Nach Beginn der Feuerpause im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas ist eine erste Gruppe von 24 Geiseln freigekommen, die vor sieben Wochen in den Gazastreifen verschleppt worden waren. Sie überquerten am Freitag die Grenze nach Ägypten, wie ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf mitteilte. Die Gruppe seien in vier Fahrzeugen unterwegs gewesen und von einem Arzt und sieben IKRK-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begleitet worden.
Feuerpause und Freilassung von Geiseln
Nach Angaben des Vermittlers Katar waren unter den Freigelassenen 13 Israelis. Sie kamen nach einer Vereinbarung zwischen Israel und der islamistischen Hamas frei. Zudem wurden demnach zehn Thailänder und ein philippinischer Staatsbürger freigelassen. Am Abend seien sie auf israelischem Gebiet angekommen, teilte das Militär mit. Derzeit seien Spezialkräfte der Armee und Mitarbeiter der israelischen Geheimdienste bei ihnen. Die Freigekommenen seien bereits einer ersten medizinischen Untersuchung unterzogen worden.
Nach Angaben der israelischen Armee sind die Betroffenen aber in einem "guten Zustand", so Militärsprecher Daniel Hagari. Ihr Leben sei nicht in Gefahr. 22 von ihnen seien zunächst zu einem Luftwaffenstützpunkt in der Negev-Wüste gebracht worden. Danach würden sie mit Hubschraubern der Luftwaffe in Krankenhäuser gebracht. Dort werden sie den Angaben nach auch mit ihren Angehörigen wiedervereint, hieß es. Zwei israelische Staatsbürger seien aus zunächst nicht genannten Gründen direkt in Krankenhäuser gefahren worden.
Offenbar vier Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft unter den freigelassenen Geiseln
Unter den 13 freigekommenen israelischen Geiseln sind auch mehrere Menschen, die ebenfalls über eine deutsche Staatsangehörigkeit verfügen. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu veröffentlichte am Freitagabend eine Namensliste der Freigelassenen, auf der auch die Namen von vier Personen waren, die ihren Familien zufolge Deutsche sind. Es soll sich um eine 34-Jährige mit ihren beiden Töchter im Alter von zwei und vier Jahren sowie eine 77-Jährige handeln. Alle vier waren am 7. Oktober von der Hamas aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt worden. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bestätigte die Freilassung.
Im Rahmen einer viertägigen Feuerpause im Gazastreifen sollen insgesamt 50 der etwa 240 israelischen Geiseln freigelassen werden. Katar, das die Vereinbarung vermittelt hat, hatte am Donnerstag davon gesprochen, dass am Freitag zunächst 13 Frauen und Kinder aus der Gewalt der Hamas freikämen. Im Gegenzug für die 50 israelischen Geiseln sollen insgesamt 150 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen freikommen.
Israel lässt palästinensische Gefangene frei
Eine erste Kohorte von 39 Personen wurde am Abend wie vereinbart aus der Haft entlassen. 33 Menschen seien aus einem Gefängnis im Westjordanland gekommen und einem Team des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz übergeben worden, teilte Kadura Fares mit, Chefin einer Organisation, die sich für palästinensische Häftlinge einsetzt. Sechs weitere seien aus einer Haftanstalt in Jerusalem entlassen worden.
Die palästinensischen Behörden hatten zuvor eine Liste der 39 Personen veröffentlicht, die freigelassen werden sollten. Bei ihnen handelte es sich demnach um 24 Frauen und 15 Jugendliche. Den Häftlingen werden unter anderem das Werfen von Brandbomben, Brandstiftung oder Messerattacken vorgeworfen.
US-Präsident Biden: "Das ist erst der Anfang"
IKRK-Regionaldirektor Fabrizio Carboni zeigte sich "erleichtert", dass einige Familienangehörige "nach langen Qualen wieder zusammengeführt werden". In seiner Rolle als "neutraler Vermittler" werde das IKRK "über mehrere Tage hinweg in Gaza festgehaltene Geiseln an die israelischen Behörden und letztendlich an ihre Familien übergeben und palästinensische Häftlinge an die Behörden im Westjordanland überstellen", hieß es in der Erklärung weiter.
Auch US-Präsident Biden begrüßte den reibungslosen Ablauf der Übergabe. Gleichzeitig machte er deutlich, dass dies "erst der Anfang" sei. "Die heutige Freilassung ist der Beginn eines Prozesses", sagte der US-Präsident bei einer Ansprache am Freitag. Er erwarte am Samstag, Sonntag und Montag die Freilassung weiterer Geiseln. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen Dutzende von Geiseln zu ihren Familien zurückkehren werden." Er stehe weiterhin in Kontakt mit den politischen Spitzen in Katar, Ägypten und Israel, "um sicherzustellen, dass alles nach Plan verläuft und jeder Aspekt der Vereinbarung umgesetzt wird", sagte Biden.
Scholz richtet Dank an alle Beteiligten
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte allen, die an der Freilassung beteiligt gewesen waren. "Es ist eine gute Nachricht, dass endlich eine erste Gruppe von Geiseln freigelassen wurde. Wir können kaum ermessen, was sie und ihre Angehörigen in den letzten Wochen haben durchmachen müssen", schrieb er auf der Internetplattform X.
Dies sei das Ergebnis unermüdlicher Diplomatie – der Dank gelte allen, die sich dafür engagiert hätten. Gleichzeitig forderte Scholz ähnliche Lösungen für die übrigen Geiseln: "Der heutige Tag kann nur ein Anfang sein. Hamas muss alle Geiseln bedingungslos freilassen!"
Vereinbarung nach langwierigen Verhandlungen
Die Übergabe der israelischen Geiseln war intensiv vorbereitet worden. Sie werden von israelischen Traumaexperten und Medizinern erwartet, außerdem von speziell ausgebildeten Soldaten, die für ihre Sicherheit sorgen sollen.
Israel und die Hamas hatten nach langwierigen Verhandlungen und insgesamt sieben Wochen Krieg eine Vereinbarung getroffen, die die am Freitagmorgen in Kraft getretene viertägige Feuerpause vorsieht, ebenso wie die Freilassung der 50 israelischen Geiseln und der 150 palästinensischen Gefangenen.
Mehr Hilfe für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen
Als Teil des Abkommens zur Feuerpause wurde auch eine deutliche Ausweitung der humanitären Hilfe vereinbart. Am Freitag etwa sollten rund 200 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangen, darunter auch Tanklaster mit Treibstoff und Gas. Treibstoff ist besonders wichtig, zum Beispiel um Generatoren für Krankenhäuser und die Trinkwasserversorgung zu betreiben.
Nach UN-Angaben brachten vor dem Krieg durchschnittlich pro Tag rund 500 Laster Lieferungen in den Gazastreifen. Rund 100 Lkw-Ladungen pro Tag seien nötig, um eine humanitäre Grundversorgung zu gewährleisten. Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA will die Kampfpause nutzen, um dringend benötigte Hilfsgüter zu verteilen. Israel kontrolliert die Hilfslieferungen sehr genau - aus Angst, Lieferungen könnten auch der islamistischen Hamas zugutekommen.
Im Video: BR-Korrespondentin Sophie von der Tann in Tel Aviv zur Feuerpause in Gaza
1.200 Menschen bei Hamas-Angriff getötet
Am 7. Oktober waren hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas nach Israel eingedrungen und hatten dort Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Nach Angaben der israelischen Regierung wurden etwa 1.200 Menschen getötet, rund 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion darauf begann Israel damit, Ziele im Gazastreifen aus der Luft und vom Boden aus massiv anzugreifen. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seitdem mehr als 14.800 Menschen im Gazastreifen getötet. Bei bisherigen Konflikten stellten sich die palästinensischen Opferzahlen im Nachhinein als valide heraus.
Israelisches Militär: Einsatz im Gazastreifen noch längst nicht abgeschlossen
Indes hat der israelische Außenminister Eli Cohen bekräftigt, dass der Krieg gegen die Hamas nach dem Ende der vorübergehenden Feuerpause wieder aufgenommen werde. Der Krieg werde fortgesetzt, bis die Hauptziele Israels erreicht seien: der Sturz der Hamas und die sichere Rückkehr der Entführten, sagte Cohen, während er gemeinsam mit seinen Kollegen aus Portugal und Slowenien israelische Grenzgebiete besuchte.
Militärsprecher Hagari erklärte, es gebe noch viele Ziele und viele Tunnel, die zerstört werden müssten. Nach dem Ende dieser Feuerpause soll der Krieg deshalb weitergehen. Man sei ins Herz der Militärstruktur der Hamas vorgedrungen und werde die aktiven Kampfhandlungen dort wieder aufnehmen, betonte Hagari. Zivilisten würde man nicht erlauben, in der Zwischenzeit in den Norden des Gazastreifen zurückzukehren.
Mit Informationen von AFP, dpa, KNA und Reuters
Im Video: Mehrere Geiseln wurden freigelassen
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