Die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung ist einem Medienbericht zufolge deutlich schlechter als bislang öffentlich bekannt. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt) unter Berufung auf Koalitionskreise berichtete, droht nach aktueller Einschätzung der Bundesregierung ohne ein Eingreifen bereits im kommenden Februar eine Zahlungsunfähigkeit. Es gebe bereits Gespräche in der Koalition über eine "Notoperation", um eine Pleite zu verhindern, hieß es weiter.
- Zum Artikel: Kann die Pflegeversicherung pleitegehen?
Lauterbach: Es droht keine Insolvenz – Beitragssatz könnte aber steigen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) widersprach dieser Darstellung am Montag. Zwar räumte er ein, dass die Pflegeversicherung in einer schwierigen Lage sei und "unter Beitragssatzdruck" stehe. Die Ausgaben stiegen, während die Einnahmen wegen der schwachen Konjunktur unbefriedigend seien. Sie sei aber weder insolvent, "noch droht ihr die Insolvenz", so der Minister in Berlin. "In wenigen Wochen" wolle er eine große Pflegereform präsentieren. Erst dann werde er auch sagen, ob und in welchem Umfang die Beiträge zur Pflegeversicherung angehoben würden.
Über einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung werde in der Regierungskoalition diskutiert. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) rechnet bis zum Jahresende mit einem Defizit von knapp 1,8 Milliarden Euro. Damit die Pflegekasse zahlungsfähig bleibe, wäre bei ausbleibenden Reformen eine Anhebung der Beitragssätze um mindestens 0,25 Prozentpunkte zum 1. Januar 2025 notwendig, hatte die GKV-Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer erklärt. Gegenwärtig beträgt der Pflegebeitrag 3,4 Prozent vom Bruttoeinkommen, für Kinderlose vier Prozent. Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlen ihn je zur Hälfte.
Steigende Zahl von Pflegebedürftigen macht Sorgen
Als Haupttreiber der Ausgaben nannte der SPD-Politiker die steigende Zahl der Pflegebedürftigen, die Anhebung der Löhne in der professionellen Pflege auf Tarifniveau und die Zuschüsse zu den Eigenanteilen der Heimbewohnerinnen und -bewohner. In diesem Jahr rechne man mit 400.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen, 2023 habe ihre Zahl um 360.000 Menschen zugenommen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte Lauterbach auf, schnell klarzustellen, woher das nötige Geld für die Pflegeversicherung kommen solle. "Im Haushalt ist davon nichts zu sehen", betonte Vorstand Eugen Brysch.
Droht ein Anstieg der Sozialbeiträge wie seit 20 Jahren nicht mehr?
Laut dem Bericht des RND reicht die von den Krankenkassen bisher prognostizierte Erhöhung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte nicht aus, um die Pflegeversicherung vor einer Pleite zu bewahren. In der Regierung werde vielmehr von einem Bedarf in Höhe von 0,25 bis 0,3 Prozentpunkten ausgegangen, hieß es. Als Begründung wird demnach auf eine längere Phase der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2025 verwiesen. Deshalb müsse die Erhöhung so ausfallen, dass das Geld mindestens bis zum Frühjahr 2026 ausreiche.
Derzeit gilt in der Pflegeversicherung ein allgemeiner Beitragssatz von 3,4 Prozent, Kinderlose zahlen vier Prozent, für Familien mit mehr als einem Kind unter 25 Jahren gibt es Abschläge. Eine Beitragserhöhung von 0,3 Punkten für die Pflegeversicherung käme laut dem RND-Bericht noch zu dem in der Krankenversicherung erwarteten Plus von 0,7 Prozentpunkten hinzu. Damit könnten die Sozialbeiträge zum Jahresanfang 2025 so stark steigen wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr.
Gerlach fordert rasche Konsequenzen
Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach (CSU) forderte von der Bundesregierung rasche Konsequenzen. "Es muss eine Lösung für die Pflege gefunden werden, die von allen Beteiligten getragen wird. Notwendig ist deshalb ein parteiübergreifendes Konzept, wie wir die Pflege nachhaltig für die kommenden Jahrzehnte aufstellen", so die Ministerin. Dazu gehöre auch, dass die jüngeren Generationen gut damit leben könnten.
Gerlach erneuerte ihren Vorschlag, dass die Bundesregierung eine "Zukunftskommission Pflege" einrichtet. Darin sollen neben Bund und Ländern auch die Kranken- und Pflegekassen sowie Pflegeexperten und Vertreter von Pflegeanbietern mitwirken.
"Um die Finanzierung langfristig sicherzustellen, muss die Bundesregierung ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag nachkommen und die versicherungsfremden Leistungen aus Bundesmitteln finanzieren", erklärte Gerlach. Hierzu gehöre auch ein vollständiger Ersatz Corona-bedingter Aufwendungen der Pflegekassen aus dem Bundeshaushalt. Zudem müssen die Pflegebedürftigen von den Kosten der Ausbildung entlastet werden – und die Pflegeausbildung müsse stattdessen aus Steuermitteln finanziert werden.
Mit Informationen von AFP und KNA
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung es Artikels hieß es: Deshalb müsse die Erhöhung so ausfallen, dass das Geld mindestens bis zum Frühjahr 2025 ausreiche. Tatsächlich muss es heißen, bis zum Frühjahr 2026. Wir haben dies korrigiert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!