen, die "4 Day Week Global" gemeinsam mit dem Berliner Beratungsunternehmen Intraprenör organisiert. Die Universität Münster begleitet das Projekt wissenschaftlich und stellt ab Oktober 2024 die Ergebnisse des sechsmonatigen Projekts vor.

Beide Studien testeten jedoch keine strikte Vier-Tage-Woche. In Großbritannien konnten die teilnehmenden Unternehmen mit ihren Mitarbeitern selbst entscheiden, um wie viel sie die Arbeitszeit verkürzten — etwa die Hälfte entschied sich tatsächlich für eine Vier-Tage-Woche. In Deutschland reduzierten die meisten Unternehmen um zehn Prozent, sie testen also eine 36-Stunden-Woche.

Studien lassen sich nur schwer auf den deutschen Markt übertragen

Keine dieser Studien lässt laut Experten Schlüsse auf die deutsche Wirtschaft zu. Dafür sind sie zeitlich und demografisch zu begrenzt. Laut Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind Studien zur Vier-Tage-Woche meist nicht repräsentativ für den jeweiligen Markt.

So auch die Großbritannien-Studie: Marketing- und IT-Unternehmen sowie andere professionelle Dienstleistungen machten hier 43 Prozent der teilnehmenden Unternehmen aus. Auf dem britischen Markt machen diese jedoch nur etwa 15 Prozent aus, laut einer Statistik des britischen Parlaments. Auch die laufende Studie in Deutschland wird bereits dafür kritisiert, dass die teilnehmenden Industriegruppen nicht die deutsche Wirtschaft widerspiegeln.

Laut Walwei fehlt zudem etwas Entscheidendes bei den Studien: "Was man braucht, ist eine Vergleichsgruppe. Man kann nichts feststellen, ohne dass man eine Referenz hat", so Walwei. Man bräuchte also zwei Unternehmen, die vergleichbar miteinander sind, oder sogar zwei Testgruppen innerhalb desselben Unternehmens, bei denen eine als Kontrollgruppe fungiert. So könne man Unterschiede durch eine Vier-Tage-Woche und Auswirkungen auf die Entwicklung des Unternehmens tatsächlich untersuchen, sagt Walwei.

Oliver Stettes leitet den Bereich Arbeitswelt und Tarifpolitik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Er warnt auch vor dem "Honeymoon-Effekt". Demnach könnte die Produktivität der Unternehmen zwar während der zeitlich begrenzten Studien erst einmal ansteigen, danach jedoch auch wieder abfallen: "Das ist wie als wären Sie einen Sprint gelaufen, aber eigentlich müssen Sie einen Marathon laufen", so Stettes.

Wie misst man die Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand?

Aiwanger spricht bei "jetzt red i" speziell von der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wohlstand in Deutschland.

Der Wohlstand eines Landes wird mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) angegeben, das die Menge und den Wert aller Waren und Dienstleistungen erfasst, die während eines Geschäftsjahres innerhalb eines Landes erwirtschaftet wurden. Wenn dieser Wert von Jahr zu Jahr steigt, sagt man, dass die Wirtschaft und damit der Wohlstand wächst. Darüber hinaus können auch Faktoren wie Gesundheit, Lebenserwartung oder Bildung für einen ganzheitlichen Blick auf den Wohlstand berücksichtigt werden.

Die Wettbewerbsfähigkeit auf betriebswirtschaftlicher Ebene sagt aus, wie gut ein Unternehmen sich gegenüber anderen Unternehmen auf dem Markt behaupten kann. In ähnlicher Weise sagt die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes aus, wie attraktiv der Standort im Vergleich zu anderen Ländern ist. Neben Faktoren wie Produktionsqualität oder rechtlichen Gegebenheiten im Land sind für die Standortattraktivität vor allem Produktionskosten und Preise relevant. Den größten Teil der Produktionskosten machen wiederum die Lohnzahlungen aus: Je mehr Gehalt ein deutsches Unternehmen an seine Mitarbeiter zahlt, desto höher sind in der Regel auch die Preise.

Was bedeutet weniger Arbeitszeit für die Wettbewerbsfähigkeit?

Was passiert nun mit Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand, wenn Arbeitnehmer weniger Stunden arbeiten, aber gleich verdienen? Wenn Mitarbeiter weniger Stunden arbeiten, kann das Unternehmen entweder weniger produzieren und damit verkaufen oder es muss zusätzliches Personal einstellen. Zumindest in der Theorie müssten Unternehmen dann also ihre Preise erhöhen. Und höhere Preise heißen erst einmal weniger Wettbewerbsfähigkeit.

Ob sich die Wettbewerbsfähigkeit in der Praxis jedoch wirklich ändert, "hängt ganz stark von der Marktsituation ab", sagt Almut Balleer, Leiterin des Kompetenzbereichs Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für empirische Makroökonomie an der Technischen Universität Dortmund.

Wenn die Nachfrage stabil ist oder ein Unternehmen wenig Konkurrenz hat, dann kann das Unternehmen die Preise erhöhen, ohne dass sich an den Verkaufszahlen allzu viel ändert. Die Wettbewerbsfähigkeit bleibt also gleich. Ist die Konkurrenz jedoch sehr stark, hat ein Unternehmen meist wenig Spielraum. Schon eine kleine Preissteigerung kann dazu führen, dass weniger Menschen das Produkt kaufen. Wie das Umfeld ist, sei stark von der Branche oder sogar dem jeweiligen Unternehmen abhängig, sagt Balleer. Zudem könnten Unternehmen sich dafür entscheiden, ihre Preise auch bei steigenden Lohnkosten beizubehalten. In dem Fall verringere sich dann ihr Gewinn. Ob die Preise im Falle einer Vier-Tage-Woche steigen, sei also eine Unternehmensentscheidung. Sie kann von Fall zu Fall anders ausfallen.

Was bedeutet weniger Arbeitszeit für den Wohlstand?

Was die Auswirkungen auf den Wohlstand Deutschlands angeht, gehen die Einschätzungen der Experten auseinander. Stettes vom IW sieht die Gefahr, dass weniger Arbeitsstunden zu weniger Wertschöpfung führen, wodurch das BIP eines Landes sinken kann. Also "werden wir ärmer werden, weil wir weniger Wohlstand erwirtschaften, weil wir weniger Arbeitsstunden einsetzen", sagt Stettes.

Almut Balleer vom RWI — Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hingegen hält diese Rechnung für unvollständig: Denn sie "blendet sehr viele Aspekte aus, die man mit berücksichtigen muss." Dazu zählten etwa die Produktivität des Unternehmens oder der Mitarbeiter, das Arbeitsangebot und das Wettbewerbsumfeld, sowie die Preise und die Nachfrage. Es könne sein, dass das BIP sinkt, aber das könne auch an den anderen Faktoren liegen und nicht an der Reduzierung der Arbeitszeit. Etwa an verstärkter Konkurrenz im Ausland oder geringerer Nachfrage im Inland, bedingt durch beispielsweise steigende Energiepreise, Inflation oder auch Krisenzeiten und Kriege.

Laut Balleer ist es im Moment zu früh, zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Wohlstand bei einer flächendeckenden Vier-Tage-Woche etwas Definitives zu sagen, auch weil ein direkter Zusammenhang zur Arbeitszeit nur schwer empirisch messbar sei.

Es sei auch eine Definitionsfrage. Wohlstand wird in der Regel über das BIP gemessen, kann jedoch auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet werden, sagt Balleer: "Volkswirte definieren Wohlstand im wörtlichen Sinne: Wie gut geht es uns eigentlich?" Dafür werden etwa Freizeit, Gesundheit, Lebenserwartung, und Chancengleichheit einer Bevölkerung betrachtet — eine Messung, die seit 2022 auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz anhand von über 30 ökonomischen, ökologischen und sozialen Wohlstandsindikatoren durchführt.

Aus dieser Perspektive betrachtet, führe eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Gehalt zu mehr Wohlstand. Wenn man etwa Freizeit und Einkommen betrachte, sei klar, "dass gleiches Einkommen bei weniger Arbeitszeit den Wohlstand steigert", so Balleer.

Knackpunkt Produktivität: Können wir weniger arbeiten, bei gleichem Output?

Betriebswirtschaftlich gesehen ist die Vier-Tage-Woche nur dann profitabel, wenn die Produktivität der Mitarbeiter insgesamt gleich bleibt oder sich sogar bessert — und Unternehmen in Deutschland weiterhin genauso viel oder sogar mehr produzieren und die gleiche Qualität an Dienstleistungen anbieten können. Bei der Frage, wie realistisch es ist, die Produktivität beizubehalten, sind sich Experten nicht einig.

Bei einer Reduzierung um einen vollen Arbeitstag braucht es laut Walwei vom IAB "rein rechnerisch eine 25-prozentige Erhöhung der Arbeitsproduktivität". Realistisch seien laut befragten Unternehmen zum jetzigen Stand und in den jetzigen Arbeitsmodellen ein oder zwei Prozent, sagt Walwei. Das heißt, es könnte mehr als 20 Jahre dauern, um wieder so produktiv zu sein wie jetzt. Laut Stettes stagniert die Produktivitätsentwicklung zudem seit 30 Jahren. Zwischen 2010 und 2020 habe sie unter einem Prozent gelegen.

In der Praxis sehe es jedoch anders aus, sagt Eike Windscheid-Profeta von der Hans-Böckler-Stiftung, die zu Arbeitszeitverkürzungen forscht und zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehört. "Das kann man rechnen, aber es ist natürlich Quatsch, weil Arbeitszeit nicht 1:1 Produktivität entspricht." Durch Umstrukturierung des Arbeitsalltags könne man Zeitfresser eliminieren und Prozesse digitalisieren. Meetings könnten reduziert und effektiver gestaltet sein, und Arbeitnehmer Zeiten geschaffen werden, in denen sie ungestört über längere Zeit konzentriert arbeiten können.

Das Problem mit den Branchen

Arbeitsprozesse auf diese Art zu verschlanken und zu optimieren, ist jedoch vor allem für Jobs relevant, die in Büros stattfinden. Da sind sich alle vom #Faktenfuchs befragten Experten einig. Wie Aiwanger auch in der Sendung sagte, ist eine Arbeitszeitverkürzung sehr unterschiedlich umsetzbar und es ist richtig, dass nicht alle Branchen gleich schnell oder einfach eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Einbußen umsetzen können. Leichter hätten es laut Walwei vom IAB vor allem Geschäftsmodelle mit kreativen Dienstleistungen, also Unternehmen, "bei denen es weniger um Präsenz geht" sowie Dienstleistungen, bei denen es "weniger um den Preis geht als vielmehr um die Qualität".

Schwieriger sei es hingegen in Berufen, die Präsenz erfordern, etwa Fahrdienstleistungen wie Bus und Bahn, im Lehr- und Pflegebereich, aber auch in der Industrie, etwa bei maschineller Arbeit. Dort könne man die Arbeitsabläufe nicht so einfach anpassen, um die Arbeit anderweitig nachzuholen, sondern es müssten mehr Menschen eingestellt werden, die die Schichten übernehmen. Die Möglichkeiten, "da Produktivitätsfortschritte zu erzielen, sind überschaubar", sagt Stettes.

Was die fehlende Produktivität in diesen Berufen ausgleichen könnte, sind laut Balleer weniger Fehltage aufgrund von Überarbeitung und Krankheiten. "Da hat man zwar keine Produktivitätssteigerung, aber man hat vielleicht nicht ganz die extremen Einbußen, wenn Leute weniger krank sind, mehr motiviert sind", so Balleer. Insgesamt könne das Arbeitsvolumen so gleich bleiben. Ob das so eintreten würde, sei aber noch unklar.

Die Vier-Tage-Woche und der Fachkräftemangel

Ob und wo mehr Arbeiter benötigt werden, ist eine zentrale Frage in der Diskussion um die Vier-Tage-Woche, wie auch in Deutschland allgemein. Wie der #Faktenfuchs in der Vergangenheit berichtete, gibt es zwar in Deutschland bisher keinen flächendeckenden Fachkräftemangel, allerdings bestehen Engpässe in bestimmten Branchen. Auch hier gehen die Meinungen der Experten auseinander, ob eine Verkürzung der Arbeitszeit diese verschlimmern oder ihnen entgegenwirken würde.

Laut Windscheid-Profeta von der Hans-Böckler-Stiftung schafft eine Vier-Tage-Woche bessere Arbeitsbedingungen, was es mehr Menschen ermöglicht, wieder einzusteigen oder mehr zu arbeiten. Die Studie "Ich pflege wieder, wenn ..." von Mai 2022 der Stiftung zeigte beispielsweise, dass mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte wieder zur Verfügung stünden, sofern sich die Arbeitsbedingungen verbesserten.

Viele Menschen seien aus Belastungsgründen aus dem Job rausgegangen, sind aber grundsätzlich noch da, sagt Windscheid-Profeta, der das Projekt begleitete. "Sie brauchen nur bessere Arbeitsbedingungen, um wieder zurückzukommen."

Stettes hält das Potenzial jedoch für begrenzt, da die Arbeitslosenquote in Deutschland sehr niedrig ist. Laut der Bundesagentur für Arbeit liegt sie deutschlandweit bei 5,8 Prozent, in Bayern sogar nur bei 3,5 Prozent (Mai 2024).

Menschen seien aber nicht unbedingt arbeitslos, nur weil sie gerade nicht in Engpass-Jobs tätig sind. Gehen sie also wieder in Jobs in der Pflege, etwa aufgrund verbesserter Bedingungen, fehlten sie in anderen Bereichen. "Gesamtwirtschaftlich haben wir ja nur eine begrenzte Anzahl von Köpfen", so Stettes. Bessere Arbeitsbedingungen aufgrund von weniger Arbeitsstunden könnten jedoch dabei helfen, qualifizierte ausländische Arbeiter anzuziehen.

Verlieren wir also Firmen?

Wie genau sich Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand entwickeln würden bei weniger Arbeitszeit, lässt sich aktuell nur bedingt feststellen. Risiken gibt es. Ob das aber dazu führt, dass Firmen Deutschland verlassen werden, da ist Walwei vom IAB vorsichtig.

Arbeitszeitverkürzungen bei gleichem Gehalt funktionierten in einzelnen Unternehmen bisher gut. "Also, da sehe ich diese Effekte nicht", so Walwei. Sollte Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit über lange Zeit stark sinken, weil Unternehmen höhere Preise verlangen müssen, könnte sich dies aber ändern, weswegen das Argument von Hubert Aiwanger ernst zu nehmen sei. "Aber es ist jetzt noch viel zu früh, da eine abschließende Meinung zu finden", so Walwei.

Laut Balleer vom RWI — Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung würde sich der Markt selbst regeln, bevor Firmen in großem Maße abwanderten. "Es ist ja nicht so, dass das jetzt der Staat entscheidet und dann müssen alle mit den Konsequenzen leben", so Balleer. Stattdessen sei eine Arbeitszeitverkürzung ein Ergebnis verschiedener wirtschaftlicher Abwägungen: "Es gibt Arbeitnehmer, die bessere Bedingungen wollen und Unternehmen, die sagen, das geht oder das geht nicht." Eine Vier-Tage-Woche ist kein "von außen auferlegtes Modell, was dann den ganzen Standort gefährdet", sondern wäre ein Ergebnis von Lohnverhandlungen, so Balleer.

Fazit

Zwar gibt es bereits einzelne Unternehmen, die auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt haben, auch als Teil von Studien. Aus ihren Erfahrungen lassen sich aber keine Schlüsse für die gesamte deutsche Wirtschaft ziehen. Außerdem spielt die Branche eine große Rolle: In einigen Berufen lässt sich eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Gehalt gut umsetzen, da Prozesse angepasst werden können und die Produktivität gleich bleiben kann.

In anderen Branchen ist dies nicht der Fall. Insgesamt sind sich Ökonomen einig, dass bei weniger Arbeitsstunden das Risiko besteht, dass die Produktivität sinkt und entsprechend die Produktionskosten in Deutschland steigen. Dass Firmen im großen Stil abwandern, ist laut Experten noch nicht absehbar.

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