Das Kanzleramt ist weiträumig abgesperrt, davor sind Mannschaftswagen geparkt, und auf der Spree patrouilliert die Wasserpolizei. Die Sicherheitsvorkehrungen gelten einem besonderen Gast. Wolodymyr Selenskyj ist an diesem Freitag nach Berlin gekommen. Der ukrainische Präsident sieht den Abwehrkampf seines Landes gegen den russischen Angriff in einer entscheidenden Phase. Und mehr denn je setzt er auf die Hilfe seines größten Unterstützers in Europa: Deutschland.
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Gastgeber Olaf Scholz verspricht Selenskyj beim gemeinsamen Auftritt: "Die Ukraine kann sich auf uns verlassen." Zusammen mit europäischen Partnerländern werde Deutschland bis zum Jahresende ein weiteres Waffenpaket im Wert von 1,4 Milliarden Euro liefern. Darin enthalten sind unter anderem: zusätzliche Luftverteidigungssysteme, Flakpanzer, Artilleriegeschütze, Drohnen und Munition.
Bundestag hat Geld für weitere Ukraine-Hilfen freigegeben
Dass das angegriffene Land mit einem neuen Unterstützungspaket in dieser Höhe rechnen kann, stand bereits fest. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat vor Kurzem 400 Millionen Euro zusätzlich für Militärhilfen freigegeben. Eine Milliarde hat die Bundesregierung dem Vernehmen nach bei befreundeten Ländern aufgetrieben.
Selenskyj nutzt seinen Auftritt an der Seite des Kanzlers, um die deutschen Hilfen zu würdigen. "Wir danken Deutschland", sagt der Präsident, der wie üblich einen dunklen Pulli mit dem ukrainischen Dreizack trägt. Gerade die Luftverteidigungssysteme aus der Bundesrepublik retteten in der Ukraine Tausende Leben. Selenskyj betont aber auch: Es sei wichtig, dass die Hilfe im nächsten Jahr auf dem bisherigen Niveau weitergehe.
Scholz verspricht Selenskyj Hilfen auch für 2025
Damit trifft er einen wunden Punkt. Scholz beteuert zwar, dass Deutschland auch im kommenden Jahr an der Seite der Ukraine stehen werde. Vier Milliarden seien für bilaterale Hilfen eingeplant, zudem werde es einen internationalen Kredit geben. Allerdings ist offen, ob dieses Darlehen rechtzeitig zustande kommt.
Wie genau der sogenannte Siegesplan aussieht, den Selenskyj im Gepäck hat – das bleibt auch nach dem Auftritt vor der Hauptstadtpresse offen. Vom Grundsatz her hat die Regierung in Kiew zu erkennen gegeben, dass es um eine militärische Stärkung des Landes geht – in der Hoffnung, Russland so an den Verhandlungstisch zu zwingen. Eine wichtige Rolle dabei dürften weitreichende Waffensysteme spielen, wie sie etwa Frankreich und Großbritannien liefern.
Ukraine-Hilfen: Nichts Neues in Sachen Taurus
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Selenskyj auch den deutschen Marschflugkörper Taurus wünscht – mit einer geschätzten Reichweite von rund 500 Kilometern. Damit könnte die ukrainische Armee etwa Flugplätze tief im Kernland des Angreifers attackieren, um russische Bomber unschädlich zu machen. Doch eine Taurus-Lieferung ist nach wie vor unwahrscheinlich, weil das Kanzleramt das Eskalationspotenzial offenbar als zu groß einschätzt. Vom Kanzler ist dazu bei diesem Auftritt nichts zu hören, und Fragen sind nicht zugelassen.
Friedensdiplomatie nimmt offenbar Fahrt auf
Allerdings hat es den Anschein, dass die diplomatischen Bemühungen jetzt verstärkt werden. Der Kanzler wird nächste Woche in die Türkei reisen. Ein Thema: der Krieg in der Ukraine. Die Regierung in Ankara hat schon eine wichtige Rolle dabei gespielt, trotz des russischen Angriffs ukrainische Getreidelieferungen zu ermöglichen. Auffällig ist auch, dass Scholz ungeachtet der Verschiebung des eigentlich für dieses Wochenende geplanten Ukraine-Gipfels engen Kontakt zu US-Präsident Joe Biden hält. Erst am Donnerstagabend haben sich beide telefonisch ausgetauscht.
Um einer Lösung auf dem Verhandlungsweg näherzukommen, müsste allerdings noch ein anderer zum Hörer greifen: Wladimir Putin. Der Kanzler hat immer wieder durchblicken lassen, dass er den Gesprächsfaden wiederaufnehmen würde. Das vorerst letzte Telefonat von Scholz und dem russischen Machthaber liegt inzwischen fast zwei Jahre zurück. Doch aus dem Kreml hieß es zuletzt, für ein solches Gespräch fehlten derzeit die Themen. Und Scholz stellt nun klar: Einen "Diktatfrieden" Russlands werde Deutschland jedenfalls nicht akzeptieren.
Im Video: Stirbt die Ukraine leise oder sind wir dem Frieden näher, als wir denken? Possoch klärt!
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