Eine Pflegerin versorgt in der Intensivstation des Luisenhospitals einen Coronapatienten.
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#Faktenfuchs: Werden Corona-Intensivpatienten immer jünger?

#Faktenfuchs: Werden Corona-Intensivpatienten immer jünger?

Intensivmediziner berichten von immer jüngeren Patienten während der dritten Corona-Welle. Statistisch lässt sich das aber noch nicht belegen, recherchierte der #Faktenfuchs.

Die Lage auf den Intensivstationen gilt als wichtiger Faktor in der Corona-Politik. In der aktuellen Debatte geht es aber nicht mehr nur darum, wie viele Menschen mit Covid-19 intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Auch über das “Wer” und das “Wie alt” wird inzwischen diskutiert.

Dazu erreichten den #Faktenfuchs verschiedene Fragen von Usern.

Lauterbach: Durchschnittsalter auf Intensivstationen 47 bis 48 Jahre

User stellten außerdem die Frage, ob die Patienten auf Intensivstationen immer jünger werden. Sie verwiesen auf eine Behauptung des SPD-Politikers Lauterbach, der in der Talk-Show “Maybrit Illner” über Corona-Patienten sagte: “Diejenigen die jetzt auf der Intensivstation behandelt werden, die sind im Durchschnitt etwa 47 bis 48 Jahre alt. Das sind Menschen mitten im Leben.”

Die User wurden auch deshalb stutzig, weil bis dahin in den Medien meist von einem deutlich höheren Durchschnittsalter der Corona-Intensivpatienten die Rede war. Der #Faktenfuchs hat überprüft, was an Lauterbachs Äußerung dran ist.

Werden mehr Jüngere auf Intensivstationen behandelt?

Tatsächlich lässt sich Lauterbachs Aussage zum aktuellen Zeitpunkt statistisch nicht belegen. Bisher liegen bloß Daten zur ersten und zweiten Corona-Welle vor. Laut einer Auswertung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) lag der Altersdurchschnitt der Corona-Patienten auf der Intensivstation während der ersten und zweiten Welle bei 68 Jahren.

Für die dritte Welle gebe es noch keine vergleichbaren Daten, sagte der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters Christian Karagiannidis in einem DIVI-Video. Was es gibt, sind Daten des Robert Koch-Instituts zum Altersdurchschnitt Mitte April (Kalenderwoche 16): In dieser Woche waren Corona-Intensivpatienten durchschnittlich 64 Jahre alt. Das widerspricht Lauterbachs Aussage. Die DIVI selbst legte Anfang Mai eine Auswertung der Daten aus einer Umfrage in Krankenhäusern vor. Die Kliniken konnten freiwillig Angaben zum Alter der Intensivpatienten machen, sodass Zahlen für 91 Prozent der Covid-Intensivpatienten vorliegen. Auch aus diesen Daten lässt sich ein mittleres Alter von 60-69 ablesen.

Karagiannidis erwähnt im Video auch Berichte aus einzelnen Kliniken. Einen davon liefert der Leiter der Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg, Stefan John. Im Thema des Tages von B5 berichtete er von einer ähnlichen Beobachtung.

Keine Daten für die dritte Corona-Welle

“Was wir im Moment sagen können ist, dass ein Großteil der über 80-Jährigen geimpft ist und wir weniger dieser Patienten auf der Intensivstation sehen”, sagte Karagiannidis in dem Video. Aber auch 2020 hätten über 80-Jährige mit einem Anteil von maximal 25 Prozent nicht den Großteil der Corona-Patienten auf Intensivstationen ausgemacht.

Die Initiative für Qualitätsmedizin (IQM) wertete Abrechnungsdaten von insgesamt 310 IQM-Mitgliedskrankenhäusern in Deutschland aus - unter anderem hinsichtlich des Alters. Sie bestätigen die Zahlen der DIVI. Intensivpatienten seien durchschnittlich um die 70, sagte Ralf Kuhlen, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der IQM und Geschäftsführer Medizin der Helios-Kliniken, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Doch auch diese Zahlen stammen aus Analysen der Patientendaten zur zweiten Corona-Welle. Zur dritten Welle gibt es aktuell noch keine vergleichbaren Zahlen, bestätigt Kuhlen.

Die Daten seien außerdem schwierig auszuwerten, warnt der Mediziner, da die zweite und dritte Corona-Welle ineinander übergingen. Dadurch sei nicht eindeutig, wann die zweite Welle endete und die dritte Welle anfing.

Hinzu kommt: Die IQM orientiert sich bei ihrer Analyse laut Kuhlen am Entlassungsdatum. Erst dann sei klar, wie viel Zeit ein Patient auf der Intensivstation verbracht hat - und ob er schon seit der zweiten Welle dort behandelt wird. Das bedeutet: Schaut man sich die Zahlen der aktuellen Kalenderwoche an, dann fehlen dort alle diejenigen Intensivpatienten, die aktuell noch behandelt werden.

Lauterbach bezog sich auf persönliche Schätzung, keine Statistik

Auf Anfrage erklärte Karl Lauterbach, bei seinem Verweis auf ein Durchschnittsalter von 47 bis 48 Jahren habe es sich um eine persönliche Schätzung gehandelt. Er sei inoffiziell in Kontakt mit Intensivmedizinern und sei auch selbst auf mehreren Intensivstationen gewesen, um sich sein eigenes Bild zu machen. “Was ich damit ausdrücken wollte, ist, dass es Berufstätige sind”, sagte er dem #Faktenfuchs. “Ich hätte dazu sagen müssen, dass es keine Statistik gibt.”

Lauterbachs Eindruck, dass es sich um Berufstätige handele, bestätigte DIVI-Leiter Karagiannidis für die Intensivstation im Klinikum Köln-Meresheim, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. Mit seinen Prognosen ist der SPD-Politiker in der Corona-Pandemie sehr präsent. Welche sich davon als wahr herausgestellt haben, hat der #Faktenfuchs hier überprüft.

Impfeffekt oder andere Therapieentscheidungen als Grund für Beobachtungen?

Ralf Kuhlen von der IQM hat drei Theorien für die von Intensivmedizinern beobachtete Entwicklung. Zum einen wäre es möglich, dass mittlerweile ein Impfeffekt bei Älteren spürbar sei. Zum anderen könne es sein, wie in aktuellen Hypothesen angenommen, dass die britische Virusvariante bei Jüngeren zu einer schwereren Erkrankung führe.

Und es gebe noch eine andere Möglichkeit: Intensivmediziner hätten dazugelernt bei der Behandlung von Covid-19-Erkrankungen. Zu Anfang der Pandemie hätten sie - im Eindruck der Bilder aus New York und Norditalien - eher dazu geneigt, alle verfügbaren intensivmedizinischen Maßnahmen zu nutzen. “Es machen aber nicht immer alle Maßnahmen für jeden Patienten Sinn. ” Die Wahrscheinlichkeit, dass über 80-Jährige während der Beatmung versterben ist hoch, laut einer Studie liegt sie bei circa 72 Prozent. Die dritte Möglichkeit wäre damit: Mittlerweile liegen mehr jüngere Menschen auf der Intensivstation, weil bei ihnen eher die Entscheidung für eine intensivmedizinische Behandlung getroffen werde, als bei einem über 80-Jährigen, so Kuhlen.

Fazit

Karl Lauterbach behauptete bei “Maybrit Illner”, auf den Intensivstationen seien Patienten im Durchschnitt 47 bis 48 Jahre alt. Das lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht belegen. Für die dritte Corona-Welle liegen noch keine vergleichbaren Daten vor. Auswertungen aus der ersten und zweiten Welle benannten ein Durchschnittsalter von 68 Jahren.

Auf Nachfrage erklärte Lauterbach, es habe sich dabei um eine persönliche Einschätzung gehandelt. Er habe sich nicht auf eine Statistik bezogen. Ralf Kuhlen von der IQM hat verschiedene Theorien, wieso Intensivmediziner jetzt von jüngeren Menschen berichten: zum Beispiel ein spürbarer Impfeffekt bei Älteren oder veränderte Therapieentscheidungen.

12.05.2021, 18:40 Uhr: Der Text wurde mit den aktuellsten Daten von RKI und DIVI zur Altersstruktur von Corona-Patienten auf Intensivstationen ergänzt.

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