Der Tropfen und das Fass. Die Abschaffung der Steuerrückerstattung für Agrardiesel bezeichneten protestierende Bauern immer wieder als den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Daher die Kritik, die Wut, der Protest. In diesem Fass, das betonen die Bauern bis heute, stecke vor allem viel Bürokratie. Die Politik gelobt seitdem Besserung, und die Konferenz der Länder-Agrarminister heute in Erfurt soll nun den Start markieren für konkretes politisches Handeln. "Die Agrarminister müssen in Erfurt endlich Beschlüsse fassen und konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen", fordert Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV).
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Das konkrete Ziel: Bürokratieabbau
Bürokratieabbau heißt das Zauberwort. Doch damit befinden sich die Länder-Agrarminister in Deutschland in einem Spannungsfeld: Einerseits Vorschriften und Dokumentationspflichten streichen, anderseits den Überblick behalten, was in den Betrieben verfüttert, wie viel gedüngt und gespritzt und was gepflanzt wird. Schlussendlich wollen die Agrarminister die Arbeit der Landwirte einfacher machen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) erwartet daher von der Frühjahrstagung der Agrarminister in Erfurt ein Signal für Bürokratieabbau in der Landwirtschaft. "Darüber besteht weitgehend Konsens", sagt Özdemir gleich zu Beginn des zweitägigen Treffens in Erfurt.
Bisher ist die Arbeit der Landwirte kompliziert. Beispiel: Düngen. Noch bevor ein Bauer düngen kann, muss er alles dokumentieren, etwa was und wie viel er düngen will. Wann immer es aufs Feld geht, heißt es davor: Ab ins Büro, Ordner und Laptop sind Arbeitsgerät. Saatgut, Düngemittel, Tierfutter: Alles, was auf den Hof kommt, muss der Landwirt notieren. Aber auch nach der Arbeit geht's wieder ins Büro. Welches Feld wurde wann gedüngt? Und mit was: Gülle, Mist, Kompost oder Mineraldünger? Und wie viel davon? Das setzt viele Landwirte unter Druck und belastet sie, auch weil Bußgelder drohen, wenn die Dokumentation nicht passt.
"Stoffstrombilanz" als bürokratisches Ungetüm
Doch diese Dokumentation (Stoffstrombilanz heißt der Fachbegriff) hat auch seine Gründe. Die Bilanz soll einen Überblick über die Nährstoffeffizienz der landwirtschaftlichen Produktion eines Betriebes geben. Stickstoff oder Phosphor etwa kommen in den landwirtschaftlichen Betrieb in Form von Düngemitteln, außerdem werden Futtermittel, Saatgut und Tiere zugekauft. Die Abfuhr von Nährstoffen aus dem Betrieb erfolgt über den Verkauf von tierischen und pflanzlichen Produkten.
Durch die Dokumentation – so das Ziel – kann der Landwirt selbst seinen Betrieb optimieren. Befürworter der Dokumentation ist die Wasserwirtschaft. Sie erhofft sich Rückschlüsse darauf, wer etwa für eine Nitratbelastung des Grundwassers verantwortlich sein könnte. Die Kritiker, vor allem die Landwirte, halten die Stoffstrombilanz für ein bürokratisches Ungetüm.
Gewässerschutz dank Stoffstrombilanz?
Sowohl Kritiker als auch Befürworter haben ihre Argumente. Bemerkenswert ist eine Expertenanhörung zum Thema im Bundestag im November 2023. Bereits dort warnten Experten, dass die Stoffstrombilanz zu bürokratisch sein könnte. Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) etwa warnte vor einem immensen bürokratischen Aufwand für die landwirtschaftlichen Betriebe, der großes Frustrationspotenzial mit sich bringe. Ein Experte des renommierten Thünen-Instituts forderte, Bund und Länder müssten alle Digitalisierungschancen nutzen, um den Aufwand für Landwirte in Grenzen zu halten. Nur für eine Excel-Datei zu sorgen, reiche nicht, sagte der Experte. Diese Warnungen liefen weitgehend ins Leere.
Doch dann folgten ab Ende 2023 die bundesweiten Bauernproteste. Bürokratieabbau in der Landwirtschaft ist seitdem das Ziel eigentlich aller Politiker. Konkret ist daher die Stoffstrombilanz im Feuer. Das wird nun eines der Kernthemen beim Agrarministertreffen sein. Dazu wird auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) einen Antrag unter dem Titel "Gemeinsam für schlankere Bürokratie" in Erfurt einbringen. Die Stoffstrombilanzverordnung soll demnach abgeschafft werden. Gut möglich, dass es dazu zumindest einen Beschluss geben wird. Allerdings ist das nicht mehr als eine Absichtserklärung, eine Forderung.
Wer gibt den Ton an?
Im Schatten der Agrarministerkonferenz in Erfurt spielen sich aber auch handfeste Machtinteressen ab. Denn die Situation unter den landwirtschaftlichen Verbänden ist angespannt. Ein Interview vom Wochenende zeigt, wie sehr. Der Deutsche Bauernverband (DBV) will nach Aussage seines Generalsekretärs Bernhard Krüsken nicht mehr auf dem vollen Erhalt der Subventionen beim Agrardiesel bestehen. "Wir sind kompromissbereit, wenn es im Gegenzug zu Mehrbelastungen beim Kraftstoff an anderer Stelle zu realen Entlastungen kommt", sagte Krüsken der "Welt am Sonntag".
Reflexartig hagelte es Kritik, vor allem aus Sachsen-Anhalt. Dort reagierten Bauernbund, LSV Sachsen-Anhalt und Freie Bauern mit Unverständnis auf die Ankündigung des DBV. Man sei doch nicht monatelang auf die Straße gegangen, um jetzt kleinlaut zurückzurudern, heißt es aus Sachsen-Anhalt. Kurz vor der Agrarministerkonferenz dürfe die Glaubwürdigkeit der gesamten Proteste nicht infrage gestellt werden. Doch geht es wirklich um die Glaubwürdigkeit der Proteste? Oder geht es auch darum, wer hier das Sagen hat unter den Verbänden?
Bauernverband: "Fette Schlagzeile, mehr nicht"
Nach dem Interview ruderte der DBV zurück. Denn dieser mächtige deutsche Verband sieht wie ein Getriebener aus. In den sozialen Medien verbreitet der DBV schnell eine "Klarstellung bezüglich ungenauer Medienartikel" seines Generalsekretärs. In Sachen Agrardiesel sei der DBV nur kompromissbereit, wenn es im Gegenzug zu "mindestens gleichwertigen Entlastungen kommt". Auf Nachfrage, was konkret ungenau in dem Medienbericht war, teilt der DBV mit: Der Generalsekretär sei etwas überinterpretiert worden. Und weiter: "Es war eine fette Schlagzeile, mehr nicht."
Gleichzeitig ruft das Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, auf den Plan. Zunächst versucht er im Interview mit dem BR, Krüskens Aussagen gerade zu ziehen. Hier sei Krüsken missverstanden worden, sagt Felßner. Die Bauernvertretungen in Deutschland seien sich einig: Die Agrardieselsubventionen müssten erhalten bleiben. Dann setzt er noch eine unmissverständliche Botschaft: "Wir geben keinen Millimeter nach beim Agrardiesel."
Bauernverbände haben von Bauernprotesten 2019 gelernt
Felßner spielt eine Schlüsselrolle bei den bundesweiten Protesten. Um das zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückschauen. 2019 rollen Traktoren durch Berlin, es sind heftige Bauernproteste. Damals richtet sich der Protest gegen die Düngegesetzgebung, aber die Verbände können sich damals nicht einigen, sind zerstritten. Das Bündnis "Land schafft Verbindung" (LSV) zersplittert sogar nach internen Streitigkeiten. Übrig bleiben viele regionale LSV-Ableger.
Doch die Bauernproteste 2023/24 laufen anders. Es sieht so aus, als hätten sich insbesondere die LSV-Verbände und Bauernverband zur Einigkeit verschworen: gemeinsame Protestaufrufe und kein böses Wort mehr über den anderen. Sogar eine effiziente Arbeitsteilung deutet sich an. LSV mobilisiert vor allem jüngere Landwirte über WhatsApp. Der Bauernverband hat seine Stammmitglieder und die Verbindlichkeit in der Branche sowie Kontakte in die Politik. Im Ergebnis reichten die Bauernproteste 2019 in ihrer Schlagkraft nicht annähernd an die Proteste 2023/24 heran.
Bauernverbände: Partner oder Rivalen?
Günther Felßner ist nicht nur Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, sondern auch Vizepräsident des DBV. Er ist aber nicht nur von Amts wegen gut verdrahtet. Er gilt als Mittler zwischen den verschiedenen landwirtschaftlichen Organisationen und Verbänden. Die Erfahrungen der Proteste aus 2019 haben ihn geprägt. "Das war mein erster Gedanke, als wir die Demo in Berlin geplant haben: Es muss anders werden als 2019", sagt Felßner im Gespräch mit dem BR.
Von Bayern aus entsteht gleich zu Beginn der Proteste eine enge Kooperation zwischen Bauernverband und LSV auf Bundesebene. Denn wenn es darum geht, welcher Verband am Ende das Sagen hat, ist die Gefahr der Zersplitterung immer gegeben. Wohl auch deshalb machte Claus Hochrein von "Landwirtschaft verbindet Bayern" bereits im Januar klar: "Wenn wir etwas erreichen wollen, geht das nur miteinander."
Agrardiesel-Subvention kurz vor dem Aus
Ab Freitag nächster Woche beginnt eine neue Zeitrechnung für die Verbände. Dann nämlich liegt das Haushaltsfinanzierungsgesetz im Bundesrat - und damit auch das endgültige Aus der Agrardieselsubvention. Wahrscheinlich ist, dass das auch so durchgeht im Bundesrat. Dann verlieren die Bauernproteste ihren Kern, weil dann alle Möglichkeiten erschöpft sind, die Agrardieselsubvention zu erhalten. Künftig werden dann vor allem die Alternativen im Zentrum stehen wie beispielsweise eine Steuerfreiheit auf Bio-Kraftstoffe und andere Steuererleichterungen. Ob die Bauernverbände dann als Partner oder als Rivalen auftreten werden, wird sich zeigen.
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