Für Nancy Faeser ist es schon länger ein Spagat. Anfang Mai vergangenen Jahres wählt sie die hessische SPD wieder zur Landeschefin. Faeser verspricht: "Auch wenn ich durch mein Amt als Bundesinnenministerin viel in Berlin bin, in Brüssel oder in der ganzen Republik, so hat sich doch nichts geändert: Mein Herz ist in Hessen."
18 Jahre saß Faeser in Wiesbaden im Landtag. War Oppositionsführerin und Innenexpertin. Dass Olaf Scholz sie in sein Kabinett holt, hat viele überrascht. Die Wechselgerüchte nach Hessen begleiten sie von Anfang an - befeuert aus den eigenen Reihen.
Parteifreundin und Kabinettskollegin Christine Lambrecht erklärt im vergangenen Frühjahr in einem Interview, sie setze auf Faeser als Spitzenkandidatin und Ministerpräsidentin. Der damaligen Verteidigungsministerin wird zu dem Zeitpunkt nachgesagt, auf Faesers Nachfolge im Innenministerium zu schielen. Die gibt sich unbeirrt und betont immer wieder: "Ich bin mit voller Kraft Innenministerin. Alles andere spielt für mich keine Rolle."
Bundesinnenministerin ist sehr präsent
Faeser sucht die Öffentlichkeit. An manchen Tagen kommen die Pressemitteilungen aus ihrem Ministerium im Stundentakt. Im Sommer besucht sie eine Sicherheitsbehörde nach der anderen. Sie stärkt Polizisten und Helfern den Rücken bei einem Zugunglück, nach den Silvesterkrawallen und Gewalttaten.
Bei der Fußball-WM in Katar zeigt sie sich mit der One-Love-Binde, um ein Zeichen zu setzen für Menschenrechte. Faeser legt eine Cyberagenda vor und Strategien gegen Hass und Hetze; sagt Rechtsextremismus, Organisierter Kriminalität und Kindesmissbrauch den Kampf an.
Die SPD-Politikerin arbeitet den Koalitionsvertrag ab. Sie bringt das Chancenaufenthaltsgesetz auf den Weg - für Menschen, die schon länger hier leben. Asylverfahren sollen beschleunigt werden; der Weg zum deutschen Pass verkürzt.
Union fordert Faeser zum Rücktritt auf
Alexander Throm reicht das nicht. Die Bilanz des CDU-Innenpolitikers fällt enttäuschend aus: "Viele Ankündigungen, aber keine Handlungen. Auch das zeigt, dass es ihr eigentlich um etwas anderes gegangen ist, das ganze letzte Jahr."
Throm wirft Faeser vor, dass Bundesinnenministerium als Plattform zu nutzen – um sich bekannter zu machen für die Kandidatur in Hessen. Der CDU-Mann fordert Faeser zum Rücktritt auf. Die Herausforderungen seien zu groß für eine "Teilzeitministerin".
Kritische Stimmen aus der Ampel
So etwas ist nicht nur aus der Opposition zu hören, sondern auch aus der Ampelkoalition. Der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich rät Faeser ab, zwei Aufgaben gleichzeitig zu Übernehmen. Das sei fast nicht zu schaffen. "Es braucht eine Innenministerin, die die Aufgaben beherzt angeht, und Entscheidungen nicht aus dem Wahlkampfmobil heraus trifft."
Als Aufgaben nennt Emmerich: die Reformen der Sicherheitsbehörden, die Stärkung des Bevölkerungsschutzes, die Folgen des Krieges in der Ukraine und die Situation der Flüchtlinge hier.
Scholz gibt Faeser volle Rückendeckung
Dass die Kritik an Faeser von Grünen und CDU besonders laut ist, kommt nicht überraschend. Sie wären schließlich die Kontrahenten in Hessen: Boris Rhein von der CDU würde gerne Ministerpräsident bleiben. Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir von den Grünen will es werden. Eine prominente Kandidatin wie Faeser könnte den Wahlkampf zu einem echten Dreikampf machen.
Bundeskanzler Olaf Scholz würde es offenbar nicht stören. Bei einem Firmenbesuch gestern in Hessen lobt er Faeser als "tolle Frau", die "großartige Dinge" könne. Jede Hessin und jeder Hesse könne sich nur wünschen: "Na so eine hätte ich gerne." Der Kanzler soll Faeser volle Rückendeckung versprochen haben – auch für den Spagat zwischen Hessen und Berlin.
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