Das Bundeswehr-Lager Camp Castor ist im September 2023 in Aufbruchstimmung: Hier waren viele Jahre deutsche Soldatinnen und Soldaten als Teil der UN-Mission Minusma stationiert. Sie sollten den Frieden in Mali sichern. Eine Mission voll Gefahren. Denn die in Mali regierende Militärjunta führt gleichzeitig Krieg gegen Tuareg-Rebellen und Islamisten – mit Unterstützung russischer Wagner-Söldner. Und die sind nicht erst seit dem Ukraine-Krieg für ihre Brutalität berüchtigt.
UN nicht mehr erwünscht
Doch die Mission endet. Denn: Die malische Regierung will Minusma nicht mehr haben. Weil sich die Zusammenarbeit mit der malischen Militärregierung immer weiter verschlechtert hatte, beschloss der Bundestag zunächst den Abzug aller deutschen Soldaten bis Mitte 2024. Doch dann verkündete die malische Regierung überraschend: Alle UN-Kräfte müssen so schnell wie möglich das Land verlassen. Sie sollen bis Ende des Jahres 2023 abziehen. Das Mandat der Bundeswehr wurde nur noch bis Ende 2023 verlängert, um den Rückzug zu gewährleisten.
Und genau diese letzten Monate in Mali haben es für die Deutschen in sich: Die Bundeswehr muss Waffen und schweres Gerät nach Deutschland zurückbringen und ein Lager zurückbauen, das über die Jahre zu einer kleinen Stadt angewachsen ist. Und das unter größten Widrigkeiten und hohem Zeitdruck.
Unterstützung für den sicheren Abzug
Gebirgsjäger Alex soll seine Kameradinnen und Kameraden beim Abzug schützen und unterstützen, gemeinsam mit seinen Kameraden dafür sorgen, dass alle deutschen Soldatinnen und Soldaten sicher nach Hause kommen. Für ihn ist es der zweite Einsatz in dem Land, er war 2019 schon mal hier. Doch damals war die Lage noch weit weniger gefährlich. Mitte 2023 dagegen häufen sich die Anschläge islamistischer Terroristen.
Gefahr und Geld – ohne positive Bilanz?
Kurz vor seiner Verlegung nach Mali im Sommer 2023 besucht Alex seine Eltern in Berlin. Sie haben große Sorgen, denn mehr als 300 UN-Soldaten sind bereits im Einsatz gestorben. Sein Vater meint, dass "diese ganzen Aktionen von Afghanistan über Mali bis hin nach Niger für die Katz" seien.
Er sieht kein positives Ergebnis: "Es haben Leute ihr Leben riskiert und da ist gigantisches Geld ausgegeben worden, ohne dass ich aus heutiger Sicht auch nur einen Funken von Resultat sehen könnte", sagt der Vater des Soldaten. Im Gegenteil: Afrika sei in einem größeren Aufruhr als je zuvor. Für den schlimmsten aller Fälle hat Alex ein Testament aufgesetzt. Das sei Usus – da gebe es bereits etwas "Vorgefertigtes" der Bundeswehr.
Beobachten, befragen, berichten
Wie sah der Einsatz in den vergangenen Jahren aus? Die Soldaten waren im Land unterwegs, um zu beobachten, befragen und zu berichten – und das auch in den Camps, in denen Tausende leben, die vor islamistischen Terroristen geflohen sind. Die Soldaten sollten herausfinden, ob Kriminelle in der Gegend aktiv sind, wie die medizinische Versorgung ist und ob die Menschen in den Dörfern genug Wasser und Nahrungsmittel haben.
Doch Kriminelle festsetzen durften sie nicht. Die deutschen Soldaten und ihre Kameraden aus den anderen Minusma-Partnerländern sollten den brüchigen Frieden in Mali überwachen, aber sie durften nicht eingreifen. Einer der Gründe dafür, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die UN-Mission sank.
Deutschland geht als letztes westliches Land
Im Herbst 2023 ist Deutschland das letzte westliche Land, das noch in Mali aktiv ist. Wichtigste Macht war jahrelang Frankreich, aber bereits vor über einem Jahr zogen die französischen Soldaten ab. Anders als die Deutschen hatten sie aktiv gegen Terroristen gekämpft. Doch als ehemalige Kolonialmacht hatten auch die Franzosen wenig Rückhalt im Land.
Der Chef des deutschen Camps, Heiko Bohnsack, wählte deshalb eine andere Strategie im Umgang mit Mali als Frankreich: "Wir versuchen tatsächlich unseren malischen Partnern stets mit Respekt zu begegnen. Und unsererseits betonen wir stets die Souveränität Malis." Das habe Vertrauen erzeugt. Doch Tatsache ist: Die Regierung in Mali will auch die Bundeswehr nicht mehr im Land haben. Obwohl es keinen Frieden gibt in Mali.
Gescheitert?
Ist die Mission also gescheitert? Der Verteidigungsminister findet: ja. Camp-Chef Bohnsack findet, man könne darüber geteilter Meinung sein. Doch das Ziel, in Mali zwischen den Nordgruppen und der Zentralregierung den Frieden zu stabilisieren, "das haben wir nicht erreicht."
Die letzten Monate des Einsatzes im Herbst 2023 sind besonders schwierig für die deutschen Einsatzkräfte. Und gefährlich. Und das nicht nur wegen der Terroristen. Nur drei Monate, bevor die Bundeswehr das Land verlassen muss, gibt es plötzlich keine Flüge mehr. Weder Material noch Soldaten können aus dem Land befördert werden. Der Grund: Eine zivile Logistikfirma ist in den Streik getreten, weil das Bundesverteidigungsministerium die Bezahlung eingestellt hat. Ein Vertragsstreit mit massiven Auswirkungen für die Bundeswehr – quasi ein "Vollstopp" der Mission.
Auktion zur finanziellen Schadensbegrenzung
Gleichzeitig ist "Ausverkauf" im Camp, denn die Deutschen lassen einen Teil der Ausrüstung im Land und versteigern sie. Einheimische können alles kaufen, was nicht sicherheitsrelevant ist. Ansonsten ist alles dabei: Alte Rasenmäher, Computer und Elektroschrott, Stühle und Büromaterial. Sogar eine komplette Duschkabine und die Autos.
Die Auktion läuft ohne Mindestgebot und die Dinge werden meist unter Wert verkauft. Doch der Transport zurück nach Deutschland würde viel mehr kosten, als die Geräte wert sind. Auch eine Verschrottung wäre teuer und unnötig. Die Versteigerungen sind eine Art Schadensbegrenzung für die deutschen Steuerzahler. Am Ende dieser einen Auktion werden Angebote im Wert von knapp 100.000 Euro abgegeben.
Kurz vor Weihnachten heben die letzten Bundeswehr-Maschinen in Richtung Deutschland ab, während Mali am Abgrund steht.
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