Symbolbild: Exil-Syrer feiern in Mainz das Ende des Assad-Regimes
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Machtwechsel in Syrien: Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik?

Machtwechsel in Syrien: Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik?

Nach dem Sturz des syrischen Machthabers Assad ist eine Debatte entfacht: Die einen fordern, Deutschland solle keine syrischen Flüchtlinge mehr aufnehmen. Die anderen warnen vor voreiligen Schlüssen. Forscher sehen Chancen für einen Wendepunkt.

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Die CSU-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, ist am Wochenende vorgeprescht und forderte, keine neuen syrischen Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Schließlich habe sich die Situation mit dem Sturz von Syriens Machthaber Assad grundlegend verändert. Und: "Wir haben in den letzten Jahren unsere humanitären Verpflichtungen übererfüllt", sagte sie in der "Rheinischen Post".

Unionspolitiker fordern Aufnahmestopp syrischer Flüchtlinge

Sollte es irgendwann zu einer Befriedung in Syrien kommen, entfalle für viele Syrer auch "die Schutzbedürftigkeit und damit der Grund für ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland", so Lindholz. Das heißt, viele Syrer, die nach Deutschland geflüchtet sind, müssten dann zurück in ihre Heimat.

Mehrere Unionspolitiker sehen das ähnlich. CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geht noch einen Schritt weiter und meint: "Es muss sogar überlegt werden, wie eine stärkere Rückführung in die syrische Heimat vieler Menschen möglich ist." Er habe viele Stimmen syrischer Flüchtlinge gehört, die wieder zurückwollen – "dies sollte man unterstützen".

SPD und Grüne auf der Bremse – Lage zu ungewiss

Politiker der Regierungsparteien SPD und Grüne sehen das anders. Viele von ihnen finden es zynisch, schon jetzt zu überlegen, wer wann abgeschoben werden kann, während die Syrer hierzulande auf den Straßen die Befreiung von Assad mit Freudentränen im Gesicht feiern.

Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter erklärt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Es ist vollkommen unklar, wie es jetzt in Syrien weitergeht." Er betont, "Überlegungen, unsere Migrationspolitik zu verändern und härter gegen syrische Geflüchtete vorzugehen, sind völlig fehl am Platz." Grünen-Chefin Franziska Brantner unterstreicht: "Der Schutz der Minderheiten in Syrien ist uns besonders wichtig."

Unterstützung kommt aus den Reihen der SPD. Außenpolitiker Michael Roth warnt vor zu viel Euphorie. An der Spitze der Aufständischen in Syrien stehen islamistische Gruppen, denen er nicht "über den Weg traue", sagt Roth im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF. Auch wenn sich diese Gruppen derzeit moderat zeigen, ist seiner Ansicht nach fraglich, ob das so bleibe.

Wer sind die Aufständischen?

Die islamistische Gruppierung HTS, die Assad gestürzt hat, steht auf der Terrorliste der EU. Auf ihren Anführer haben die USA schon seit Jahren ein Kopfgeld ausgesetzt. Er hat angekündigt, einen islamistischen Staat errichten zu wollen, betont aber Toleranz gegenüber Minderheiten. Ob die Aussagen glaubhaft sind und es einen friedlichen Übergang geben wird oder ob Selbstjustiz und Machtkämpfe folgen, bleibt abzuwarten.

Vor diesem Hintergrund weist der SPD-Bundestagsabgeordneter Roth Forderungen, die Aufnahme syrischer Flüchtlinge zu stoppen, als Populismus zurück. Vermutlich kehren Syrer sogar freiwillig in ihre Heimat zurück, sollte dort Stabilität eingekehrt sein, erklärt er.

Behörde stoppt Asylanträge von Syrern

Weil es so viele offene Fragen gibt, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg vorerst Entscheidungen über Asylanträge von Syrern gestoppt. Diese Anträge würden im Stapel der Mitarbeiter der Behörde nach unten geschoben, so eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums.

Klar ist, am Status der hier untergebrachten Menschen aus Syrien ändert sich vorerst nichts. Die meisten genießen den sogenannten "subsidiären Schutz". Sie dürfen hier sein, weil sie in Syrien wegen des Bürgerkriegs um ihr Leben fürchten mussten. Das trifft auf rund 750.000 der knapp eine Million Syrer in Deutschland zu. Aber es gibt auch Syrer, die regulär in Deutschland arbeiten, studieren und zum Teil die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben.

Experten erklären, bevor Menschen aus Syrien in Deutschland ihren Schutzstatus verlieren, muss das Land dauerhaft stabil und sicher sein. Dazu zählt auch die Sicherheit, dass zum Beispiel religiöse Minderheiten nicht verfolgt werden.

Wendepunkt in der Migrationspolitik?

Migrationsforscher Gerald Knaus sieht nach dem Sturz von Assad die Chance, dass sich die Flüchtlingssituation entspannt. Sollte mittelfristig Stabilität in Syrien hergestellt werden, "könnte das für die gesamte Flüchtlingssituation, auch in Europa, ein historischer Wendepunkt sein", sagt er im "Stern". Wenn das so kommt, könnte das die Politik "dramatisch und positiv verändern". Knaus: "Sollte sich die Zahl syrischer Asylanträge 2025 schnell verringern, würde extrem gefährlichen Kräften das Wasser abgegraben – der AfD hierzulande, der FPÖ in Österreich." Daher sollte das Thema, wie Syrien stabilisiert werden kann, "absoluten Vorrang" haben.

Wegen des Bürgerkriegs in den vergangenen Jahren, der 2011 mit einem Volksaufstand gegen das Assad-Regime begonnen hatte, ist nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks rund die Hälfte der syrischen Bevölkerung geflüchtet, vor allem in die Nachbarstaaten wie in die Türkei und in den Libanon. Hunderttausende suchten in Deutschland Schutz vor Assads Truppen und seinen Verbündeten.

Im Video: Kristin Helberg, Syrien-Expertin, mit einer Einschätzung zur Zukunft Syriens

Politikwissenschaftlerin Kristin Helberg
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