Rund 200.000 Einwohner hat Erfurt, die Landeshauptstadt von Thüringen. Doch in den kommenden Tagen bevölkern einige Tausend Menschen zusätzlich die barocke Fachwerk-Altstadt: Bis zum 2. Juni ist die größte Stadt Thüringens Schauplatz des 103. Deutschen Katholikentags.
"Zukunft hat der Mensch des Friedens" – unter diesem Motto aus Psalm 37 steht das Christentreffen, zu dem das größte katholische Laiengremium, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), alle zwei Jahre einlädt.
Ein Motto, das angesichts zahlreicher militärischer Konflikte, etwa im Heiligen Land und in der Ukraine, aktueller kaum sein könnte. Am Abend wird das katholische Laientreffen feierlich auf dem Domplatz eröffnet. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird dazu erwartet.
Katholikentage: Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft
Katholikentage sollen traditionell ein Gesprächsforum sein: nicht nur für religiöse Themen und nicht nur für Christen unter sich. Sie sollen eine Schnittstelle auch für gesellschaftspolitische Fragen sein, bei denen sowohl Nichtgläubige als auch Gläubige mitreden können.
Kurz vor den Europawahlen dreht sich auf dem Christentreffen vieles um Krieg und Frieden, um den Erhalt der Demokratie und den Umgang mit Extremismus. In dieser Hinsicht haben die Veranstalter bereits vorab Position bezogen: Zwar sind Vertreter aus der Politik zahlreich bei den Veranstaltungen des Katholikentags vertreten, von der AfD ist aber wie bei vergangenen Katholikentagen niemand dabei.
ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp sagte im Vorfeld der Großveranstaltung: "Unsere Haltung heißt: Frieden braucht mehr als Abwesenheit von Krieg. Frieden braucht Menschen, die sich täglich darum bemühen, dass Gewalt, Ausgrenzung, Hass und Hetze keinen Platz haben in der Welt."
500 Veranstaltungen, Politprominenz, aber keine AfD-Vertreter
Fünf Tage lang kommen die Besucher des Katholikentags an unterschiedlichen Veranstaltungsorten in der ganzen Stadt zusammen zu Gottesdiensten, Vorträgen, Diskussionen und Konzerten. Zu den rund 500 Veranstaltungen werden auch zahlreiche prominente Vertreter aus der Politik erwartet, etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Unter anderem werden auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert den Katholikentag besuchen.
Längst ist der Katholikentag keine rein katholische Veranstaltung mehr, schon gar nicht vor der Kulisse Erfurts, das historisch betrachtet eher als Schauplatz der Reformation bekannt ist. Katholiken sind hier traditionell in der Minderheit.
Reformationsstadt Erfurt: Katholiken in der Minderheit
In Erfurt studierte einst Martin Luther Theologie, trat später ins dortige Augustinerkloster ein. "Erfordia turrita", türmereiches Erfurt, so nannte der Reformator die thüringische Metropole mit ihren 25 Pfarrkirchen, 15 Klöstern, Kapiteln und Kapellen.
Nachdem Erfurt in der Reformation zunächst evangelisch geworden war, leben die beiden großen christlichen Konfessionen seit 1530 friedlich miteinander in der Stadt. Und auch beim jetzigen Katholikentag arbeiten Katholiken und Protestanten zusammen.
DDR hinterließ weitgehend säkulare Gesellschaft
Sie müssen es, denn in Thüringen gibt es deutlich weniger Christen als in den westdeutschen Bundesländern. Der Charakter dieses Katholikentags werde bestimmt durch die besondere Situation der Kirche in Thüringen und Mitteldeutschland, so Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) im Vorfeld.
Das Erbe von 40 Jahren DDR ist eine weitgehend säkulare Gesellschaft. Zudem sinken die Mitgliederzahlen der Kirchen wie im Rest des Landes: Gerade einmal 13.000 Katholiken leben in Erfurt. In Thüringen insgesamt ist nur noch etwa ein Viertel der Bevölkerung christlich, und knapp 7,5 der Menschen sind katholisch.
Kein Katholikentag ohne evangelische Hilfe
"Wir hätten nicht zum 103. Deutschen Katholikentag nach Erfurt einladen können, hätten nicht die evangelischen Christen gesagt: Wir machen da mit", so Erfurts katholischer Bischof Ulrich Neymeyr im Vorfeld des Christentreffens.
Das schwindende Interesse an Kirche hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt bei Kirchentagen und Katholikentagen bemerkbar gemacht. Der letzte Katholikentag 2022 in Stuttgart fiel mit 27.000 Besuchern bereits deutlich kleiner aus als in den Zeiten vor der Corona-Pandemie. So hatten etwa 2018 in Münster noch 90.000 Menschen die christliche Großveranstaltung besucht.
Ursprung: katholische Oppositionsveranstaltungen
Die Ursprünge des Katholikentages reichen bis in den Kulturkampf zurück: Katholische Christen gründeten konfessionelle Vereinigungen in Abgrenzung zum protestantisch geprägten Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck. 1848 kam in Mainz die erste "Generalversammlung des katholischen Vereins Deutschlands" zusammen.
Der Widerstand gegen staatliche Einmischung in kirchliche Angelegenheiten vereinte Katholiken verschiedenster Frömmigkeitsstile. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Katholikentage ausgesetzt. Seit 1950 finden die Laientreffen alle zwei Jahre statt, meist im Wechsel mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag.
Im Video: Interview - BR-Reporterin Antje Dechert in Erfurt
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