Gerhart Baum (Aufnahme vom 11.6.2023)
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Früherer Innenminister Gerhart Baum gestorben

Früherer Innenminister Gerhart Baum gestorben

Der frühere Innenminister Gerhart Baum ist tot. Der FDP-Politiker starb im Alter von 92 Jahren. Über Jahrzehnte hatte sich Baum einen Namen gemacht als leidenschaftlicher Linksliberaler und als Mahner gegen Ungerechtigkeiten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum ist tot. Das bestätigte seine Frau der ARD. Baum wurde 92 Jahre alt. Von 1978 bis 1982 war er Bundesinnenminister unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Bis 1994 saß Baum im Bundestag.

Scholz über Baum: Hat sich um Deutschland verdient gemacht

"Mit tiefer Trauer und großem Respekt nehmen wir Abschied von Gerhart Baum, einem herausragenden Liberalen unserer Zeit", erklärte der Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP, Henning Höne, am Samstag in Düsseldorf. "Sein Engagement für Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrung der Grundrechte hat Generationen geprägt und unsere Partei nachhaltig beeinflusst."

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte Baum als "großen Liberalen und engagierten Demokraten". "Bis zuletzt hat er sich klug zu Wort gemeldet und sich um Deutschland verdient gemacht", erklärte Scholz am Samstag auf der Internetplattform X und ergänzte: "Meine Gedanken sind bei seinen Angehörigen und Freunden."

FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete Baum als einen großen Verfechter von Freiheit und Bürgerrechten. "Mit Gerhart Baum haben unser Land und die Freien Demokraten eine der kräftigsten Stimmen für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie verloren", teilte Lindner mit. "Er war eine unabhängige Persönlichkeit mit kritischem Urteil, die unsere liberale Familie gestärkt hat." Die Freien Demokraten seien Baum zu großem Dank verpflichtet. "Sein Rat und sein kritischer Blick werden uns fehlen."

Kriegskind und streitbarer Liberaler

Gerhart Baum wurde 1932 in Dresden geboren. Der Vater kam in sowjetischer Kriegsgefangenschaft um. 1945 flüchtete seine Mutter mit ihm an den Rhein, wo er später als Klassenbester das Abitur ablegte. Sein ganzes Leben lang haben Baum die Eindrücke bewegt, die er im Alter von 13 Jahren bei der völligen Zerstörung Dresdens durch Kriegsbomben ertragen musste. "Das ist ein Trauma, und für mich ist Dresden der Krieg an sich", so Baum.

Baum studierte Jura und engagierte sich beim Jugendverband Jungdemokraten und in der FDP. Eines war für ihn stets besonders wichtig: So etwas wie den Nationalsozialismus sollte es nie wieder geben. Als Wurzel allen Übels machte Baum vor allem die Beschneidung der persönlichen Freiheitsrechte unter dem NS-Regime aus. Deshalb setzte er sich Zeit seines Lebens immer dafür ein, dass der Staat die Rechte der oder des Einzelnen so wenig wie möglich beschneidet. Baum machte sich einen Namen als streitbarer Liberaler, der eher zur Sozialdemokratie als zu CDU als Partner tendierte.

Baum gehörte neben seinem im März 2020 gestorbenen Freund Burkhard Hirsch zur zuletzt kleinen Gruppe sozialliberaler FDP-Mitglieder, die sich zusammen mit Hildegard Hamm-Brücher und dann auch mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Freiburger Kreis zusammenschlossen. Das bedeutete quasi linksliberale Opposition in der eigenen Partei.

Bildergalerie: Das Leben des Gerhart Baum

Gegen Datensammelwut und Sicherheitswahn

Es war die Initiative des ehemaligen FDP-Chefs Hans-Dietrich Genscher, ihn aktiv in die Bundespolitik einzubinden, zunächst als Staatssekretär, dann als Bundesinnenminister. In dieser Funktion versuchte Baum in den 1970er-Jahren zwischen dem Staat und den Terroristen der RAF zu vermitteln. "Nach jedem Anschlag wurde gesagt, wir müssen sicherheitspolitisch aufrüsten. In dem Irrglauben, man könne durch Strafverschärfung Taten wirksam bekämpfen, das hat damals richtig begonnen und sich fortgesetzt in den Jahrzehnten danach", sagte Baum. Er hielt dagegen. Er entschärfte den Radikalenerlass und er bekämpfte die – wie er es nennt – Datensammelwut und den Sicherheitswahn des Gesetzgebers.

Baum war Liberaler aus Leidenschaft, dem seine eigene Partei auch Leidensfähigkeit abverlangte – etwa als die FDP 1982 die sozialliberale Koalition platzen ließ und Helmut Kohl (CDU) zur Kanzlerschaft verhalf. Baum beteiligte sich nicht am Misstrauensvotum gegen Kanzler Schmidt und übernahm in der Koalition mit der CDU kein Ministeramt mehr. Aus linksliberaler Überzeugung, so Baum.

Der Kampf gegen gesellschaftliche Missstände

Nach seiner politischen Karriere kämpfte er als Rechtsanwalt weiter: für die Opfer der Loveparade-Katastrophe in Duisburg oder von Flugzeugabstürzen. Mit fast 90 stellte Baum Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen Wladimir Putin und dessen Mordhelfer in der Ukraine.

Baum erhob bis zuletzt seine Stimme gegen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft. Die Titel seiner Bücher spiegeln seine Agenda: Freiheit, Menschenrechte, Grundrechte. "Mir geht es immer darum, dass man fragt, gibt es für Missstände gesellschaftliche Ursachen? Müssen wir nicht diese zunächst aufbohren und sichtbar machen? Was veranlasst einen jungen Menschen, sich im Nahen Osten einer Terrorgruppe anzuschließen? Dem möchte ich nachspüren oder was veranlasst einen jungen Menschen der Sächsischen Schweiz für die NPD Demokraten zu verprügeln", so Baum.

Entsetzen über Wahlerfolge der AfD

In der Öffentlichkeit setzte Baum bis zuletzt Akzente. Soziale und innere Sicherheit seien in Gefahr, mahnte er. Es gebe immer größere Zukunftsängste in der Bevölkerung. Entsetzt äußerte sich Baum zu Wahlerfolgen der AfD, einer Partei, die aus seiner Sicht die Freiheit abschaffen wolle. Baum plädierte leidenschaftlich für das, was er sozialen Liberalismus nannte, in Abgrenzung zum neoliberalen Flügel seiner Partei. In Gesprächen erklärte Baum, er habe darunter gelitten, dass das soziale und freiheitliche in seiner Partei immer stärker zurückgedrängt wurde.

Rechtzeitig vor dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats von München vermittelte er eine Einigung zwischen den Familien der getöteten israelischen Sportler und der Bundesregierung. Mehr Zeitgeschichte geht nicht.

Gerhart Baum hinterlässt seine Ehefrau und drei Kinder.

Zum Nachhören: Gerhart Baum 2022 zu Gast bei "Eins zu Eins. Der Talk"

Gerhart Baum
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Rolf Vennenbernd
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Gerhart Baum

Mit Informationen von dpa und AFP

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