EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will nach der Ankunft Tausender Migranten auf der kleinen Mittelmeerinsel Lampedusa noch an diesem Samstag nach Italien reisen. Seit Montag haben mehrere Tausend Bootsmigranten die kleine Insel zwischen Sizilien und Nordafrika erreicht. Die rechtsgerichtete italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verlangt drastische Maßnahmen von der EU.
Zwei tote Säuglinge innerhalb einer Woche
Derweil hat die italienische Küstenwache auf einem Migrantenboot vor der Küste Lampedusas ein totes Neugeborenes entdeckt. Das Boot sei auf die Insel zugesteuert, meldete die italienische Nachrichtenagentur Ansa am Samstag. Bei dem Rettungseinsatz sei das tote Baby gefunden worden. Es sei während der Fahrt über das Mittelmeer zur Welt gekommen und kurz nach der Geburt gestorben. In dieser Woche war bereits ein fünf Monate alter Junge während einer Rettungsaktion vor Lampedusa ertrunken, nachdem ein aus Nordafrika kommendes Boot mit Migranten an Bord gekentert war.
Immer mehr Flüchtlinge: Solidaritätsmechanismus scheitert
Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Der Stadtrat der Insel rief am Mittwoch angesichts der angespannten Lage den Notstand aus.
Über den freiwilligen Solidaritätsmechanismus wollten mehrere europäische Länder wie Deutschland in dieser Situation eigentlich unterstützen. Doch die Bundesrepublik weigert sich aktuell, noch mehr Menschen aufzunehmen. Die Gründe sind vielschichtig. In diesem Jahr sind fast 126.000 Migranten illegal nach Italien eingereist, fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. Die Kapazitäten des Mechanismus dürften längst ausgeschöpft sein.
Lässt Meloni die Situation absichtlich eskalieren?
Derzeit würden keine Interviews zur Vorbereitung von weiteren Übernahmen aus Italien stattfinden, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag. Es gebe noch einige Migranten, die das Verfahren bereits durchlaufen hätten und übernommen würden. Die Interviews zur Vorbereitung von Übernahmen könnten allerdings "jederzeit wieder aufgenommen" werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Freitag der ARD gesagt, das freiwillige Aufnahme-Verfahren sei ausgesetzt worden, "weil Italien keinerlei Bereitschaft gezeigt hat, im Wege des Dublin-Verfahrens Leute zurückzunehmen". Faeser sieht zunächst Italien in der Verantwortung. Lässt Italiens Ministerpräsidentin Meloni die Situation aus politischem Kalkül eskalieren?
Meloni fordert europäische Marinemission - von der Leyen kommt
Die Rechtspolitikerin fordert eine europäische Mission, um Migrantenboote auf dem Weg nach Europa zu stoppen. Wenn nötig, müsse die Marine sofort eingesetzt werden, sagte Meloni in einer Videobotschaft am Freitagabend. Nach ihrer Vorstellung sollen die Menschen bereits in Nordafrika vom Ablegen abgehalten werden. Europäische Marineschiffe, die Flüchtlinge an Land zurückdrängen – solche potenziellen Bilder erscheinen unwahrscheinlich.
"Um sich persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen" hat Meloni EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Lampedusa eingeladen. Am Samstag sagte ein Sprecher von der Leyens der Nachrichtenagentur dpa am Rande einer Veranstaltung in Hanau, die Kommissionschefin werde am Samstag zunächst nach Rom reisen und von dort aus am Sonntag mit Meloni weiter nach Lampedusa.
Migrationsdeal mit Tunesien: Ergebnisse lassen auf sich warten
Meloni sieht die EU in der Pflicht, Italien zu unterstützen. Sie habe deswegen den Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, gebeten, das Migrationsthema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels im Oktober zu setzen. Die Regierungschefin betonte die Wichtigkeit des geplanten Abkommens mit Tunesien. Die vereinbarten finanziellen Mittel müssen nach ihren Worten schnellstmöglich übertragen werden, um den Deal zu beschleunigen. Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa.
Vor zwei Monaten hatte die EU-Kommission einen Deal mit nordafrikanischen Land ausgehandelt. Im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren. Unter dem Strich stehen aber aktuell trotzdem steigende Flüchtlingszahlen aus Richtung Tunesien.
Mit Informationen von dpa und Reuters
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