Grünen-Spitze tritt zurück
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Grünen-Spitze tritt zurück: Rettet das die Partei?

Grünen-Spitze tritt zurück: Rettet das die Partei?

Desaströse Wahlniederlagen und harter Gegenwind – die Grünen ziehen Konsequenzen: die Partei-Chefs Nouripour und Lang treten im November zurück. Das soll den Weg hin zu einer Neuausrichtung der Grünen ebnen. Ist das die Rettung der Partei?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen – das war und ist das Motto der Grünen. Vor allem die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang haben diesen Satz immer wieder betont. Jetzt treten sie zusammen zurück. Für das politische Berlin und darüber hinaus kam der Schritt überraschend.

Nouripour wirkte bei seinem Statement sehr angefasst, er zitterte, war den Tränen nahe – ebenso wirkte Lang. Beiden war anzusehen: Die vergangenen Monate, die letzten desaströsen Wahlergebnisse im Osten und vor allem der Gegenwind auch aus den eigenen Ampel-Reihen war hart für sie. All das hat Spuren hinterlassen.

Nouripour: "Tiefste Krise unserer Partei"

Für die Grünen braucht es daher einen neuen Weg: "Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Und wir übernehmen die Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen", so Lang. Sie und Nouripour machen Platz für neue Gesichter an der Spitze der Partei. Damit ziehen sie Konsequenzen aus den Wahlniederlagen. Die Europawahl verlief für die Grünen enttäuschend, in Sachsen schafften sie es gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde, in Thüringen und Brandenburg scheiterten sie daran und sind dort nicht im Landtag vertreten. "Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", so Nouripour.

Auf Bundesebene verharrt die Partei bei elf Prozent. Nouripour und Lang begründen ihren Schritt daher auch mit Blick nach vorne: Richtung Bundestagswahl im nächsten Herbst. Dafür müssen ein Neustart und eine Veränderung eingeleitet werden.

Probleme der Grünen: Inhalt und Regierungsbeteiligung

Denn: Die Grünen kämpfen mit einem inhaltlichen Problem – sie verlieren an Zuspruch und Vertrauen ihrer Stammwähler, gerade auch bei jungen Wählern. Generell zieht es Erstwähler vermehrt zur AfD.

In der Regierungsbeteiligung innerhalb der Ampel mussten die Grünen schmerzhafte Kompromisse eingehen, sich für Waffen oder längere Laufzeiten von Atomkraftwerken einsetzen. Gleichzeitig scheint das Kernthema der Grünen – Klimaschutz – für Stammwähler kaum mehr den nötigen Raum zu bekommen. Neue Wähler hingegen werden mit dem Thema Klimaschutz aktuell kaum dazugewonnen.

Doch auch Stimmen aus anderen Parteien haben den Grünen geschadet: nicht nur von der Opposition wird die Partei als Sündenbock für all jenes ausgemacht, was in Deutschland schiefläuft. Auch in einigen Teilen der Bevölkerung werden die Grünen als überheblich und realitätsfern empfunden – Stichwort: Heizungsgesetz. Die Grünen sind immer mehr in die Defensive geraten, mussten sich und ihre Politik verteidigen, dagegenhalten.

Wer könnten die Nachfolger sein?

Und jetzt wollen sie ihre Politik neu ausrichten – strategisch wie personell. Stellt sich die Frage: Wer kann auf das Duo Nouripour und Lang folgen? Vergangenes Jahr wurden beide beim Parteitag zwar mit Traumwerten wiedergewählt, waren menschlich geschätzt, da es keine Rivalitäten unter ihnen gab. Doch Zeiten ändern sich – gerade starke Landesverbände wie Baden-Württemberg haben hinter den Kulissen geschimpft, dass die Parteizentrale keine Strategien entwickle, um mit der Krise umzugehen. Der Druck, der zum jetzigen Schritt führte, auch aus der Partei, war hoch.

Als mögliche Nachfolger werden zwei Namen gehandelt: Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium – eine enge Vertraute von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Und: Felix Banaszak, der ebenfalls auf Wirtschaft und Haushalt spezialisiert ist. Sollten sie infrage kommen, könnte das Signalwirkung haben, wohin die Grünen steuern wollen: Richtung Wirtschaft. Am Ende wird am Parteitag im November in Wiesbaden darüber entschieden, mit wem und wie es weitergeht an der Spitze der Partei.

Grüne mit Fokus auf Bundestagswahl – was ist mit schwarz-grün?

Eine Frage wird leise im politischen Berlin gestellt: Könnte der Rücktritt des Vorstands auch Auswirkungen auf eine künftige schwarz-grüne Koalition im Bund haben? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CSU hat eine Zusammenarbeit auf Bundesebene kategorisch ausgeschlossen. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz deutete vor Kurzem im ARD-Interview an, dass sich die Haltung zu einer möglichen Zusammenarbeit mit den Grünen innerhalb eines Jahres bis zur nächsten Bundestagswahl ändern könnte – sofern sich die jetzigen Grünen wandeln.

Und die streben eine Veränderung an. Daher scheint der Zeitpunkt des Rücktritts von Nouripour und Lang weniger überraschend: Eine Strategie und Neuausrichtung für die Bundestagswahl dauert – für eine neue Parteiführung ist jetzt die Chance, diese Herausforderung anzugehen.

Herausfordernd für die Ampel-Regierung ist der Rücktritt allerdings nicht. Auf die Koalition hat der Schritt keine Auswirkungen, wie es vom Regierungssprecher Steffen Hebestreit heißt. Auch wenn die Opposition das Ende der Ampel wittert und zum wiederholten Mal Neuwahlen fordert, ebenso wie Ministerpräsident Söder. Der Schritt von Omid Nouripour und Ricarda Lang war kein Bruch mit der Ampel-Regierung, sondern wird von Beobachtern eher als eine Rettung der Grünen-Partei interpretiert.

Im Video: Nach Wahlschlappen - Grünen-Spitze tritt ab

Die Parteichefs der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, treten ab.
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Die Parteichefs der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, treten ab.

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