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"Nicht erquicklich": Länder streiten vor Migrationsgipfel

Das Gipfeltreffen im Kanzleramt zur Asylpolitik verzögerte sich erheblich: Vor den Beratungen mit Olaf Scholz entbrannte ein Streit unter den Bundesländern. Der Grund: Die Unionsforderung nach Asylverfahren außerhalb Europas.

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Die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben sich in schwierigen Gesprächen auf einen Forderungskatalog zur Migrationspolitik für das Spitzentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verständigt. Alle 16 Länderchefs seien einig in der Forderung nach der Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende und die Begrenzung des Familiennachzugs, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), Montagabend in Berlin. Gemeinsam werden demnach auch eine Wiederbelebung des EU-Türkei-Abkommens, effektivere Binnengrenzkontrollen und eine Weiterentwicklung des Asylrechts in einer parteiübergreifenden Kommission gefordert.

Die Gespräche der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen dauerten deutlich länger als geplant. Nach Angaben von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lag dies daran, dass die unionsgeführten Länder zusammen mit dem von den Grünen regierten Baden-Württemberg kurzfristig weitergehende Forderungen als im Vorfeld abgesprochen aufgestellt haben. Die Runde der Länderchefs sei "nicht erquicklich" gewesen, sagte Weil.

Streit über Unions-Forderung verzögert Migrationsgipfel

Konkret ging es um Forderung nach Asylverfahren außerhalb Europas. Demnach sollte Bundeskanzler Scholz aufgefordert werden, dass "die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Drittstaaten erfolgen soll".

Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten aller Bundesländer waren am Mittag in Berlin zunächst zu eigenen Beratungen zusammengekommen, um ihre Forderungen an den Bund untereinander abzustimmen. Anschließend sollte der Bund-Länder-Gipfel mit Scholz folgen. Der Beginn verzögerte sich wegen des Länder-Streits deutlich.

Auf der Tagesordnung des Gipfels stehen neben einem schärferen Migrationskurs auch Themen wie die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets, die Krankenhausreform sowie die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Zu diesem Punkt verkündete Kanzler Scholz am Abend die erste Einigung: Diese sehe "grundlegende Änderungen" vor, um Vorhaben etwa in den Bereichen Bau, Energie und Verkehr zu beschleunigen.

SPD-Chef Klingbeil: "Sachlich und pragmatisch diskutieren"

Weil sagte mit Blick auf die Forderung nach Asylverfahren außerhalb Europas, die SPD-geführten Länder hätten sich dies nur für Transitstaaten vorstellen können, also für Länder, in denen sich Migranten bereits befinden oder in die sie selbst gekommen sind. "Aber wir sind nicht in der Lage, heute zuzustimmen dem Wunsch, Drittstaaten im Allgemeinen auch dafür vorzusehen."

SPD-Chef Lars Klingbeil hatte zuvor betont: "Ich bin dafür, dass wir das Ganze sehr sachlich und pragmatisch diskutieren." Er habe jedoch Fragen zu Praxistauglichkeit, Humanität und Rechtsstaatlichkeit solcher Verfahren.

Grünen-Chef Omid Nouripour äußerte sich zurückhaltend. "Wir sind für jede Lösung zu haben, die effektiv ist und die rechtsbasiert ist", sagte Nouripour in Berlin. Gleichzeitig forderte er konkrete Vorschläge ein: "Wir sind bereit, jede Diskussion zu führen, aber es gibt keine Vorschläge auf dem Tisch. Ich weiß nicht, welches Land damit gemeint sein soll."

Söder pocht weiter auf "Integrationsgrenze"

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verlangte vor der Ministerpräsidentenkonferenz erneut "eine grundlegende Neuordnung der Migrationspolitik in Deutschland und eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung". Nötig seien eine "belastbare Integrationsgrenze", effektiver Grenzschutz mit der Möglichkeit zu Zurückweisungen an der Grenze sowie die Durchführung nationaler Asylverfahren auch in Drittstaaten, schrieb er in den sozialen Medien.

Zudem brauche es konsequente Abschiebungen mit schnelleren Verfahren, zentralen Ausreisezentren an Flughäfen und einer massiven Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten. Zuzugsanreize müssten reduziert werden. Dazu zähle die Senkung der Sozialleistungen für Asylbewerber auf das europäische Maß und die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen. Die schwarz-orange Koalition in Bayern will notfalls im Alleingang eine Bezahlkarte für Asylbewerber einführen.

Kretschmer will Debatte über Grundgesetz

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst betonte im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF: Das Wichtigste sei, die Zahl derjenigen zu reduzieren, die irregulär nach Deutschland kämen sowie derjenigen, die keine Bleibeperspektive hätten. Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, (CDU) sieht dringenden Handlungsbedarf. "Der Rechtsruck ist in vollem Gange. Letztendlich entscheidet der Montag nicht unwesentlich über die politische Zukunft Deutschlands", sagte er.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte wenige Stunden vor dem Bund-Länder-Gipfel, auch über eine Änderung des Asyl-Artikels 16 im Grundgesetz müsse diskutiert werden. "Als das Grundgesetz mit diesem wirklich allgemeinen Anspruch auf Asyl gemacht worden ist, waren wir in einer ganz anderen Zeit", argumentierte Kretschmer. Heute seien Millionen und Abermillionen auf der Flucht. Das Recht müsse so angepasst werden, um zu entscheiden, wer nach Deutschland komme, so der CDU-Politiker. In der aktuellen Situation sollten nicht von vornherein rote Linien formuliert werden.

CDU-Chef Friedrich Merz will bei den Sozialleistungen die verfassungsrechtlichen Spielräume mehr ausnutzen: "Also zum Beispiel bei abgelehnten Asylbewerbern schon nach 18 Monaten die vollen Leistungen des Sozialstaates der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren, ist vom Verfassungsgericht so nicht entschieden", sagte Merz am Sonntag im ARD-"Bericht aus Berlin". Auch FDP-Chef Christian Lindner wirbt dafür, Sozialleistungen zu kürzen. Im heutigen FDP-Präsidiumsbeschluss fordert seine Partei eine scharfe Korrektur bei den Leistungen für Asylbewerber. Das hohe Niveau an Sozialleistungen dürfe nicht länger Anreize für irreguläre Migration nach Deutschland setzen. In der Migrationspolitik brauche es eine neue Realpolitik, so FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.

Kosten bleiben ein großes Streitthema

Einen großen Dissens zwischen Bund und Ländern gibt es noch immer bei den Flüchtlingskosten. Für die Unterbringung, Versorgung und Abschiebung von Flüchtlingen sind laut Verfassung die Länder zuständig - sie verlangen vom Bund daher deutlich mehr Geld.

Zu den Forderungen gehört eine Pro-Kopf-Berechnung (10.500 Euro pro Migrant), eine jährliche Pauschale von sechs Milliarden Euro (1,25 Milliarden Euro zusätzlich) und die vollständige Übernahme der Unterkunftskosten durch den Bund. Denn laut dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Rhein, summieren sich die asyl- und flüchtlingsbedingten Ausgaben der Länder allein in diesem Jahr auf 17,6 Milliarden Euro. Hinzu kommen laut Rhein weitere 5,7 Milliarden Euro an Kosten, die von den Kommunen getragen werden.

Das Bundesfinanzministerium rechnete dem ARD-Hauptstadtstudio vor, dass die Bundesebene für Flüchtlinge 2023 rund 30 Milliarden Euro ausgeben werde. Darunter fallen allerdings alle Kosten, die der Bund mit Flüchtlingen in Verbindung bringt. Im Jahr 2023 zum Beispiel auch mehr als zehn Milliarden Euro für die Bekämpfung von Fluchtursachen.

Mit Informationen von dpa und AFP.

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