28.06.2024, Iran, Rey: Ein iranischer Geistlicher füllt seinen Stimmzettel während der vorgezogenen iranischen Präsidentschaftswahlen im Wahllokal des Schah-Abdol-Azim-Schreins aus. Nach dem Hubschrauberabsturz, bei dem der konservative Präsident Raisi ums Leben kam, wählen die Iraner am 28. Juni einen neuen Präsidenten. Rund 61 Millionen Iraner sind berechtigt, an der Wahl teilzunehmen. Foto: Rouzbeh Fouladi/ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Präsidentenwahl im Iran

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Reformer oder Hardliner: Stichwahl um Präsidentenamt im Iran

Reformer oder Hardliner: Stichwahl um Präsidentenamt im Iran

Bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl im Iran kann sich das moderate Lager erstmals seit Längerem wieder etwas Hoffnung machen. So liegt der als Reformer geltende Peseschkian vorne. Nun muss er in die Stichwahl. Doch wie moderat ist er wirklich?

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Der als gemäßigter Reformer geltende Massud Peseschkian hat überraschend die erste Abstimmung der Präsidentenwahl im Iran gewonnen, muss sich aber in der kommenden Woche einem Stichentscheid stellen. Nach Auszählung von 24,5 Millionen Stimmen habe Peseschkian 10,4 Millionen Stimmen für sich verbuchen können, sagte Mohsen Eslami von der Wahlbehörde am Samstag.

Der frühere Unterhändler bei den Atomverhandlungen, Said Dschalili, komme auf 9,4 Millionen Stimmen. Parlamentspräsident Bagher Kalibaf erreichte demnach 3,3 Millionen Stimmen, der schiitische Geistliche Mostafa Purmohammadi etwas mehr als 206.000 Stimmen. Expertinnen und Experten hatten mit einer Stichwahl gerechnet - allerdings nicht unbedingt in dieser Konstellation.

25 Millionen Menschen haben abgestimmt

Laut staatlichen Medien haben sich knapp 25 Millionen Menschen an der Wahl beteiligt, das sind rund 40 Prozent, und damit noch mal weniger als bei den Parlamentswahlen im März. Insgesamt waren mehr als 60 Millionen Iranerinnen und Iraner zur Wahl aufgerufen. Am Freitagabend hatten die iranischen Behörden die Öffnungszeiten der Wahllokale immer wieder verlängert. Statt zehn Stunden waren sie am Ende 16 Stunden und damit bis Mitternacht Ortszeit offen, um allen die Möglichkeit zu geben, abzustimmen, so staatliche Medien. Das hatte bereits auf eine niedrigere Wahlbeteiligung hingedeutet.

Präsident Raisi bei Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen

Bei den 14. Präsidentschaftswahlen seit Gründung der Islamischen Republik Iran war bis jetzt erst einmal eine Stichwahl nötig gewesen, und zwar im Jahr 2005. Im Zuge der Stimmenauszählungen hatte sich am Samstagmorgen bereits abgezeichnet, dass Peseschkian am Freitag zwar die meisten Stimmen, aber nicht die notwendige absolute Mehrheit erringen würde.

Die ursprünglich für 2025 geplante Präsidentschaftswahl war vorgezogen worden, nachdem der Amtsinhaber Ebrahim Raisi am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Raisi galt als Hardliner. Die islamistische Hisbollah im Libanon erklärte, Raisi sei ein großer Unterstützer und "ein überzeugter Verfechter unserer Anliegen" gewesen. Grünen-Chef Omid Nouripour erinnerte nach Raisis Tod daran, dass dieser "viele Unrechtsurteile und Hinrichtungen" zu verantworten hatte.

Kandidat Peseschkian will Beziehungen zum Westen entspannen

Der aktuelle Urnengang wird im Ausland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, da der Iran ein politisches Schwergewicht in der Region ist und in mehreren Konflikten wie dem Gaza-Krieg mitmischt. Zudem ist der Iran wegen seines umstrittenen Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in Milliardenhöhe.

Die Kandidaten für die Stichwahl, Peseschkian und Dschalili, unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit und ihrem politischen Kurs deutlich. Der 69 Jahre alte Chirurg Peseschkian, der für die nordwestiranische Großstadt Täbris im Parlament sitzt, hat nur wenig Regierungserfahrung. Von 2001 bis 2005 war er unter dem reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami Gesundheitsminister. 

Peseschkian ist bekannt für seine offenen Worte. So kritisierte er das Vorgehen der Behörden während der landesweiten Massenproteste, die durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini im September 2022 nach ihrer Festnahme wegen angeblicher Verstöße gegen die strengen muslimischen Kleidervorschriften ausgebrochen waren. Außerdem setzt sich der 69-Jährige für eine Entspannung der Beziehungen seines Landes zum Westen, insbesondere zu den USA, ein, um eine Lockerung der internationalen Sanktionen gegen den Iran zu erwirken.

Reformer nur eine Marionette des Obersten Führers?

Auf eine Frage nach dem zuletzt wieder verschärften Vorgehen gegen nicht vorschriftsgemäß verschleierte Frauen sagte Peseschkian am Freitag, Frauen und Mädchen sollten nicht auf eine Art behandelt werden, die unmenschlich sei oder in die Privatsphäre eindringe.

Kritiker wandten ein, auch Peseschkian sei nur ein von der Führung genehmigter Kandidat. In einem vom Staatsfernsehen ausgestrahlten Dokumentarfilm über ihn sagte eine Frau, ihre Generation bewege sich "auf das gleiche Niveau" der Feindseligkeit gegenüber der Regierung zu wie die Generation von Peseschkian während der Revolution von 1979.

Dafür spricht auch, dass Peseschkian zuletzt seine Loyalität für das geistliche Oberhaupt des Landes und die mächtigen Revolutionsgarden bekundete. Auch lobte er den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel als Stolz der iranischen Nation. Nach seiner Stimmabgabe sagte er: "Wir werden versuchen, mit allen Ländern freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, außer mit Israel."

Dschalili gilt als Hardliner

Der 58-jährige Dschalili tritt für eine harte Haltung gegenüber dem Westen ein. Dies bewies er während seiner Zeit als Atom-Chef-Unterhändler des Iran von 2007 bis 2013. Dschalili hatte im Laufe seiner Karriere noch weitere einflussreiche Posten inne und genießt das Vertrauen des geistlichen Oberhauptes des Landes, Ayatollah Ali Chamenei. Zurzeit ist Dschalili Mitglied des Obersten Rates für nationale Sicherheit, des höchsten sicherheitspolitischen Gremiums des Landes.

Der promovierte Politikwissenschaftler kommt aus der nordöstlichen Millionenmetropole und Pilgerstadt Maschhad. Im Iran-Irak-Krieg (1980-88) wurde er an der Front verwundet und verlor einen Teil seines rechten Beins. Nach dem Krieg lehrte er in der Hauptstadt Teheran, bevor er eine Karriere im Außenministerium begann. Dschalili gilt als eiserner Verfechter der Ideologie der Islamischen Revolution im Iran. So plädiert er etwa für ein harsches Vorgehen gegen Frauen ohne Kopftuch.

Aktivisten riefen zum Wahl-Boykott auf

Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten Landesbewohner, vor allem junge Menschen, indes verloren. Einige Aktivisten sowie die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi riefen zum Boykott der Wahl auf.

Nach der iranischen Verfassung hat der 85-jährige Oberste Führer Chamenei in allen Staatsangelegenheiten das letzte Wort. Der Präsident steuert unter anderem die Außenpolitik. Frauen und radikale Reformer dürfen im theokratischen System der Islamischen Republik Iran nicht für das Präsidentenamt kandidieren oder werden im Vorfeld aussortiert.

Expertin erwartet keine großen Veränderungen durch die Wahl

Expertinnen und Experten erwarten keine großen politischen Umwälzungen durch die Wahl. "Das Spektrum an Bewerbern ist nicht viel größer als bei den letzten Wahlen. Mit den Kandidaten ist der Revolutionsführer auch kein großes Risiko eingegangen. Die Führung setzt vor allem auf Kontinuität", sagte die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Keiner der Kandidaten hat das Profil oder Gewicht, Chamenei machtpolitisch herauszufordern."

Ein moderater Präsident hätte begrenzte Möglichkeiten, in der Regierung zu gestalten, sagte auch der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marburger Universität. "Mit einem von Hardlinern dominierten Parlament, mit einem Obersten Religionsführer, der immer wieder signalisiert hat, dass eine zu moderate Politik eigentlich gar nicht erwünscht ist - da würde ich keinen großen Handlungsspielraum erwarten", erklärte der Iran-Experte.

Mit Informationen von dpa, AP und AFP.

Der Reform-Kandidat bei der Präsidenten-Stichwahl im Iran: Massud Peséschkian.
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Bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahl im Iran treten der Reformer Massoud Peséschkian und dem ultrakonservativen Politiker Said Jalilí an.

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