Der Bundeskanzler stellte seine Rede im Bundestag unter das Motto "Bewährungsproben". Deutschland und Europa gingen durch Bewährungsproben, wie man sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt habe, sagte Olaf Scholz (SPD) bei seiner Regierungserklärung. Als Beispiel nannte er den Krieg in der Ukraine sowie Hunger und Energie als Waffen.
"Wir sind nicht schwach"
Russland werde den Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen, betonte der Kanzler. Präsident Wladimir Putin werde scheitern, er sei eigentlich schon gescheitert. Der russische Präsident spekuliere auf die Schwäche des Westens und der Ukraine. "Aber er irrt sich", sagte der Kanzler. "Wir sind nicht schwach." Die Sanktionen gegen Russland würden nicht infrage gestellt. "Bei diesem Kurs bleibt es, solange Russland seinen brutalen Angriffskrieg fortsetzt." Die Ukraine werde solange unterstützt wie nötig, betonte der Kanzler.
Hohe Energiepreise: Staat will Bürger und Unternehmen schützen
Zugleich bekräftigte Scholz, dass der Staat Privatverbraucher und die Wirtschaft über den Winter hinaus vor Überlastungen durch explodierende Energiepreise schützen wolle. "Niemand, keine Familie, keine Rentnerin, kein Student und auch kein Unternehmen soll Angst haben, von den Preisen für Strom, Gas oder Fernwärme überfordert zu werden." Die Bundesregierung habe ihren Abwehrschirm "bewusst auf zweieinhalb Jahre angelegt, um auch für den nächsten Winter gewappnet zu sein". Auf diesen Zeitraum gerechnet entsprächen die 200 Milliarden Euro etwa zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Am Nachmittag wollen die Abgeordneten über milliardenschwere Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger abstimmen. Unter anderem geht es um die geplante Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für Rentner und einen Heizkostenzuschuss für Bedürftige.
Deckelung von Gaspreisen in Europa: Scholz warnt vor Risiken
Scholz warnte zudem vor den Risiken einer politisch verordneten Deckelung von Gaspreisen in Europa. Deutschland werde sich entsprechende Pläne in der EU "sehr genau" anschauen. Es gebe die Gefahr, "dass die Produzenten ihr Gas dann anderswo verkaufen und wir Europäer am Ende nicht mehr Gas bekommen, sondern weniger." Die EU müsse sich deshalb "mit anderen Gaskonsumenten, etwa mit Japan und Korea, eng abstimmen, damit wir uns nicht gegenseitig Konkurrenz machen".
Kein stärkerer Einsatz von Kohle
Weiter sprach sich Scholz gegen einen stärkeren globalen Einsatz von Kohle aus. Die Aggression Russlands dürfe nicht zu einer weltweiten Renaissance der Kohle führen. Auf dem EU-Gipfel würden die europäischen Positionen für die anstehende Weltklimakonferenz abgestimmt. Auch in Deutschland gelte: Jedes Windrad und jede Photovoltaikanlage mache das Land ein Stück unabhängiger von teurem Öl und Gas. Alle Regeln, die zum Erreichen der deutschen Klimaziele nötig seien, würden bis Jahresende stehen.
Dürr: Moskau "auf stumpfe Zerstörung aus"
FDP-Fraktionschef Christian Dürr verurteilte die verstärkten Angriffe der russischen Streitkräfte auf die Infrastruktur in der Ukraine. Es sei deutlich, dass sich die russische Strategie geändert habe, sagte Dürr. "Russland zeigt, dass es auf stumpfe Zerstörung aus ist. Die Terrorisierung der Menschen in der Ukraine ist das strategische Ziel Putins", so Dürr.
Merz: "Winterreifen muss man im Oktober aufziehen"
Der Opposition gehen die Entlastungen erwartungsgemäß nicht schnell genug: Unionsfraktionschef Friedrich Merz forderte die Bundesregierung zu schnellen Entlastungen privater Haushalte und Unternehmen auf. Er kritisierte, dass Scholz zuvor als einziges Datum den März kommenden Jahres genannt habe. "Dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Bundeskanzler: Winterreifen muss man im Oktober aufziehen und nicht erst im Frühjahr des nächsten Jahres." Die Menschen und Unternehmen brauchten jetzt eine klare Perspektive, sagte Merz.
Merz: EU stehe vor größter Bewährungsprobe ihrer Geschichte
Merz sagte mit Blick auf den EU-Gipfel, die EU stehe möglicherweise vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Er wünschte Scholz und seinen Amtskolleginnen und -kollegen "jeden möglichen Erfolg". Europa habe bei den Sanktionen gegen Russland eine große Entschlossenheit und Geschlossenheit gezeigt und diese Bewährungsprobe bestanden.
Auch bei den finanziellen und humanitären Hilfen für die Ukraine habe die EU wirkungsvoll und zielführend gehandelt. "Es wäre wünschenswert gewesen, wenn auch die militärische Hilfe europäisch abgestimmt und koordiniert vorgenommen worden wäre", sagte Merz. Die CDU/CSU hätte es für richtig gehalten, wenn die ukrainische Armee auch mit Schützen- und Kampfpanzern westlicher Bauart ausgestattet worden wäre. "Dieser Krieg wäre dann möglicherweise schneller zu Ende gewesen."
Haßelmann wirft Merz Populismus vor
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warf der Union Populismus vor: "Wo sind Sie in Ihrer Verantwortung in der größten Krise dieses Landes und der größten Krise Europas, sich nicht in Fundamentalopposition zu verkriechen, sondern Verantwortung zu übernehmen?" Haßelmann kritisierte Merz noch einmal wegen seiner Äußerung zum angeblichen "Sozialtourismus" von Ukraine-Flüchtlingen. Zwar hatte der 66-Jährige wenig später öffentlich um Entschuldigung gebeten, falls seine Wortwahl als verletzend empfunden worden sei. Kurz danach habe die Union aber nachgelegt, kritisierte Haßelmann.
AfD: Verfehlte Energiepolitik, unzureichende Entlastungen
AfD-Chef Tino Chrupalla warf der Bundesregierung eine völlig verfehlte Energiepolitik und unzureichende Entlastungen vor. Chrupalla kritisierte auch die Sanktionen gegen Russland. Deutschland befinde sich in einem "selbst entfachten Wirtschaftskrieg". Er warf Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor, den Menschen nicht die Wahrheit gesagt zu haben, als er über die Notwendigkeit sinkender Energiepreise gesprochen habe. "Lügen haben kurze Beine und deshalb sollten Sie sich wirklich warme Unterwäsche besorgen, denn es ist bald Bodenfrost", sagte Chrupalla. Tatsächlich verknappe Deutschland durch seine "aggressive Sanktionspolitik" selbst das Energieangebot.
Linke beklagt "Chaos und Murks"
Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali warf der Bundesregierung vor, die Nöte der Bevölkerung zu vernachlässigen. Es gehe derzeit eher um Befindlichkeiten der Minister als um Belange der Menschen im Land, kritisierte Mohamed Ali. Die Entlastungen angesichts der hohen Preise kämen zu spät, in der Bundesregierung herrschten "Chaos und Murks" bei "Entlastungs-Päckchen".
Mit Informationen von dpa, Reuters
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