Die islamistische Hamas hat am Abend eine weitere Gruppe von Geiseln aus dem Gazastreifen an Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben. Sowohl die Terrororganisation als auch das israelische Militär bestätigten die Freilassung.
Auch vier Deutsche in Freiheit
Das Rote Kreuz habe am Samstag 13 Israelis sowie vier thailändische Staatsbürger über die Grenze nach Ägypten gebracht, teilte das israelische Militär am Abend mit. Nach Angaben Katars sollen unter den freigelassenen Israelis auch vier deutsche Doppelstaatler sein.
Bei den Deutsch-Israelis handelt es sich um die 38-jährige Adina Shoham, ihre dreijährige Tochter Jahel und ihren achtjährigen Sohn Naveh sowie um Shohams 67-jährige Mutter Shoshan Haran. Nun könne "Ihre Familie Ihnen all das Licht und die Wärme geben, die Sie vermisst haben", schrieb der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, am Sonntagmorgen im Onlinedienst X an die vier Freigelassenen.
"Ich denke an sie und an die, die noch in den Händen der Hamas sind. Wir arbeiten mit aller Kraft daran, dass auch sie bald in Freiheit sind", schrieb Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Nacht zum Sonntag ebenfalls auf der Plattform X.
Tot geglaubtes Mädchen kommt frei
Daraufhin kam nach 50 Tagen Gefangenschaft auch ein zunächst für tot gehaltenes, neunjähriges irisches Mädchen frei. "Wir finden keine Worte, um unsere Gefühle nach 50 schwierigen und komplizierten Tagen zu beschreiben. Wir sind überglücklich, Emily wieder in die Arme schließen zu können", erklärte die Familie. Emily Hand war während ihrer Geiselhaft neun Jahre geworden, was in Dublin vor anderthalb Wochen mit einer Party gefeiert worden war. Nach der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober war sie zunächst für tot gehalten worden.
X-Post des irischen Regierungschefs sorgt in Israel für Empörung
Ein X-Post des irischen Regierungschefs Leo Varadkar zu Emilys Freilassung sorgte allerdings prompt für Verstimmung. Israel wolle wegen der "empörenden Äußerungen" den irischen Botschafter einbestellen, teilte der israelische Außenminister Eli Cohen am Sonntag mit.
Irlands Regierungschef hatte am Samstagabend auf der Plattform X geschrieben: "Dies ist ein Tag der großen Freude und Erleichterung für Emily Hand und ihre Familie. Ein unschuldiges Kind, das verloren war, wurde nun gefunden und ist zurückgekehrt, und wir atmen erleichtert auf." In Israel wurde diese Beschreibung als Verharmlosung der Geiselnahmen durch die islamistische Hamas kritisiert. Benny Gantz, Minister im israelischen Kriegskabinett, schrieb bei X: "Die neunjährige Emily war nie "verloren" - sie wurde brutal von der terroristische Hamas entführt und als Geisel gehalten."
Mit der 21-jährigen Maja Regev kam erstmals auch eine Geisel frei, die von Kämpfern der Hamas bei ihrem brutalen Angriff auf das Supernova-Musikfestival in Israel verschleppt worden war. Bei dem Überfall am 7. Oktober wurden hunderte weitere, meist junge Menschen getötet. Regevs Mutter erklärte, sie sei glücklich, dass Maja heimkomme - "dennoch ist mein Herz zerrissen, denn mein Sohn Itaj ist immer noch in der Gefangenschaft der Hamas" im Gazastreifen, hieß es in einer Erklärung, die das Forum der Angehörigen der Geiseln veröffentlichte.
Neue Gewalt im Westjordanland
Überschattet wurden die Freilassungen von neuer Gewalt im Nahost-Konflikt. Israelische Streitkräfte haben palästinensischen Angaben zufolge am Samstagabend und Sonntag sieben Palästinenser im Westjordanland getötet. Fünf Tote habe es allein in der Stadt Dschenin gegeben.
Israel hat 39 palästinensische Häftlinge entlassen
Unterdessen wurden auf den Straßen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem 39 palästinensische Häftlinge, die Israel im Gegenzug aus Gefängnissen entlassen hatte, von Menschenmengen mit Jubel begrüßt. Dabei wurden Hamas-Fahnen geschwenkt, wie die Zeitung "The Times of Israel" am frühen Sonntag berichtete und ein entsprechendes Video verlinkte.
Die freigelassenen Häftlinge seien alle wegen terroristischer Straftaten verurteilt oder angeklagt worden, erklärte in der Nacht zum Sonntag der israelische Armeesprecher Doron Spielman. Dass sich die Freigelassenen unter den Fahnen der Hamas feiern ließen, zeige, um was für Menschen es sich handele. "Es ist eine Schande, dass wir sie freilassen", sagte der Armeesprecher.
Am Sonntag sollen weitere Geiseln freikommen
Nach der Freilassung der zweiten Gruppe von Hamas-Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge sollen an diesem Sonntag weitere Geiseln aus dem Gazastreifen freikommen. Man habe eine Liste mit den Namen weiterer Geiseln erhalten, teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu am frühen Morgen mit. Um wie viele Geiseln es sich handelt, wurde nicht mitgeteilt.
Nach Informationen der Nachrichtenseite "Ynet" geht es um 13 Geiseln. Wie "Ynet" am Sonntagmorgen unter Berufung auf israelische Beamte weiter berichtete, sei zu erwarten, dass sich diesmal auch US-amerikanische Staatsbürger darunter befinden.
Steinmeier in Israel erwartet
Damit befinden sich noch rund 200 Geiseln in den Händen der Hamas. Die zurzeit andauernde Kampfpause soll mindestens vier Tage halten. Gemäß der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sollen in der Zeit insgesamt 50 Geiseln freigelassen werden. Eine Verlängerung der Feuerpause auf bis zu zehn Tage ist möglich, wie das im Konflikt vermittelnde Katar mitteilte. Unterdessen werden am Sonntag die beiden höchsten Repräsentanten des deutschen Staates - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) - zu einem Solidaritätsbesuch in Israel erwartet.
Hamas verzögerte Geisel-Übergabe - Biden vermittelte
Am Samstagabend hatte die Hamas zunächst überraschend die Freilassung einer zweiten Gruppe gestoppt. Israel drohte Medienberichten damit, die Feuerpause um Mitternacht aufzuheben, sollten die Geiseln bis dahin nicht freigelassen werden.
Die radikalislamische Palästinensergruppe warf Israel vor, gegen das Geisel-Abkommen verstoßen zu haben - unter anderem, nicht ausreichend Hilfslieferungen in den nördlichen Teil des Gazastreifens ermöglicht zu haben. Israel wies dies zurück.
US-Präsident Joe Biden schaltete sich daraufhin persönlich ein, wie eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der US-Regierung auf Anfrage mitteilte. Der 81-Jährige habe am Samstag mit dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, und dem katarischen Premier- und Außenminister, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani telefoniert. Am Ende lenkte die Hamas nach Einschreiten Katars am späten Samstagabend ein.
Katars Außenminister: Hoffen auf Verlängerung der Feuerpause
Man hoffe, dass der Schwung, der durch die Freilassungen der beiden vergangenen Tage und der vereinbarten Feuerpause entstanden sei, "es uns ermöglicht, die Feuerpause über diese vier Tage hinaus zu verlängern und somit ernsthaftere Gespräche über die restlichen Geiseln zu führen", sagte der Sprecher des katarischen Außenministeriums, Majed Al-Ansari, dem US-Fernsehsender CNN.
Katar werde außerdem mit Partnern in Ägypten, den USA und beiden Konfliktparteien zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die vereinbarte Menge an Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen kann, sagte Al-Ansari dem Sender weiter, wie CNN in der Nacht zum Sonntag berichtete. Laut israelischen Medienberichten von vergangener Woche sieht der Deal vor, dass Hunderte Lastwagen mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern und Treibstoff nach Gaza einfahren dürfen.
Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels war noch von sieben ausländischen Staatsbürgern die Rede. Laut israelischem Militär und dem Außenministerium von Katar handelt es sich aber lediglich um vier Personen.
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