Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt bis zum 1. April verschiedene Optionen einer Dienstpflicht prüfen. Deutschland soll "kriegstüchtig" werden, sagt er. Die Wehrpflicht könnte dabei eine Rolle spielen und das schwedische Modell Vorbild sein.
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Wehrpflicht – die aktuelle Situation
Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt, die Bundeswehr ist seitdem eine Berufsarmee. Die Entscheidung wurde seinerzeit als ein Schritt in Richtung Modernisierung und Effizienz begrüßt.
Doch die sicherheitspolitische Bedrohungslage hat sich verändert und im politischen Berlin wird darüber diskutiert, die Verteidigungsfähigkeiten zu stärken. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist im Gespräch.
Das schwedische Modell
Die Wehrpflicht war in Schweden 2010 zunächst ausgesetzt und 2017 wieder eingeführt worden. Sie heißt dort: "Totalförsvarsplikt" – übersetzt: totale Verteidigungspflicht. Sie betrifft sowohl Männer als auch Frauen und umfasst verschiedene Dienste wie den Militärdienst, Zivil- und Katastrophenschutzdienste.
"Totalförsvarsplikt", bekommt Lob von Experten aus aller Welt. Denn im Gegensatz zur traditionellen Wehrpflicht, die sich auf militärische Verteidigung konzentriert, fordert das schwedische Modell alle dazu auf, ihren Beitrag zur nationalen Sicherheit zu leisten. Schweden will damit erreichen, dass man auf eine Vielzahl von Bedrohungen reagieren kann. Auf militärische Aggression, Cyberangriffe und auch auf Naturkatastrophen.
Zum 18. Geburtstag erhalten Schwedinnen und Schweden ein Schreiben von der Musterungsbehörde. Die Wehrpflicht in Schweden beträgt zwölf Monate. Doch im Schnitt ist es am Ende lediglich ein Rekrut, der aus 3,5 gemusterten Personen hervorgeht.
Worüber diskutiert Deutschland?
Auch in Deutschland wird über das schwedische Modell geredet, das als einzigartig und innovativ gilt.Befürworter sagen: Die Wehrpflicht sei für Deutschland ein geeignetes Mittel, um eine ausreichende Anzahl von Soldaten für die Bundeswehr zu rekrutieren. Insbesondere in Zeiten erhöhter Bedrohungen oder Konflikte könnte die Wehrpflicht eine zusätzliche schnelle Mobilisierung großer Truppenteile ermöglichen.
Die Gegner sagen: Angesichts moderner sicherheitspolitischer Herausforderungen sei die Wehrpflicht nicht mehr zeitgemäß. Notwendig sei eine hoch spezialisierte und professionelle Bundeswehr - also Berufssoldaten. Die Wehrpflicht sei ineffizient, nicht zuletzt deshalb, weil viele Rekruten möglicherweise nicht die notwendigen Fähigkeiten oder genügend Motivation hätten, die in der Bundeswehr gebraucht würden. Eine Wehrpflicht müsste auch länger dauern. Sechs Monate zum Beispiel wären zu kurz. Zudem könnte es schwierig werden, für die Wiedereinführung in der Gesellschaft Zustimmung zu bekommen.
Eine Zwangsrekrutierung würde vermutlich als Verletzung der persönlichen Freiheit angesehen - ein Widerspruch zur Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung.
Das sagen die Parteien zur Wehrpflicht
CDU und CSU unterstützen die Idee der Wiedereinführung einer Wehrpflicht jedoch, um Sicherheit und Verteidigung des Landes zu gewährleisten. Der CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul bringt dabei eine allgemeine Dienstpflicht ins Gespräch, denn nicht allein die Bundeswehr habe erhebliche Personalsorgen, auch Organisationen wie THW oder Feuerwehr könnten Unterstützung gebrauchen. Florian Hahn (CSU) erklärt, dass die Wehrpflicht sehr einfach einzuführen wäre, man brauche dazu nur eine einfache Mehrheit im Bundestag.
Anders klingt es bei der SPD. Bundeskanzler Olaf Scholz sagt deutlich Nein zur Wehrpflicht. Sein SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil hält es für gut, wenn die Freiwilligendienste gestärkt würden. "Jeder junge Mensch sollte einmal in seinem Leben mit der Frage konfrontiert werden, ob er oder sie einen Dienst für unser Land leisten möchte." Es spielt für Klingbeil dabei keine Rolle, ob dieser Dienst in der Bundeswehr oder in einem sozialen Bereich geleistet wird.
Die AfD hält die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2010 für einen schwerwiegenden Fehler und setzt auf eine Wiedereinführung.
Für die FDP erklärt Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dass die Wehrpflicht keinen Beitrag zur gesamtstaatlichen Resilienz leisten könne. Zudem habe Deutschland keine Kasernen, also nicht genügend Platz. Und es sei auch nicht genug Personal, für die Ausbildung von Wehrpflichtigen vorhanden.
Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, sagt, dass die personelle Situation der Bundeswehr zwar angespannt sei, doch die Wiedereinführung der Wehrpflicht hält sie für den falschen Weg, um diesem Mangel zu begegnen.
Und die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), denkt über einen Bürgerrat nach, um dort über einen allgemeinen Dienst bei der Bundeswehr und in Zivilorganisationen zu diskutieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen also einbezogen werden.
Fazit
Die Diskussion über die Wiedereinsetzung einer Wehrpflicht ist in Deutschland vielschichtig und betrifft wichtige Fragen im Hinblick auf nationale Sicherheit, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Solidarität. Während die Befürworter eine Wehrpflicht als wichtigen Bestandteil der nationalen Verteidigung betrachten, sehen die Gegner sie als veraltet und unvereinbar mit modernen Werten und sicherheitspolitischen Realitäten.
Politisch entschieden ist in der Frage einer Wiedereinführung der Wehrpflicht nichts, sie wird lebhaft diskutiert. Noch in dieser Legislaturperiode beabsichtigt Verteidigungsminister Pistorius zumindest eine Richtungsentscheidung.
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