Russland müsse zur Verantwortung gezogen werden und für Kriegsschäden in der Ukraine bezahlen – so der Wille von 44 Staaten. Zugleich sollte es wegen des Aggressionskrieges strafrechtlich verfolgt werden, hieß es in einer Erklärung zum Abschluss eines internationalen Ministertreffens in Den Haag. Zudem wurde das erste Register für Kriegsschäden in Betrieb genommen. Mehr als einhundert Schadenersatzforderungen gingen bis Dienstagabend ein.
Minister sowie Vertreter der EU-Kommission und internationaler Justizbehörden hatten auf Einladung der Ukraine und der Niederlande über Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung von Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine beraten. Auch Vertreter nichteuropäischer Länder wie die USA, Kanada und Australien nahmen teil. Möglicherweise soll ein internationales Tribunal zur Verfolgung der russischen Aggression errichtet werden.
- Zum Artikel: "Wladimir Putin vor Gericht – wie realistisch ist das?"
Außenminister der Nato-Staaten beraten in Brüssel
Wie die Nato mit dem anhaltenden Konflikt umgeht, darum soll es am heutigen Mittwoch bei einem Treffen der Außenminister der Nato-Staaten in Brüssel gehen, die dann die Vorbereitungen für den nächsten Bündnisgipfel vorantreiben wollen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat nach Angaben von Diplomaten mehrere Vorschläge gemacht. Sie sehen unter anderem vor, dass künftig eine Nato-Mission die Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte übernimmt.
Die Koordination von Waffenlieferungen für die Ukraine nehmen derzeit die USA federführend wahr. Sie organisieren dazu regelmäßig Treffen auf ihrem Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein oder zum Beispiel in Brüssel. Die Idee von Stoltenberg ist nach Angaben von Diplomaten, die Unterstützung der Ukraine zu vergemeinschaften, um sie weniger abhängig von politischen Entwicklungen in einzelnen Bündnisstaaten zu machen. Am zweiten Tag des Außenministertreffens soll dann am Donnerstag der 75. Geburtstag der Nato gefeiert werden. Das Verteidigungsbündnis sollte der kommunistischen Sowjetunion ein abschreckendes Gegengewicht entgegensetzen und zu Frieden und Sicherheit beitragen.
Misshandelte Terror-Verdächtige im Staatsfernsehen
Indes wird weiter über Gewalt innerhalb Russlands diskutiert. Im russischen Staatsfernsehen liefen Bilder der vier Verdächtigen, die nach dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau festgenommen worden waren, in Dauerschleife: Als die Männer im Gerichtssaal präsentiert werden, haben sie stark angeschwollene Gesichter, Verletzungen, offenkundig Schmerzen. Einer ist überhaupt nicht mehr ansprechbar und wird im Krankenhaus-Rollstuhl bewegt.
Der russische Jurist und Menschenrechtsaktivist Sergei Babinetz sagt: "Da haben die Behörden wohl offiziell erklärt: 'Wir haben die Möglichkeit, die von uns gewünschte physische Gewalt und illegale Folter anzuwenden. Und wir veröffentlichen das. Wir haben vor nichts Angst.' Eine einschüchternde Botschaft an alle, die Ähnliches planen. Und der empörten Öffentlichkeit wird mit der Zurschaustellung von Gewalt gezeigt: Wir haben uns gerächt."
Heizt Russland das Gewaltproblem in der Bevölkerung an?
In Russland hat die Zahl der schweren und Schwerstverbrechen den höchsten Stand seit 2011 erreicht. Und auch die Zahl der Morde steigt: Weit über 7.000 waren es vor zwei Jahren. Gewalttaten gegen Frauen landen dabei nicht mehr automatisch in der Kriminalstatistik: Im Jahr 2017 unterschrieb Präsident Putin ein Gesetz, das häusliche Gewalt entkriminalisierte. Übergriffe, die keine bleibenden Schäden verursachen, werden seither nicht mehr als Straftat behandelt, sondern als Ordnungswidrigkeit.
Ist die Zahl dieser Gewalttaten auch deshalb gestiegen, weil Russland seit über zwei Jahren Krieg führt gegen seine Nachbarn? Yulia Arnautova von der Menschenrechtsorganisation "Nasiliu.net" erklärt, dass häusliche Gewalt nicht signifikant zugenommen habe. Sie meint jedoch, das liege daran, dass viele Menschen noch nicht nach Russland zurückgekehrt sind. Um die 300.000 Mobilisierte sollen es sein, die seit Herbst 2022 in der Ukraine eingesetzt sind. Sie und auch Vertragssoldaten dürfen erst zurückkehren, wenn eines Tages der Mobilisierungserlass aufgehoben wird. Strafgefangene können nach Ende ihres Militäreinsatzes ebenfalls mit der Rückkehr ins Zivilleben rechnen. Das Gewaltproblem dürfte ihrer Einschätzung nach also deutlich zunehmen.
Umso wichtiger findet sie, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht noch zusätzlich anheizen mit Videos, die die eigene Gewaltanwendung zeigen. Denn damit werde Gewalt zu etwas Normalem. Menschenrechtsaktivist Sergej Babinetz warnt auch davor, dass die Gesellschaft Gewalt so zunehmend tolerieren könnte. Studien würden belegen, dass Länder mit militärischen Konflikten nach deren Ende mit einer steigenden Zahl von Gewaltverbrechen, darunter häuslicher Gewalt, zu kämpfen hätten.
Mit Informationen von dpa
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!