Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze im April 2024 (Symbolbild)
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Mehr Grenzkontrollen: Was ist im Schengen-Raum möglich?

Mehr Grenzkontrollen: Was ist im Schengen-Raum möglich?

Ab Montag kontrolliert die Polizei an allen deutschen Landgrenzen. Warum ist das möglich, obwohl die Bundesrepublik zum Schengen-Raum gehört? Ist Reisen ohne Kontrollen endgültig vorbei? Und welche Rolle spielt Schengen für Geflüchtete?

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Ab kommendem Montag wird es an allen deutschen Landgrenzen Grenzkontrollen geben. Das hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angeordnet, nach viel Druck aus der Opposition. Ganz neu sind die Kontrollen nicht, an der deutsch-österreichischen Grenze beispielsweise gibt es sie seit Jahren. Eigentlich aber sollten Grenzkontrollen in weiten Teilen Europas vorbei sein – so festgehalten im Schengen-Abkommen. Ist das jetzt Geschichte? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Schengen-Raum, Schengen-Abkommen: Was genau ist das?

Zwischen Staaten, die zum Schengen-Raum gehören, soll es bis auf Stichproben eigentlich keine stationären Passkontrollen an der Grenze geben. Das regeln die Schengener Abkommen. Inzwischen machen alle EU-Staaten bis auf Irland mit, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Zum Schengen-Raum, der rund 30 Länder umfasst, gehören auch einige Nicht-EU-Staaten wie Norwegen und die Schweiz. Für Zollkontrollen gelten andere, strengere Regeln.

Im Jahr 1995 endeten die Grenzkontrollen im damals noch deutlich kleineren Schengen-Raum endgültig. Frei zu reisen, ohne Passkontrollen an allen europäischen Binnengrenzen, gilt als zentraler Punkt der europäischen Integration.

Inwiefern sind Grenzkontrollen trotzdem möglich?

Das Zauberwort lautet "vorübergehend". Denn vorübergehende Grenzkontrollen sind laut dem Schengener Grenzkodex möglich. Allerdings nur "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung ihrer öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" – und maximal drei Jahre am Stück. Alle sechs Monate müssen sie neu begründet werden, bei der EU-Kommission. Aktuell liegen mehrere Klagen gegen die Grenzkontrollen bei deutschen Gerichten.

Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain, sieht die Entwicklung der vergangenen Jahre kritisch. "Eigentlich dürfen Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums wirklich nur die absolute Ausnahme sein", sagt Pichl auf BR24-Anfrage. Tatsächlich aber seien seit dem Jahr 2015 in rund 400 Fällen Grenzkontrollen angeordnet worden. "Wir sind längst in einer Situation, in der ein tragendes Prinzip der Europäischen Union in Gefahr ist – der Abbau von Grenzkontrollen."

Die EU-Kommission müsse die Kontrollen zwar nicht genehmigen, erläutert der Rechtswissenschaftler. "Aber die Kommission ist die Hüterin der EU-Verträge. Und wenn ein Land seine Grenzkontrollen nicht hinreichend erklärt, müsste die Kommission eigentlich ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten." Das passiere aber oft nicht, weil die EU-Staaten in Migrationsfragen zerstritten und die europäische Politik generell nach rechts gerückt sei. Dabei formuliere ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2022 hohe Kriterien für die Ausweitung und Verlängerung von Grenzkontrollen.

Welche Rolle spielt der Schengen-Raum für Geflüchtete?

Suchen Geflüchtete in Europa Schutz, dann ist für ihren Asylantrag eigentlich das Land zuständig, in dem sie zuerst ankommen. Das ist der Kern der sogenannten Dublin-Verordnung: Wo EU-Gebiet oder der Schengen-Raum betreten wird, muss ein Asylantrag gestellt werden. Darauf pochen jetzt auch wieder CDU und CSU. Theoretisch könnten Asylsuchende in Deutschland deshalb eigentlich nur an Flug- oder Seehäfen registriert werden, weil lediglich das Schengen-Außengrenzen sind.

"Die Dublin-Verordnung ist dysfunktional, aber nicht tot", sagt Rechtswissenschaftler Pichl. "Es finden ja regelmäßig Dublin-Verfahren statt." Dafür müssten die Asylsuchenden aber erstmal in Deutschland bleiben, damit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge klären könne, ob eigentlich ein anderer Staat für ihr Verfahren zuständig sei. Die Idee hinter der Dublin-Regelung bleibe wichtig: "Es soll garantiert werden, dass Asylsuchende irgendwo in Europa ein faires Verfahren durchlaufen."

Dauerhafte Grenzkontrollen, massive Zurückweisungen: Im Schengen-Raum erlaubt?

Grenzkontrollen und Zurückweisungen hängen zusammen: Nur bei Kontrollen können Menschen auffallen, die nicht einreisen dürfen – und womöglich gleich an der Grenze von der Polizei zurückgewiesen werden. Ob das rechtlich geht, ist umstritten. Bundesinnen- und Justizministerium schließen solche Zurückweisungen nicht mehr aus. Bisher ist offen, wie das vom Innenministerium angekündigte "Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen" aussehen soll.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus ist sich sicher, dass eine Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen gegen das aktuelle Gesetz verstoßen würde. "Das geht nicht. Das gültige EU-Recht ist in dieser Frage glasklar", sagte Knaus der "Rheinischen Post". Der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Huber hält Zurückweisungen von Geflüchteten an der deutschen Grenze dagegen für rechtens. Das Europarecht stehe dem nicht entgegen, erklärte Huber in der FAZ. Rechtswissenschaftler Pichl betont derweil, dass es schon bisher Zurückweisungen gebe – bei Menschen, die nicht um Asyl bitten.

Wie genau laufen die Grenzkontrollen ab?

Schon jetzt kontrolliert die Bundespolizei an vielen deutschen Grenzübergängen, besonders in Bayern. Dazu sind Schleierfahnder der bayerischen Grenzpolizei unterwegs. Auf diese Art können aber nicht alle Grenzübergänge kontrolliert werden, die oft auch auf kleinen Straßen oder Waldwegen liegen.

Darauf verweist auch Maximilian Pichl von der Hochschule RheinMain. "Wir haben eine sehr große grüne Grenze in Deutschland", sagt der Jurist. "Die Frage ist: Wollen wir zurück in die 90er-Jahre, als Leute teils brutal über die polnische Grenze zurückgetrieben wurden?" Zudem sei es nicht so, dass bisher überhaupt nicht kontrolliert werde. "Schon jetzt steht die Polizei an vielen Grenzübergängen."

Für die geplante Ausweitung der Grenzkontrollen hat die Bundespolizei nach eigenen Angaben genug Personal. Allerdings war in der Vergangenheit auch öfter von unzähligen Überstunden und mangelnder Ausstattung die Rede. Künftig sollen – wie bisher, aber an mehr Grenzübergängen – stichprobenartig Autos und ihre Insassen überprüft werden. Von der Deutschen Polizeigewerkschaft heißt es: In einigen Wochen könne das Personal sogar reduziert werden, "weil andere europäische Staaten unserem Beispiel folgen und ebenfalls wieder kontrollieren werden".

Mehr über den Traum von grenzenloser Freiheit hören Sie im BR24-Podcast "Die Entscheidung". In insgesamt vier Episoden geht es um die EU, Schengen und den Kampf um Grenzkontrollen. Am besten gleich reinhören – hier in der ARD Audiothek.

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