Zum Abschluss ihres Parteitags in Wiesbaden haben die Grünen Vizekanzler Robert Habeck zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt. Ein entsprechender Antrag erhielt am Sonntag 96,48 Prozent der Delegierten-Stimmen.
"Robert Habeck hat das Zeug zu einem guten Bundeskanzler", heißt es darin. Von führenden Grünen wird er als zwar "Kanzlerkandidat" bezeichnet, das Wort kommt allerdings in dem Antrag nicht vor. Der 55-Jährige soll zusammen mit Außenministerin Annalena Baerbock ein "Spitzenduo" für die Zeit bis zur Neuwahl des Bundestags am 23. Februar bilden.
Habeck will kein "Besserwisser" sein
"Ich bewerbe mich mit dieser Rede dafür, Euch im Wahlkampf anführen zu dürfen", hatte Habeck zuvor zu den etwa 800 Delegierten gesagt. Er wolle Verantwortung übernehmen als Kandidat "für die Menschen in Deutschland". Er fügte hinzu: "Und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt." Mit Blick auf den Vorwurf der politischen Konkurrenz, die Grünen seien oberlehrerhaft, sagte Habeck in seiner Rede, er wolle kein "Besserwisser" sein, der anderen sage, was sie zu denken hätten.
Ausdrücklich warnte er vor einer Rückkehr zu einem Regierungsbündnis aus Union und SPD nach der Bundestagswahl. Die große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Deutschland in eine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen geführt. "Das ist die Ursache der Wirtschaftskrise der letzten Jahre", sagte Habeck. "Die große Koalition hat uns wissentlich und willentlich in diese Abhängigkeit getrieben."
Heizungsgesetz hängt über dem Wahlkampf
Zu den Problemen, die er mit den Grünen in den Mittelpunkt stellen wolle, gehörten die niedrige Erwerbsquote von Müttern und die immer noch zu restriktiven Regeln für ein Bleiberecht arbeitswilliger abgelehnter Asylbewerber, kündigte Habeck an. Der Bund müsse künftig mehr Möglichkeiten bekommen, um die Länder in der Bildungspolitik finanziell zu unterstützen. Die von den Grünen schon länger geforderte Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse sollte nach Ansicht von Habeck bereits vor der für den 23. Februar geplanten Neuwahl des Bundestages in die Wege geleitet werden.
Habeck zog auch eine teils kritische Bilanz seiner Regierungszeit. Das Gebäudeenergiegesetz, das seiner Beliebtheit eine tiefe Delle verpasste, schwebe "wie ein Damoklesschwert" über dem Wahlkampf. "Es war natürlich ein Gesetz, das vielen Menschen viel zugemutet hat, wo Fehler gemacht wurden." Zugleich betonte er aber seine Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen.
Baerbock: "Habeck kann führen – und zwar im Team"
Das Motto für die kommenden drei Monate hatte Jürgen Trittin schon vor der Nominierung ausgegeben: "Auf geht's mit Robert in den Wahlkampf." Außenministerin Annalena Baerbock lobte Robert Habeck kurz vor dessen Kür zum Spitzenkandidaten der Grünen als "superpragmatisch". Als Wirtschaftsminister habe er in Krisenzeiten Kurs gehalten und Deutschland aus der Abhängigkeit vom Energielieferanten Russland befreit.
"Ich will genau das: dich als Kanzler", sagte Baerbock unter großem Jubel der Delegierten. "Keiner kann im Sturm das Ruder so rumreißen wie Robert Habeck und zugleich bei Rückenwind die Segel richtig setzen." Habeck sei bereit, "gerade wenn es schwierig wird, voranzugehen, ja: zu führen" - und zwar "nicht wie andere einsam vorneweg", sondern "im Team", hob Baerbock hervor.
Wahlprogramm folgt im Januar
Am Samstag hatten die Delegierten in Wiesbaden bereits einen neuen Bundesvorstand gewählt. Neue Vorsitzende sind die parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, und der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak. Das Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 23. Februar soll im Januar beschlossen werden.
Auf ihrem Parteitag haben die Grünen jedoch bereits eine Reihe inhaltlicher Beschlüsse gefasst: So soll die Erbschafts- und Schenkungssteuer reformiert werden. Außerdem halten die Grünen an ihrer Forderung nach einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen fest. Und sie sprachen sich für ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD aus.
Welle an Parteieintritten nach Ampel-Aus
Die Aufstellung eines eigenen Kanzlerkandidaten ist für die Grünen bei Umfragewerten zwischen elf und zwölf Prozent ein ambitioniertes Projekt. Doch die Partei verzeichnet seit dem Bruch der Ampel-Koalition eine Welle von Parteieintritten. Allein im Laufe des am Freitag begonnenen Bundesparteitages seien 2.000 weitere Mitglieder hinzugekommen, teilt die Parteitagsleitung mit. Bis Freitagabend hatte die Grünen bereits über 9.000 Parteieintritte seit dem Ampel-Bruch registriert.
Mit Material von dpa und Reuters.
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