Archiv: Robert Habeck, Annalena Baerbock und Olaf Scholz vor einer Kabinettssitzung
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Gaza-Krieg: Wie erklärt die Bundesregierung ihre Position?

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Gaza-Krieg: Wie erklärt die Bundesregierung ihre Position?

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock versucht, die deutsche Position zum Krieg in Gaza zu erklären – und wird niedergebrüllt. An deutschen Unis werden Proteste gegen Israels Vorgehen gegen die Hamas lauter. Wie geht die Regierung damit um?

Der Mann mit Baseballcap fragt Annalena Baerbock: "Haben wir gelernt aus unserer Geschichte?" Die Antwort der deutschen Außenministerin wartet er nicht ab. "Anscheinend nicht!", schreit er hinterher. Baerbock blickt auf die Spruchbänder: "Deutsche Staatsräson = Völkermord" und "Stoppt die Waffenexporte nach Israel".

Der Bürgerdialog zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes am vergangenen Sonntag ist für die deutsche Außenministerin eine Herausforderung. Sie muss erklären, wie Deutschland zum Krieg im Gaza-Streifen steht – angesichts von etwa 36.000 Toten. Diese Zahl nennt die Gesundheitsbehörde in Gaza.

Störer fordern Baerbock heraus

Baerbock erinnert in ruhigem Ton an den brutalen Überfall der Hamas-Terroristen am 7. Oktober, an die Vergewaltigungen, an das Schicksal der verschleppten Geiseln. Zwischenrufe unterbrechen sie. Nach einigen Minuten ist ihre Geduld aufgebraucht. "So kann man keine Kinder in Gaza retten. Jetzt werde ich auch mal emotional", sagt die Grünen-Politikerin.

Die Szene vom Demokratiefest in Berlin steht stellvertretend für die Frage: Gelingt es der Bundesregierung noch, ihre Position zum Krieg in Gaza deutlich zu machen?

Solidarität und Selbstverteidigung

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat die Bundesregierung keinen Zweifel gelassen, wo sie steht: an der Seite Israels. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Ministerinnen und Minister versichern ihre Solidarität mit Israel, sorgen mit für eine internationale Verurteilung des Hamas-Terrors und genehmigen mehr Rüstungsexporte.

Bei einer Abstimmung der UN-Vollversammlung Ende Oktober 2023 enthält sich Deutschland, weil die Hamas als Auslöser des Krieges nicht genannt wird. Kein Statement kommt in dieser Zeit ohne die Formel aus, dass Israel das Recht habe, sich gegen den Angriff der Hamas zu verteidigen.

Zweifel an Verhältnismäßigkeit wachsen

Je länger die Kämpfe der israelischen Armee im Gaza-Streifen aber andauern und je mehr Zivilistinnen und Zivilisten ihnen zum Opfer fallen, desto lauter werden die Zweifel, ob das israelische Vorgehen noch verhältnismäßig ist.

Die Bundesregierung äußert diese Zweifel zuerst nur in Andeutungen. Bei vielen Regierungen weltweit stößt das auf Unverständnis. Später werden Baerbock und Co. deutlicher. Israels Recht auf Selbstverteidigung wird von Regierungsmitgliedern jetzt immer mit einem einschränkenden Zusatz versehen: "Im Rahmen des Völkerrechts."

Im Februar warnt Außenministerin Baerbock vor einer Offensive auf die Stadt Rafah im Süden des Gaza-Streifens. Die Menschen dort könnten sich nicht in Luft auflösen. Im März ruft sie im Bundestag dazu auf, beide Seiten nicht aus dem Blick zu verlieren. Wörtlich sagt sie: "Unser Standard ist das Recht." Genau das könnte jetzt zu einem Dilemma werden für die Bundesregierung.

Haftbefehl gegen Netanjahu? – Dilemma für Deutschland

Vergangene Woche hat der Internationale Gerichtshof entschieden, dass Israel seine Offensive in Rafah sofort stoppen muss. Die Eilentscheidung ist völkerrechtlich bindend. Allerdings hat der Gerichtshof keine eigenen Möglichkeiten, das Urteil durchzusetzen.

Dazu kommt eine zweite rechtliche Auseinandersetzung. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat Haftbefehle beantragt gegen Hamas-Anführer sowie den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joav Gallant. Sollte das Gericht die Haftbefehle erlassen, wäre die Bundesregierung dazu verpflichtet, sie in Deutschland zu vollstrecken.

Doch ist das denkbar? Deutschland, das Land, von dem die Massenvernichtung der Juden ausging, verhaftet den israelischen Ministerpräsidenten?

Bundesregierung weicht aus

Die Bundesregierung weicht bisher allen Fragen danach aus. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verweist darauf, dass einige von ihnen noch laufen. Über die Haftbefehle ist noch nicht entschieden. Hebestreit erinnert daran, dass die Hamas am vergangenen Wochenende wieder Raketen auf Israel abgefeuert hat. Und dass die Terrororganisation immer noch viele israelische Geiseln in ihrer Gewalt hat.

Eine Sprecherin von Außenministerin Baerbock unterstreicht, dass der Bundesregierung die Einhaltung des Völkerrechts wichtig ist und die internationalen Gerichte zentrale Pfeiler der internationalen Ordnung sind.

Deutlicher wird Vizekanzler Robert Habeck. Wie der Grünen-Politiker beim Demokratiefest in Berlin sagt, sind die Hungersnot, das Leid der palästinensischen Bevölkerung und die Angriffe im Gaza-Streifen nicht mit dem Völkerrecht vereinbar.

Israels Vorgehen gerät zunehmend in Kritik

Was die Menschen in Deutschland denken, haben die Meinungsforscher von infratest-dimap zuletzt im März gefragt. Im ARD-Deutschlandtrend machten fast drei Viertel der Befragten die Hamas verantwortlich für die Lage der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen. Mit mehr als 60 Prozent wies aber eine wachsende Zahl ebenso Israel eine Verantwortung hierfür zu. Jeder Zweite antwortete, dass Israels militärische Reaktion auf den Angriff der Hamas zu weit gehe.

Für die Bundesregierung bedeutet das, weiter viel erklären zu müssen. So wie beim Demokratiefest. Dort sagt Außenministerin Baerbock, ihre Aufgabe sei es, mit beiden Seiten zu reden: "Es geht uns um das Leben der Israelis und der Palästinenser." Das "und" betont sie besonders.

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