(Symbolbild) Eine Frau steht vor einem Spielautomaten und blickt auf ihr Smartphone
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(Symbolbild) Illegale Onlinecasinos: Spuren führen nach Berlin

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BR-Datenanalyse: Die Netzwerke hinter illegalen Onlinecasinos

BR-Datenanalyse: Die Netzwerke hinter illegalen Onlinecasinos

In legalen Onlinecasinos können sich Spielsüchtige sperren. Doch im Netz gibt es hunderte illegale Angebote, bei denen sie einfach weiterzocken können. BR-Recherchen zeigen jetzt, wer hinter dutzenden solcher Seiten stecken könnte.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Martin ist spielsüchtig. Er heißt eigentlich anders und möchte unerkannt bleiben. Denn: Er hat seine Sucht nicht im Griff, wird immer wieder rückfällig, in illegalen Onlinecasinos. "Das sind einfach Momente, in denen man unglücklich ist und dann flieht man in die Parallelwelt." BR-Reporter sprechen mit mehreren Menschen, denen es wie Martin geht. Die meisten von ihnen sind berufstätig, oft auch erfolgreich. Viele von ihnen spielen zunächst in legalen Onlinecasinos und dann in illegalen, verspielen tausende Euro und häufen immense Schulden an.

BR-Recherchen: Spuren führen nach Berlin

Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen jetzt: Ein IT-Anbieter namens "SoftSwiss" und sein Gründer könnten mutmaßlich hinter dutzenden illegalen Onlinecasinos stecken, die offenbar deutsche Spieler ansprechen, aber keine Lizenz in Deutschland haben. Darauf deutet eine BR-Datenanalyse von Glücksspielwebseiten hin.

Auf den ersten Blick wirkt "SoftSwiss" wie ein gewöhnliches IT-Unternehmen, das Software anbietet, um Onlinecasinos zu verwalten. Als Gründer von "SoftSwiss" tritt ein aus Belarus stammender deutscher Geschäftsmann mit Wohnsitz in Berlin auf, der sich öffentlich als Tech-Unternehmer inszeniert und sich in Podcasts interviewen lässt. Die Recherchen führen zu einem weit verzweigten Netzwerk von Firmen auf Malta, Zypern und der Karibikinsel Curaçao. Sie legen direkte Verbindungen zwischen dem IT-Anbieter und den illegalen Onlinecasinos nahe.

Noch höhere Suchtgefahr in illegalen Casinos

Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen kennt solche illegalen Angebote und sagt im Interview mit dem BR: Nicht-lizenzierte Casinos lockten mit enormen Gewinnen, es gebe oft keine Einzahlungslimits – theoretisch können die Spieler also unbegrenzt viel zocken. Das führe potenziell zu noch höherer Suchtgefahr als bei legalen Seiten. Zudem falle oft kein gravierender Unterschied zu hierzulande erlaubten Glücksspiel-Websites auf. Viele Spieler wüssten oft nicht, dass sie auf nicht-lizenzierten Seiten spielen, so Hayer – doch damit machen sie sich häufig strafbar.

Hinzu kommt: Nach dem Glücksspielstaatsvertrag müssen Onlinecasinobetreiber technische Mittel nutzen, um Spieler zu schützen. Mit dem bundesweiten Glücksspielsperrsystem OASIS können sich Spielsüchtige selbst bei allen lizenzierten Glücksspielanbietern sperren lassen. Doch auf illegalen Seiten können Spielsüchtige einfach weiterzocken.

Komplexes Firmennetzwerk hinter den Casinos

Für die Recherche hat der BR die Impressumsangaben auf mehreren hundert illegalen Onlinecasino-Webseiten analysiert und dabei dutzende Casinos identifiziert, die mutmaßlich mit "SoftSwiss" und seinem Gründer in Zusammenhang stehen. Sie werden laut Impressum von zwei Unternehmen betrieben: N1 Interactive Ltd. mit Sitz auf Malta und Dama N.V. auf der Karibikinsel Curaçao.

Hinweise, dass die beiden Unternehmen enge Verbindungen zu "SoftSwiss" und seinem Gründer haben, oder bis vor kurzem hatten, ergeben sich unter anderem aus Gerichtsdokumenten, Unternehmens- und Domainregistern. Komplizierte Firmenstrukturen würden oft verwendet, um Eigentümer zu verschleiern oder Steuern zu umgehen, sagt Geldwäscheexperte Konrad Duffy von Finanzwende e.V.: "Wenn solche komplexen Firmenkonstrukte aufgestellt werden, dann hat das einen Grund. Da geht es wahrscheinlich um richtig viel Geld."

Millionen-Zahlungen über Wirecard abgewickelt

Um welche Summen es geht, zeigt ein Überweisungsdokument aus dem Unternehmensregister von Malta. Demnach überwies die Casinofirma N1 Interactive Ltd. im März 2022 zwei Millionen Euro an Dama N.V. in Curaçao. Der Kontostand von N1 Interactive wird im selben Dokument mit mehr als sieben Millionen Euro angegeben.

In Dokumenten der insolventen Wirecard-Bank aus dem Jahr 2020, die dem BR vorliegen, wird "SoftSwiss" als Kunde genannt — im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Vorgängerfirma von Dama N.V. Die zählte zwischenzeitlich zu den umsatzstärksten Kunden der Wirecard-Bank. Den Dokumenten zufolge wickelte das Unternehmen im Jahr 2018 über Wirecard Zahlungen in Höhe von etwa 61 Millionen Euro ab. Auch andere Unternehmen des Netzwerks aus Malta und Zypern hatten Konten bei Wirecard. Aus E-Mails des Ex-Wirecard-Managers Jan Marsalek geht hervor, dass dieser 2020 persönlich gesammelte Umsatzberichte genau dieser Firmen anforderte.

Werbeanzeigen belegen enge Verbindungen

Einen weiteren Hinweis, wie eng Dama N.V. mutmaßlich mit "SoftSwiss" zusammenhängt, liefern Werbeanzeigen. "SoftSwiss" suchte diesen Sommer offenbar neue Mitarbeiter über Anzeigen bei Google. Das Werbetransparenzregister von Google zeigt, dass diese Anzeigen von Dama N.V. geschaltet wurden. Das heißt: Die Casinofirma aus Curaçao beauftragte Werbung für Stellenanzeigen bei dem Tech-Anbieter. Ein weiteres Puzzleteil: Die Internetadresse eines von Dama betriebenen Onlinecasinos wurde offenbar ursprünglich mit einer "SoftSwiss"-E-Mailadresse registriert – mit dem Vornamen des "SoftSwiss"-Gründers. "SoftSwiss" und sein Gründer ließen Anfragen des BR unbeantwortet. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der deutschen Glücksspielaufsicht (GGL) sollen bereits vor mehreren Monaten Informationen zu "SoftSwiss" präsentiert worden sein, berichten mehrere Personen dem BR. Auf Anfrage teilt die GGL mit, dass sie keine Aussage zu einzelnen möglichen Verwaltungsverfahren machen könne. "SoftSwiss" besitze keine Lizenz in Deutschland und habe auch keine beantragt. Darüber, ob es staatsanwaltliche oder polizeiliche Ermittlungen gibt, geben weitere Behörden keine Auskunft. Die Onlinecasinos sind weiterhin aus Deutschland erreichbar.

Suchtbeauftragter Blienert will Behörden stärken

Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung Burkhart Blienert (SPD) fordert im BR-Interview, illegales Glücksspiel besser einzudämmen. Es müsse darum gehen, die Behörden mit den erforderlichen Kompetenzen auszustatten. Juristisch ist umstritten, ob das deutsche Strafrecht bei ausländischen Glücksspielanbietern überhaupt anwendbar ist. "Dafür müssen wir das Strafrecht erweitern, sodass unsere Staatsanwaltschaften auch gegen illegale Glücksspielangebote aus dem Ausland vorgehen können, die sich bei uns an die Spielenden richten", sagte Blienert dem BR. Derzeit stellen Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegen Betreiber illegaler Onlinecasinos aus dem Ausland immer wieder ein.

Hinweis der Redaktion: Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld Probleme mit Glücksspiel haben, dann suchen Sie sich Hilfe. Entweder unter bzga.de oder in der Glücksspielsuchttelefonberatung der BZgA, erreichbar unter 0800 1 37 27 00.

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