12.12.2024, Syrien, Damaskus: Syrer versammeln sich Tage nach dem Sturz der Regierung von Bashar Assad auf dem Umayyad-Platz.
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Im Internet verbreiten sich Behauptungen zu angeblichen Gewalttaten nach dem Umsturz in Syrien. Einige davon sind falsch. (Symbolbild)

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#Faktenfuchs: Gerüchte über Gewalttaten in Syrien

#Faktenfuchs: Gerüchte über Gewalttaten in Syrien

Die Lage in Syrien ist nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad unübersichtlich. Das zeigt auch die Menge an Bildern, Videos und Berichten aus dem Land, die Gräueltaten diverser Gruppen belegen sollen. Doch einige davon sind irreführend.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Darum geht's:

  • Seit Beginn der Offensive gegen das Assad-Regime in Syrien sind viele Menschen ums Leben gekommen. Dazu kursieren Bilder und Videos im Netz.
  • Doch viele Bilder und Behauptungen sind schwierig zu verifizieren. Einige sind aus dem Kontext gerissen und führen in die Irre.
  • Behauptungen zu einem Lynchmord an einem Assad-Cousin und ermordeten Wissenschaftlern sind etwa falsch.

Videos und Bilder: Unklar, ob alle aus Syrien stammen

Aktuell kursieren im Netz viele Videos und Bilder aus Syrien, die Gewaltszenen oder Opfer zeigen sollen. Sie stammen angeblich aus den Tagen seit dem Vormarsch der Rebellen. Zugeschrieben werden die Taten den diversen bewaffneten Rebellengruppen oder auch anderen Staaten wie Israel. In vielen Fällen ist allerdings nicht klar, ob die Bilder tatsächlich aus Syrien und den vergangenen Tagen stammen oder woher sie tatsächlich kommen.

"Es gibt definitiv Gewalt gegen Zivilisten, aber auch gegen gefangene oder verletzte Militärs von Seiten der SNA (türkisch unterstützte Oppositionskämpfer, Anm. d. Red.) gegen die SDF (Kurdisches Militärbündnis, Anm. d. Red.)", sagt der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger von der Universität Wien im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Schmidinger bezieht seine Informationen von Kontakten in Syrien, er selbst war vor wenigen Wochen noch im Land.

Experte: Ausmaß von Gewalttaten derzeit "unklar"

In welcher Größenordnung solche Gewalttaten in Syrien vorkommen, das wisse man derzeit aber schlicht nicht, sagt Schmidinger: "Wie häufig die sind oder wie systematisch das ist - systematisch scheint es mir nicht zu sein - das ist völlig unklar." Eine Anfrage des #Faktenfuchs an die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR), die Opferzahlen veröffentlicht, blieb bisher unbeantwortet. Aus dem Auswärtigen Amt hörte der #Faktenfuchs: Bisher lägen keine Informationen vor, die systematische Gewalt der neuen Machthaber HTS gegen Minderheiten oder Assad-Anhänger seit dem Sturz Assads belegen.

Gerade zu bewaffneten Konflikten kursieren erfahrungsgemäß Massen an Gerüchten, die teils mit Worten allein, teils mit Bildern bekräftigt werden sollen. Der Bürgerkrieg in Syrien währt schon seit 2011. Beispielsweise 2012 berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass Videos zeigten, wie Rebellen Menschen töteten, die sie für Assad-Anhänger hielten.

Diese lange Zeit mit vielen gewaltsamen Auseinandersetzungen liefert entsprechend viel Material, das im Netz verfügbar ist - und damit auch aus dem Zusammenhang gerissen verbreitet werden kann. Denn auch während des derzeitigen Umsturzes berichtet die Syrische Beobachtungsstelle von hunderten Menschen, die seit Beginn der Offensive gegen das Assad-Regime getötet worden sind. Die Angaben der SOHR lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Vor diesem Hintergrund sind Behauptungen und Videos in den Social-Media-Timelines mit Vorsicht zu genießen. Der #Faktenfuchs zeigt das an zwei Beispielen.

Video zeigt nicht Hinrichtung von Assads Cousin

Baschar al-Assad soll Medienberichten zufolge nach Russland geflohen sein. Zu seinem Cousin Suleiman al-Assad verbreitete sich derweil ein unverifiziertes Video. Angeblich habe ihn eine Menschenmenge in der syrischen Hafenstadt Latakia gelyncht. Als Beleg sollte ein Video dienen, in dem man sieht, wie ein Mann an einem Baukran erhängt wird.

Die Rebellen eroberten am 8. Dezember die Hauptstadt Damaskus, die Behauptung zu Suleiman al-Assad wurde an den darauffolgenden Tagen auf englischsprachigen News-Webseiten und auf Social Media verbreitet. Das Video wurde auf manchen Plattformen mehr als drei Millionen Mal gesehen. Wie der #Faktenfuchs und andere Faktenchecker verifizieren konnte, zeigt das Video aber eine andere Hinrichtung.

Das syrische Fact-Checking Medium "VerifySy", wie der #Faktenfuchs Mitglied im internationalen Fact-Checking-Netzwerk IFCN, recherchierte ebenfalls: Laut "VerifySy" berichtete ein syrisches Medium zwar, dass Suleiman al-Assad am 8. Dezember in Latakia getötet worden sei. Das verbreitete Video mit dem Baukran zeigt aber nicht ihn, sondern einen anderen Mann an einem anderen Ort.

Video wurde in anderer Stadt aufgenommen

Denn die Geschehnisse auf dem Video lassen sich in früheren Posts auf Facebook finden, also bevor Damaskus überhaupt von den Rebellen erobert wurde.

Drei unterschiedliche Facebook-Accounts veröffentlichten bereits am 7. Dezember Videos und ein Foto des Vorgangs aus anderen Perspektiven. Dass es sich um dieselbe Hinrichtung handelt, erkennt man unter anderem an der identischen Kleidung des getöteten Mannes und denselben Gebäuden im Hintergrund des Bildmaterials.

Zwei der Facebook-Accounts schreiben übereinstimmend: Bei dem Mann handele es sich um A. al-Assad, die Hinrichtung habe am 7. Dezember 2024 in Khirbet Ghazaleh stattgefunden, 450 Kilometer entfernt von Latakia. Ob dieser Mann mit der Familie des ehemaligen Diktators Baschar al-Assad verwandt ist, ist nicht nachzuvollziehen. Den Familiennamen "al-Assad" tragen zum Beispiel auch Personen außerhalb von Syrien.

Dass das Video tatsächlich in Khirbet Ghazaleh und nicht in Latakia aufgenommen wurde, kann man über frei zugängliche Internet-Kartendienste verifizieren: Auf einem Video der Hinrichtung erkennt man zum Beispiel eine Friedhofsmauer, ein rundes Bauwerk in der Mitte einer Straßenkreuzung, einen Baum und eine Straßeninsel. All das ist auch über Satellitenbilder von Khirbet Ghazaleh an dieser Stelle zu finden.

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Der Hinrichtungsort eines Mannes aus Syrien lässt sich über den Abgleich von Video- (rechts) und Satellitenbildern (links) verifizieren.

In den Facebook-Beiträgen heißt es, der Hingerichtete und eine Frau hätten gemeinsam im August 2024 einen Mord verübt, für den sie zum Tode verteilt worden seien. Diese Darstellung wird von der Berichterstattung eines lokalen Mediums gestützt, das im November über die Verurteilung und am 7. Dezember über die Hinrichtung berichtete. Es lässt sich ebenfalls ein Facebook-Video der Hinrichtung einer Frau an derselben Stelle finden.

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Der Hinrichtungsort eines Mannes aus Syrien lässt sich über den Abgleich von Video- (rechts) und Satellitenbildern (links) verifizieren.

Erfundene Attentate auf Wissenschaftler

Neben Gewalt-Videos kursieren auch Behauptungen zu angeblich ermordeten Wissenschaftlern. Diese Behauptungen werden zusammen mit aus dem Kontext gerissenen Fotos geteilt. So behauptet ein User auf X etwa fälschlicherweise: "Innerhalb von 24 Stunden wurden in #Damaskus 2 Wissenschaftler gezielt ermordet. Hinrichtungen per Kopfschuss."

Die "Nuklearmikrobiologin Zahra al-Homsiyeh" soll tot in ihrem Haus aufgefunden worden sein, am Tag davor sei bereits der "Chemiker Hamdi Ismail Nada" ermordet worden. Zwei beigefügte Fotos zeigen die angeblich ermordeten Wissenschaftler: eine Frau mit kurzen blonden Haaren und goldumrandeter Brille, und ein Mann in Anzug mit Halbglatze und weißem Schnauzer.

In den Kommentaren sowie in Posts auf anderen Plattformen spekulieren User, die Ermordungen seien Teil der Angriffe Israels auf Syrien seit dem Sturz Assads. Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad stecke hinter den Attentaten, wird ohne Belege behauptet.

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Die beiden Menschen in diesem Post wurden nicht ermordet, sie leben nicht einmal in Syrien.

Angebliche Wissenschaftler-Morde: Erfundener Name und geklautes Foto

An den Behauptungen stimmt allerdings gar nichts. Die Wissenschaftler waren nicht in Syrien und wurden auch nicht ermordet. Über eine Bilder-Rückwärtssuche der beiden Porträts lassen sich beide Personen im Internet schnell finden. Im Fall der angeblichen "Nuklearmikrobiologin" Zahra al-Homsiyeh führt die Suche zu Profilseiten einer Astronomin an der Universität Hawaii. Die angegebene Berufsbezeichnung ist zudem verdächtig, da sie fast nirgendwo sonst zu finden ist. Das Bundesamt für Strahlenschutz antwortet auf #Faktenfuchs-Anfrage: "'Nuklearmikrobiologie' ist keine in Deutschland übliche Fachrichtungsbezeichnung."

Eine syrische Wissenschaftlerin mit dem Namen Zahra al-Homsiyeh scheint es außerdem nicht zu geben; bei einer Online-Suche unter wissenschaftlichen Journals fand der #Faktenfuchs keine Veröffentlichungen unter diesem Namen. Das recherchierte auch die arabische Faktencheck-Webseite Misbar.

Im Falle des angeblichen Chemikers Hamdi Ismail Nada führt die Bilderrückwärtssuche zu dem Facebook-Profil eines ägyptischen Arztes mit demselben Namen. Das Foto aus den falschen Posts über seine angebliche Ermordung ist seit dem 15. Januar 2024 sein Profilfoto. In seinen letzten Posts macht Hamdi Ismail Nada klar: die Behauptungen über seinen Tod seien "Beweis für die Lügen und Manipulationen in Bildern und Nachrichten".

Iranische Nachrichtenagentur verbreitete Mord-Behauptung

Laut dem "Syrian Observer" sagte er zu den Gerüchten: "Ich bin ein ägyptischer Arzt aus Kairo, 74 Jahre alt, und das letzte Mal war ich in Damaskus vor neun Jahren auf einer viertägigen Geschäftsreise."

Die Falschmeldung wurde auch von der staatlichen Nachrichtenagentur des Irans, IRNA, verbreitet. Sie berichtete schon am 11. Dezember 2024 als eine der ersten über die zwei angeblichen Attentate. Danach wurde die Falschbehauptung auch von anderen iranischen Online-Medien aufgegriffen, mit Verweis auf die Agentur.

Wieso sind manche Videos schwierig zu verifizieren?

Es kursieren noch weitere ähnliche und auch brutale Bilder und Videos, bei denen bislang noch nicht möglich war, sie zu verifizieren. Es gibt zum Beispiel kein Google-Street-View-Material aus Syrien - weshalb der #Faktenfuchs viele angebliche Aufnahme-Orte von Deutschland aus nicht überprüfen kann. Bisher ließen sich zu vielen der Videos keine Originalquelle finden und auch keine anderen Belege dafür, dass die Bilder zeigen, was über sie behauptet wird. Das heißt nicht, dass die Aussagen über die Bilder nicht stimmen - es bedeutet aber auch nicht, dass sie richtig sind.

Ein weiteres Problem bei der Recherche zu Bildern und Videos aus dem Netz: Die Verifizierung wird dadurch erschwert, dass meist die Metadaten fehlen. Das sind zusätzliche Informationen über das Bild, gespeichert in der Bilddatei. Dazu zählen etwa Datum und Uhrzeit, Informationen zum Fotografen und Urheber sowie Standortinformationen. Wenn Bilder und Videos über soziale Medien verbreitet werden, gehen diese Metadaten - sofern vorhanden - nämlich in der Regel verloren. Fehlen sie, ist das noch kein Hinweis dafür, dass das Bild und die Behauptung dazu irreführend sind. Aber es macht es deutlich schwieriger, ihren Ursprung aufzuklären.

"Was sehr oft das Problem mit Fotos und Videos aus dem Nahen Osten ist, dass es sehr selten präzise Angaben gibt, wo und wann dieses Video aufgenommen wurde", sagt der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger dem #Faktenfuchs. Das ist auch bei einigen der Gewalt-Videos aus Syrien der Fall.

Bei nur einer Quelle sind Behauptungen schwer nachzuvollziehen

Sowohl Kämpfer als auch Zivilisten haben Smartphones, mit denen sie alle möglichen Geschehnisse festhalten. Alte wie aktuelle Bilder können wiederverwendet werden, um eine bestimmte Perspektive auf das Geschehen zu stützen. Bisweilen sind die Aufnahmen, die in den sozialen Netzwerken kursieren, aber die einzigen, die von einem Ereignis kursieren. Mitunter sind auch nur wenige Menschen beteiligt und es gibt keine unabhängigen Berichte darüber. Auch das macht die Verifikation mancher Aufnahmen schwer bis unmöglich.

Bilder und Videos können auch manipuliert sein, etwa mittels Schnitt- oder Bildbearbeitungsprogrammen oder sie sind durch Künstliche Intelligenz aus dem Nichts geschaffen. Bilder und Videos können aber auch - und das ist noch deutlich häufiger der Fall als Kl-Fakes - aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang des Geschehens gerissen sein: Sie sind eigentlich älter oder von einem anderen Ort sind als behauptet. Oder sie zeigen andere Personen oder der politische Kontext ist ein anderer.

Fazit

Wie häufig in Kriegs- und Krisenlagen kursieren auch zu den Entwicklungen in Syrien viele Videos, Fotos und Gerüchte. Ein Beispiel einer Hinrichtung zeigt: Videos, die echt sind, können in einen falschen Zusammenhang gesetzt werden und dann in die Irre führen.

Ein zweites Beispiel zu angeblichen Mordopfern zeigt: Öffentlich zugängliche Fotos können im Internet einfach anderen Personen zugeordnet werden. Die Möglichkeiten, einzelne Bilder oder Behauptungen unabhängig zu überprüfen, sind im Falle des Konflikts in Syrien oft begrenzt.

  • Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.

Hinweis: Wir haben den ursprünglichen Text an zwei Stellen mit Informationen aus dem Auswärtigen Amt und einer Antwort des Bundesamts für Strahlenschutz ergänzt. (19.12.2024, 14.40 Uhr)

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