Weniger Güterverkehr auf der Straße, mehr auf der Schiene - zugunsten des Klimaschutzes: An dieser Grundidee soll Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) einem Medienbericht zufolge zweifeln. Der Straßenverkehr würde stetig elektrifiziert. Zudem gebe es Verschiebungen bei den zu transportierenden Gütern. Deshalb greife das bisherige "Paradigma kaum mehr für die Jahre nach 2045", zitierte das "Handelsblatt" aus einem Schreiben des Verkehrsministeriums an den Verkehrsausschuss des Bundestages.
- Zum Artikel: "Neue App soll Schienengüterverkehr verbessern"
"Klima- und Verlagerungsziele sind zu trennen", hieß es in dem Schreiben demnach weiter. Die bislang für den Verkehrssektor definierten Ziele basierten "auf dem früheren Verständnis", dass die Klimabilanz des Verkehrs vor allem durch eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene und die Binnenschifffahrt verbessert werden könne. Nun werde die Straße aber zunehmend elektrifiziert.
"Beides anpacken": Güterverkehr per Schiene ausbauen, per Straße dekarbonisieren
Das Verkehrsministerium widersprach der Darstellung, die Schiene zu vernachlässigen. "Wir distanzieren uns von der aktuellen @handelsblatt-Berichterstattung zur Verlagerung des Güterverkehrs!", schrieb das Ministerium via Twitter. Investitionen würden vielmehr erhöht, das Kernnetz saniert und das Konzept für den Schienengüterverkehr überarbeitet, schreibt das Ministerium. "Selbstverständlich arbeiten wir weiter daran, so viel Verkehr wie möglich auf die Schiene zu verlagern", erklärte zudem ein Sprecher. "Alles, was die Schiene aufnehmen kann, muss sie aufnehmen."
Es sei jedoch so, dass der Transport von Kohle, Koks und Mineralölprodukten zukünftig stark zurückgehen werde. Stattdessen werde der Transport von leichteren Einzelwaren steigen - was sich "natürlich auf die Anteile der jeweiligen Verkehrsträger" auswirke. Deswegen müsse das Verkehrsministerium "beides anpacken": "Wir müssen so viele Güter wie möglich per Zug transportieren - und gleichzeitig den Straßengüterverkehr dekarbonisieren." Zur Überschrift des Handelsblatt-Artikels "Wissing setzt zum Klimaschutz auf neue Lkw-Antriebe statt auf die Bahn" äußerte sich der Minister selbst via Twitter: "Diese Behauptung ist schlicht falsch. Die Bahn wird von uns gerade massiv gestärkt. Was man auf die Schiene verlagern kann wollen wir verlagern. Der klimaneutrale LKW wird trotzdem gebraucht.", erklärt er in dem Post.
"Autominister"? Ampel-Koalition hatte sich auf Schienenausbau verständigt
Matthias Gastel, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verkehrs-Ausschuss begrüßte die Klarstellung des Ministeriums. Die Ampel-Koalition habe sich erst kürzlich auf erheblich höhere Investitionen für eine leistungsfähigere Schiene verständigt, erklärte er via Twitter.
Der Leiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Jens Hilgenberg, forderte: "Hier müssen die Koalitionspartner endlich mal auf den Abmachungen aus dem Koalitionsvertrag bestehen!" Wissing zeige einmal mehr, dass er vor allem als Autominister agiert – schrieb Hilgenberg unter Verweis auf den Handelsblatt-Artikel.
Im März hatte die Koalition ein Maßnahmenpaket vorgestellt, um Infrastruktur und Klimaschutz auszubauen. SPD, Grüne und FDP hatten sich auf ein 16-seitiges Papier verständigt, das unter anderem den beschleunigten Ausbau der Autobahnen an 144 Stellen und Milliardeninvestitionen in das Schienennetz vorsieht.
"Noch mehr Tempo": Grünen und FDP beharken sich weiter
Die Grünen zeigen sich jedoch unzufrieden mit den mühsam errungenen Ergebnissen. Der Vorsitzenden Ricarda Lang ist der Kurs zu wenig ambitioniert. "Wir sind eine Regierung, die beim Klimaschutz vorangeht - aber nicht immer so schnell, wie ich mir das wünschen würde. Da brauchen wir insgesamt noch mehr Tempo", sagte Lang den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigte am Sonntag in der ARD: "Es ist in der Tat so, dass der Verkehrsbereich seine Klimaschutzziele nicht einhalten wird. Da hätten andere Beschlüsse gefasst werden müssen." Er verteidigte allerdings den Kompromiss zum Autobahnausbau: "Wenn ein Engpass beseitigt wird, den die Länder selber beseitigen wollen, dann finde ich, ist es ein vergleichsweise guter Indikator, dass man da jetzt nicht nur Unsinn macht und irgendwie sinnlos durch die Gegend betoniert."
Bundesfinanzminister Christian Lindner reklamierte die Urheberschaft für die Länderbeteiligung für sich: "Es war mein Vorschlag, dass wir die Länder mit ins Boot holen", sagte der FDP-Vorsitzende der "Bild am Sonntag". Jetzt könnten gut 1.000 Kilometer Autobahnbau beschleunigt werden. "Das gelingt aber nur dann, wenn das vor Ort auch gewünscht ist."
Mit Informationen von dpa und AFP
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