Seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine wird ein Thema auch wieder in Deutschland diskutiert: Soll die pausierte Wehrpflicht erneut eingeführt werden? Zuletzt hatte auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wieder einmal gefordert, dass es einen Masterplan für die Wiedereinführung der Wehrpflicht brauche.
- Zum Artikel: Zurück zur Wehrpflicht, aber mit neuem Modell
Kriegsdienstverweigerung ist Menschenrecht
Vor einigen Tagen erst war der Tag der Internationalen Kriegsdienstverweigerung. Denn die ist eigentlich Menschenrecht. In Deutschland war es in den letzten Jahren der Wehrpflicht nicht viel mehr als eine Formalie, verweigern zu können und statt Wehr- oder Zivildienst zu machen.
Doch Jahrzehnte zuvor galten Verweigerer als "Drückeberger" und die Anerkennung der Gewissensentscheidung des Einzelnen glich einem Tribunal. In Ländern wie der Ukraine oder Russland ist derzeit Kriegsdienstverweigerung nicht vorgesehen. Wenn in Deutschland Männer deswegen um Asyl suchen, ist es nicht selbstverständlich, dass der Grund anerkannt wird.
Wie steht Deutschland zu internationalen Verweigerern?
Einfach einen Antrag genehmigt zu bekommen, so einfach ist es für internationale Kriegsdienstverweigerer nicht. Am Internationalen Tag zur Kriegsdienstverweigerung riefen 30 Organisationen in Deutschland dazu auf, dass die Kriegsdienstverweigerung insbesondere von Flüchtlingen aus Russland, Belarus und der Ukraine als Menschenrecht anerkannt wird.
Auch der Verein Connection e.V. beteiligte sich an der Aktionswoche. Geschäftsführer Rudi Friedrich stellt klar: "Grundsätzlich ist die Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anerkannt. Das heißt, jeder Staat muss ein solches Recht garantieren und ermöglichen. Das ist aber nicht immer der Fall."
Denn in Deutschland hat die Bundesregierung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, dass Deserteure der russischen Armee in Deutschland Asyl bekommen sollen. "Aber die vielen, die wir Militärdienstentzieher nennen, also die Menschen, die klug genug waren, gar nicht erst zum Militär zu gehen, sich gar nicht erst rekrutieren zu lassen, die kriegen diesen Schutz nicht", erklärt Friedrich.
Nach Deutschland kommen diejenigen, die ihr Land auch schon vor einer Rekrutierung verlassen trotzdem. Beim russischen Krieg in der Ukraine sind das sowohl Russen als auch Ukrainer. 200.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter leben aktuell in Deutschland - und das, obwohl die Regierung der Ukraine alles daran setzt, diese Männer ins Land zurückzuholen.
Im Zuge des russischen Einmarschs in die Ukraine sind aber auch wehrfähige Männer aus Russland geflohen. 3.500 von ihnen haben seit Kriegsbeginn Asyl in Deutschland beantragt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervor. 1.500 der Anträge wurden bearbeitet, 90 Männern wurde der Schutzstatus in Deutschland erteilt. Laut Regierung ist "bei einem Großteil der Anträge (1.100) aufgrund der Dublin-Regelung ein anderer Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig".
Als ausländischer Verweigerer in Deutschland
Einer von ihnen ist auch Dmitrii Solovod. Der heute 22-Jährige kam im Herbst 2022 nach Bayern. Die russische Invasion in der Ukraine war für ihn der Anlass, aus Russland zu fliehen. Als schwuler Mann war er in seinem Heimatland zwar bereits vor dem Krieg Schikanen ausgesetzt. Mit Beginn des Krieges hatte er Angst, eingezogen und im Militär wegen seiner sexuellen Orientierung angegangen zu werden. "Ich hatte wirklich Angst, dass diese Militärleute verstehen, dass ich schwul bin. Das wollte ich nicht."
Mittlerweile wohnt er in Lichtenfels bei Bamberg, engagiert sich politisch auf Demonstrationen gegen die Politik Putins und wartet auf die Genehmigung seines Asylantrags. Zurück nach Russland will und kann er nicht: "Ich verstehe, was mit mir in Russland sein wird. Ich war hier politisch aktiv und ich bin offen schwul hier in Deutschland. Und ich war in Russland auch schon schwul. Ich kann dafür ins Gefängnis gehen."
Laut der Bundesregierung soll das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Personen, die den Kriegsdienst verweigert haben, internationalen Schutz zukommen lassen. Dmitrii Solovod sieht seine Chance auf ein Asyl in Deutschland aber vor allem deswegen als realistisch, weil er nicht nur den Kriegsdienst verweigert hat, sondern wegen seiner sexuellen Orientierung und seinem politischen Engagement hier im Land in Russland verfolgt werden würde.
Verweigerung aufgrund Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes
Wer als Deutscher im eigenen Land den Kriegsdienst verweigern will, stellt einen informellen Antrag an das Karrierezentrum der Bundeswehr. Stellen kann diesen Antrag erst mal jeder: Soldatinnen und Soldaten, die dienen, Reservisten, aber auch Ungediente - also Leute, die keine Ausbildung bei der Bundeswehr absolviert haben.
Im Antrag beruft man sich auf den Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes. Da heißt es: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Zusätzlich muss man einen Lebenslauf einreichen und schriftlich begründen, wieso es einem das eigene Gewissen verbietet, den Dienst an der Waffe zu tun.
Wer dabei Hilfe braucht, kann sich zum Beispiel an Claudia Kuchenbauer wenden. Sie ist kirchliche Beraterin für Kriegsdienstverweigerung in Nürnberg und hilft Menschen dabei zu formulieren, warum sie den Dienst an der Waffe verweigern wollen.
"Ich befrage Menschen ein bisschen: Wie das mit dem Gewissen so geworden ist, wie es ist? Das ist ja eine Frage, die man sich normalerweise nicht stellt. Das kann religiöse Gründe haben: Wie ist meine religiöse Prägung und meine Achtung vor dem Leben", sagt Claudia Kuchenbauer im Gespräch mit dem BR. "Das können Erfahrungen in der Familie sein. Oder andere, ganz persönliche Erlebnisse, bei denen man gemerkt hat: Wenn ich einen anderen Menschen schädige an Leib und Leben, dann ist das für mich eine unglaubliche Schuld, damit kann ich nicht umgehen."
Den Kriegsdienst verweigern - auch nachträglich
Die Gewissensgründe nachvollziehbar darzulegen, das ist bei deutschen Kriegsdienstverweigerern entscheidend. "Also - wenn jemand sich für einige Jahre verpflichtet hat und dann scheidet er aus, ist Reservist und möchte dann verweigern, dann ist es schwer, die Gründe nachvollziehbar zu machen. Weil die Person lange gedient hat. Aber je nachdem, wie gut die Person ihre Gewissensgründe nachvollziehbar machen kann, hat er oder sie natürlich grundsätzlich das Recht, sich auf das Grundgesetz zu beziehen", so Kuchenbauer.
Bei denjenigen, die ihre Ausbildung von der Bundeswehr finanziert bekommen haben, müsse zusätzlich ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden, so Kuchenbauer weiter. "Weil es dann auch um Rückzahlungen von Leistungen geht, die man erhalten hat. Das muss dann auf rechtlicher Ebene geklärt werden."
Und über den Ausgang des Antragsverfahrens deutscher Bürger entscheidet letztendlich dann das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Kriegsdienstverweigerung als Deutscher wieder Thema
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine bekommt Claudia Kuchenbauer wieder mehr Anfragen zur Kriegsdienstverweigerung. "Das ist jetzt steigend. Im letzten Jahr waren es zwölf Anfragen. Dieses Jahr sind es schon sieben", sagt sie.
Einer, der sich auch zur Kriegsdienstverweigerung in Deutschland beraten lassen will, ist Thomas Krämer. Ende der 1990er hat er seinen Wehrdienst geleistet. Schon damals hat er sich gefragt, ob er verweigern soll, hat es am Ende dann doch nicht getan.
Bei einer Schießübung auf menschliche Silhouetten zögert er beim Abdrücken, danach wird er von einem Kameraden darauf angesprochen. "Das war mir überhaupt nicht bewusst. Da habe ich angefangen, mich mit der Frage zu beschäftigen: Wenn ich jetzt schon nicht auf einen Pappkameraden schießen kann, wie geht es mir dann, wenn ich auf eine richtige Person schießen muss?"
Krämer hat seinen zehnmonatigen Wehrdienst noch beendet. Auch, weil ein anderer aus seiner Kompanie verweigert hatte und dann von der Truppe schikaniert worden war. "Und das wollte ich einfach nicht erleben", sagt Krämer im Rückblick.
Lange war der Wehrdienst dann auch kein Thema mehr für ihn - erst jetzt, mit dem Krieg in der Ukraine, ist das Thema wieder präsent in seinem Leben. "Wenn ich Nachrichten sehe oder höre. Und auch im Beruf. Ich bin wissenschaftlicher Referent und beschäftige mich mit den wirtschaftlichen Folgen auch von diesem Krieg. Und jedes Mal merke ich, dass es so innerlich anfängt zu kribbeln."
Krämer plant jetzt einen Antrag auf Verweigerung zu stellen, vorher will er sich aber beraten lassen.
Im Video: Wehrdienstpflichtige Ukrainer im Ausland unter Druck
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