In den Wochen und Monaten vor dem sogenannten "Jubiläumsgipfel" zum 75. Gründungsjahr der Nato in Washington dominierten im Bündnis zwei zentralen Fragen: Wie signalisiert die Allianz der Ukraine, dass sie sie auf Dauer unterstützen wird, ohne auf dem Spitzentreffen vom 9. bis 11. Juli die Ukraine erneut auf offener Bühne zu enttäuschen? Und zweitens: Wie kann die Nato ihre Unterstützung für die Ukraine "Trump-fest" machen, für den Fall, dass der republikanische Spitzenkandidat und Ex-US-Präsident im November gewinnen sollte?
Offenkundig sind diese sehr intensiv geführten internen Debatten innerhalb der Nato abgeschlossen. In Washington werde die transatlantische Allianz auf dem Spitzentreffen der Nato-Staats- und Regierungschefs ankündigen, dass sie ein Ukraine-Unterstützungszentrum der Nato einrichten werde.
Umgang mit ukrainischem Streben nach Nato-Aufnahme
Wie die "New York Times" bereits vor einigen Tagen unter Berufung auf US-Regierungskreise und Nato-Quellen berichtete, will das Bündnis der Ukraine "ein neues Hauptquartier zur Verwaltung ihrer militärischen Unterstützung anbieten". Vor einem Jahr beim Nato-Gipfel in Litauen hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj aus seiner Enttäuschung keinen Hehl gemacht, dass die Allianz seinem angegriffenen Land nicht das in Aussicht stellt, was die Ukraine seit langem anstrebt: einen verbindlichen Fahrplan zur Aufnahme der Ukraine in die Nato in den kommenden Jahren.
Dieser diplomatische Rückschlag soll auf dem Jubiläumsgipfel offenkundig vermieden werden. Stattdessen, so die "New York Times" weiter, werde das Bündnis ankündigen, dass es sich bereit erklärt habe, "eine Mission in Deutschland einzurichten, die längerfristig alle Arten von Hilfe für die Ukraine koordinieren soll". Damit würde ein "starkes Signal des Engagements der Alliierten" an die Ukraine und an Russland gesendet werden.
Selenskyj signalisiert Zustimmung
Vor dem Hintergrund dieser Pläne, über die die "New York Times" berichtet und die das Bündnis offiziell erst auf dem Gipfeltreffen in Washington bekannt geben will, lesen sich die kurzen Erklärungen des scheidenden Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg und des ukrainischen Präsidenten Selenskyj wie Bestätigungen. So twitterte Selenskyj nach seiner Zusammenkunft mit Stoltenberg am Donnerstag dieser Woche in Brüssel, das Treffen habe der Vorbereitung des bevorstehenden Nato-Gipfels gedient.
Und der ukrainische Präsident fügte hinzu: Er erwarte "Entscheidungen zur Stärkung der Rolle des Bündnisses bei der Koordinierung der Sicherheitshilfe und der Ausbildung der ukrainischen Truppen" sowie langfristige finanzielle Verpflichtungen gegenüber der Ukraine. Stoltenberg wiederum ließ mitteilen, er gehe davon aus, dass die Mitgliedsstaaten in Washington zustimmen würden, dass die Nato die Führung bei der Koordinierung und Bereitstellung von Sicherheitshilfe und Ausbildung für die Ukraine übernimmt.
Was soll das Ukraine-Unterstützungszentrum der Nato leisten?
Bislang liefern Nato-Mitgliedsstaaten sowie weitere Unterstützerländer der Ukraine ihre militärischen und logistischen Hilfen bilateral an Kiew. Das sogenannte "Ramstein-Format", das nach dem russischen Überfall auf die Ukraine unter US-Führung die diversen Rüstungsgüter sowie Ausbildungsmissionen der Unterstützerstaaten koordiniert hat, bleibe auf ausdrücklichen Wunsch von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bis auf Weiteres bestehen.
Der offizielle Name des neuen Ukraine-Unterstützungszentrums werde lauten: "NATO Security Assistance and Training for Ukraine" (NSATU), NATO-Sicherheitsunterstützung und -ausbildung für die Ukraine. Die Intention sei es, "Doppelarbeit und Komplikationen durch die verschiedenen Arten von Waffen, die in die Ukraine geschickt werden, zu verringern."
Zentrum wohl in Wiesbaden
Das Zentrum werde auf dem Gelände der US-Streitkräfte in Wiesbaden errichtet, so der langjährige "New York Times"-Korrespondent Steven Erlanger am 24. Juni in seiner Zeitung. Damit würden "die Aktivitäten der derzeitigen 'capabilities coalition' von Ländern, die der Ukraine verschiedene Aspekte der militärischen Hilfe zur Verfügung stellen, wie Luftabwehr, Artillerie, F-16 Kampfjets, Waffen und Ausbildung, unter einem Dach" vereint werden. Zudem würden auch die verschiedenen Ausbildungsmissionen für ukrainische Soldaten sowie die bisherigen Sicherheitsabkommen einzelner Nato-Mitglieder mit der Ukraine koordiniert werden.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg hatte bereits nach einem Treffen der Verteidigungsminister am 14. Juni erklärt, das Bündnis habe sich auf einen Plan geeinigt, "in dem festgelegt ist, wie die Nato die Koordinierung der Sicherheitsunterstützung und der Ausbildung leisten wird". Damit würde die Unterstützung des Bündnisses für die Ukraine "für die kommenden Jahre auf eine solidere Grundlage gestellt."
Weiterhin kein Fahrplan zur Nato-Aufnahme
Entgegen dem Drängen einiger Nato-Staaten, darunter der baltischen Bündnismitglieder, der Ukraine einen konkreten Fahrplan zur Aufnahme in die Nato vorzulegen, zählen US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz zu den einflussreichen Stimmen in der Allianz, die dies ablehnen. Wie bereits beim letzten Nato-Gipfeltreffen in Vilnius im Juli 2023, so wird es auch in der Gipfelerklärung in Washington keinen entsprechenden Passus geben.
Um allerdings ein sicherheitspolitisch verbindliches Signal auszusenden, dürften die Staats- und Regierungschefs der Allianz dieses neue Unterstützungszentrum ins Leben rufen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte bereits Mitte Juni an, dass die Nato mit diesen Bemühungen "nicht zu einer Konfliktpartei" werde, sondern die Ukraine bei der Wahrung ihres Selbstverteidigungsrechts stärke.
Zum Video: 75 Jahre Nato - Wie wichtig ist das Bündnis für den Frieden?
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