Am Mittwoch um 20:30 Ortszeit trifft der Hurrikan "Milton" auf den US-Bundestaat Florida. Schnell zeichnet sich ein Bild der Zerstörung ab. Millionen Menschen haben keinen Strom und es gibt erste Todesopfer. Im Internet-Zeitalter sind Naturkatastrophen sofort ein globales Ereignis. Schnell kursieren auf Social Media Livestreams und Videos mit erschütternden Bildern von umgestürzten Bäumen, überfluteten Straßen und zerstörten Häusern. Das Internet kann in solchen Momenten ein Ort der Solidarität sein, etwa wenn es darum geht, Spenden zu sammeln und Hilfe zu koordinieren.
Aber das Internet ist auch ein Ort, in dem um Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Geklickt - und geguckt - wird das, was noch krasser und noch verstörender ist, als die Realität. Vor allem TikTok, die chinesische Kurzvideo-Plattform, ist anfällig für besonders sensationalistische Clips, die gezielt übertreiben oder dramatisieren und vom Algorithmus in die Feeds der Nutzer gespült werden. Inszenierte Videos zeigen hier angebliche Szenen apokalyptischer Zerstörung, oft unterlegt mit dramatischer Musik und bearbeiteten Bildern, die das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe verzerren. Oft kommt hierbei auch künstliche Intelligenz zum Einsatz.
Bilder bei Tageslicht deuten auf Täuschung hin
Erste Hinweise, dass viele der auf TikTok kursierenden Bilder und Videos nicht Hurrikan Milton zeigen können, sind Tageszeit und Helligkeit. Milton traf abends an der Westküste Floridas auf Land, zu diesem Zeitpunkt war es dort bereits dunkel. Bei Tageslicht entstandene Bilder und Videos von Sturm, Regen und Unwetterschäden, die angeblich von Mittwochabend stammen, sind demnach entweder Fake oder aus dem Zusammenhang gerissen.
KI: Probleme mit physikalischen Gesetzen
Bei vielen Videos handelt es sich um Zusammenschnitte, einige Sequenzen wurden mit Zeitraffer bearbeitet. KI-Manipulationen wiederum erkennt man unter anderem daran, dass die Physik nicht stimmt. Manchmal ist ein riesiger Wirbelsturm zu sehen, aber keine Bewegung der Bäume im Wind. Auch die Stromleitungen bleiben oft bewegungslos.
Vor allem aber sehen die Tornados oft weichgezeichnet aus und weisen einen anderen Detailgrad auf als der Rest der Umgebung. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass ein echtes Foto für den KI-Fake als Grundlage verwendet wurde, aber das KI-Modell dann nicht den Detailgrad der Vorlage erreicht. Die Folge: Viele der Tornados in den TikTok-Videos sehen verglichen mit der Umgebung zu "glatt" aus und wirken oft wie aufsteigender oder wirbelnder Rauch.
Meteorologe: "So sieht das in der Realität nicht aus"
Dass einige Videos auf Tiktok keinen echten Hurrikan zeigen, erkennt der Meteorologe Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Für den #Faktenfuchs hat er sich einige der Tiktok-Videos angeschaut. Zwar seien auch seriösen Wetterdiensten zufolge im Zuge von Hurrikan Milton Tornados in Florida aufgetreten. Das Erscheinungsbild einiger der auf TikTok gezeigten Wirbelstürme ist laut Walter aber eindeutig unrealistisch.
So fällt etwa ein sich drehender Tornado mit spitz zulaufendem Trichter auf, der zum Boden hin in einen Blitz mündet. Zwar würden durchaus Blitze im Zusammenhang mit Tornados auftreten, aber nicht über mehrere Sekunden hinweg, erklärt Walter: "Ein Blitz ist ein Blitz. Der geht aus der Wolke zum Boden und dann ist er auch wieder weg. Das ist vollkommener Humbug."
Ein anderer Videoausschnitt zeigt senkrecht in den Himmel aufragende und sich ineinander drehende graue Wolkenzylinder. Andreas Walter vom DWD erinnern die Bilder an eine Superzelle, also ein sehr großes Gewittergebilde, wie er erklärt. Diese Darstellung ist laut Einschätzung des Meteorologen aber KI-generiert: "Das ist keine echte Superzelle, denn der Ausfall aus der oberen Wolke, der nach unten geht, ist viel zu glatt dargestellt. So sieht das in der Realität nicht aus. Sowas gibt’s nicht. Da hat sich jemand an einem Atompilz orientiert, würde ich mal unterstellen."
#Faktenfuchs: Veraltete Sturmbilder aus dem Kontext gerissen
Zum Teil kommen in den TikTok-Videos auch Videoschnipsel vor, die nicht mittels KI generiert sind, aber dennoch nicht den aktuellen Hurrikan Milton zeigen.
Stattdessen - das zeigt eine Recherche per Bilderrückwärtssuche - wurden die Videos in der Vergangenheit zum Teil mehrfach im Kontext anderer Stürme gepostet. Dabei handelt es sich oft um Sturm-Bilder und -Videos, die besonders bedrohlich und angsteinflößend wirken.
Ein Video zeigt etwa in der Dämmerung eine Reihe Autos, die an einer Ampel stehen. Am Himmel kommen große, dunkle Wolken von der Seite her auf die Autos zu. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass die Schrift auf dem Straßenschild spiegelverkehrt ist.
Eine Bilderrückwärtssuche belegt: Die gleiche Szene wurde, teils gespiegelt, schon in diversen anderen Videos veröffentlicht, ein Youtube-Video damit wurde bereits vor einem Jahr gepostet. Klar ist also: Diese Szene kursierte schon vor Hurricane Milton und zeigt ein anderes Wetterereignis.
Auch das Tiktok-Video eines wegfliegenden Wellblech-Dachs wurde bereits bei mehreren Hurricanes und Stürmen in diesem Jahr gepostet. Es stammt jedoch mindestens aus dem Jahr 2023.
Bei aufwühlenden Bildern und Panikmache: Fragen stellen, um Fakes zu erkennen
Bei besonders emotionalen oder aufwühlenden Bildern im Netz ist es grundsätzlich ratsam, genau hinzuschauen. Es kann helfen, sich dabei einige Fragen zu stellen: Wer postet oder verbreitet das Material und ist diese Quelle seriös? Wer kann die Bilder oder Videos aufgenommen haben? Passen Tageszeit, Vegetation und andere Details zum angegebenen Ort, Zeitpunkt und Ereignis? Ist das Video in sich schlüssig oder gibt es logische oder physikalische Fehler? Zudem können Sie Screenshots aus den Videos per Bilderrückwärtssuche nachfolgen und so herausfinden, ob die Bilder bereits im Netz aufgetaucht sind.
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