Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen mit Luftballons und einer Europaflagge auf den Streben einer Brücke.
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Ein junger Mann und eine junge Frau sitzen mit Luftballons und einer Europaflagge auf den Streben einer Brücke.

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Wie junge Menschen die EU wahrnehmen

Wie junge Menschen die EU wahrnehmen

Positiver Blick auf die Europäische Union, Sorgen um die Demokratie: Die Studie "Junges Europa 2024" zeigt, dass junge Menschen europäisch denken – aber vieles kritisch sehen. Auf Platz eins der drängendsten Probleme steht nicht mehr der Klimawandel.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Europawahl steht vor der Tür und in den 27 EU-Mitgliedsstaaten stimmen die Menschen über die politischen Verhältnisse im EU-Parlament ab. Erstmals dürfen in Deutschland bei der Wahl auch junge Erwachsene ab 16 Jahren abstimmen.

Wie es um Stimmung und Einstellung der jungen Erwachsenen steht, darüber gibt die Studie "Junges Europa 2024" Auskunft. Sie wird von der TUI-Stiftung beauftragt und vom Meinungsforschungsinstitut YouGov durchgeführt.

YouGov befragte dafür online rund 6.000 junge Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. Die Studie erscheint seit ihrem Start 2017 jährlich.

Reisefreiheit am meisten geschätzt

Heute sind die Ergebnisse für 2024 erschienen und sie zeigen, dass viele junge Menschen positiv auf Europa blicken. Mehr als die Hälfte (56%) hält die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für "eine gute Sache". Die größte Zustimmung unter den sechs untersuchten Staaten gibt es in Deutschland, hier sind es zwei Drittel.

4 von 10 jungen Menschen in Europa wünschen sich demnach eine noch engere Verbindung zwischen den EU-Ländern. Am meisten schätzen die Befragten die Reisefreiheit in der EU. Auf Platz zwei und drei folgen das freie Arbeiten und Studieren sowie der Euro als gemeinsame Währung.

Die Identifikation mit Europa ist weiter hoch: Drei von fünf Befragten sehen sich sowohl als Bürger ihres Landes als auch als Europäer. Lediglich in Polen ist der Anteil derer, die sich mit einer rein nationalen Identität beschreiben, höher. Besonders europäisch fühlen sich dagegen die Italiener (68%).

Kritik an mangelnder Repräsentation

Kritik gibt es vor allem beim Thema Repräsentation: Nur jeder Fünfte fühlt sich durch das Parlament des eigenen Landes und durch das EU-Parlament gut repräsentiert. Außerdem ist mehr als jeder Zweite der Meinung, Politiker würden sich nicht darum kümmern, was junge Menschen denken.

Elke Hlawatschek, Geschäftsführerin der TUI Stiftung, sieht deswegen eine "kritische Repräsentationslücke". Diese bedrohe die Legitimität der EU bei denjenigen, die doch ihre Zukunft sind, so Hlawatschek.

58 Prozent der befragten jungen Menschen sehen die Europawahl als wichtig oder eher wichtig an. Bei nationalen Wahlen ist der Wert mit 68 Prozent höher. Was zu denken gibt: Nur etwas mehr als die Hälfte (56%) glaubt, dass die Wahlen im eigenen Land fair und korrekt abgehalten werden. Deutschland hat hier mit 72 Prozent noch den höchsten Wert.

Sorgen um die Demokratie

Jeder zweite junge Mensch in Europa beobachtet in seinem Land zudem vermehrt demokratiefeindliches Verhalten. 42 Prozent sehen die Demokratie gefährdet. Die Zufriedenheit mit der bestehenden Demokratie ist in Deutschland noch am höchsten (42%).

"Junge Menschen schätzen die tragenden Säulen der Demokratie, ihre fundamentalen Werte", beschreibt es Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat. Das Fundament sei stabil.

Gering sei dagegen "die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie". Faas' Schlussfolgerung: "Es ist keine Systemkrise, sondern es sind Probleme in der Umsetzung." Als Beispiele nennt er politische Prozesse, die zu lange dauern und zu wenig bringen würden. Faas warnt deswegen: "Aus permanenten Umsetzungsproblemen kann eine Systemkrise werden."

Klimawandel nicht mehr das drängendste Problem

Bei der Frage, welches politische Thema die jungen Menschen besonders beschäftigt, gibt es eine Veränderung. Vergangenes Jahr lag der Klimaschutz noch auf Platz eins der drängendsten Probleme. Ganz vorn liegt nun "Migration und Asyl" (36%), erst dann folgt Umwelt- und Klimaschutz (26%) und Wirtschafts- und Finanzpolitik (ebenfalls 26%). Der Anteil, der "Migration und Asyl" als wichtigstes politisches Thema nannte, war in Deutschland mit 46 Prozent am höchsten.

Bei zentralen politischen Fragen zeigt sich ein diverses Bild: 34 Prozent würden die Zuzugsmöglichleiten in die EU einschränken, während nur 23 Prozent sie erleichtern würden. Bei der Frage, ob Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum Vorrang haben sollte, sind 35 Prozent beim Klimaschutz und 22 Prozent beim Wirtschaftswachstum.

Junge Generation ist sich uneins

Mehr sozialstaatliche Leistungen, auch wenn es mehr Steuern bedeutet – das wollen 21 Prozent. Umgekehrt – weniger Steuern, dafür weniger Sozialstaat – fordern das mit 28 Prozent deutlich mehr Befragte. Wenn es um mehr staatliche Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen geht, ist eine deutlich größere Gruppe dafür (36 zu 21 Prozent).

"Bei keinem der vier Themen gibt es die eine Position, die von jungen Menschen in Europa mit großer generationaler Geschlossenheit vertreten wird", erklärt Thorsten Faas. Er sieht deswegen ein "vielfältiges, kontroverses Meinungsbild" bei den jungen Menschen in Europa und kein "einfaches, eindimensionales Links-Rechts-Muster".

Drei Viertel empfinden Wählen als Bürgerpflicht

Und wie kann man seine Belange in die Politik bringen? Für die meisten jungen Menschen sind Wahlen das wirkungsvollste Mittel, um Einfluss zu nehmen. In fünf von sechs untersuchten Ländern ist Wählen auf Platz eins vor Demonstrieren, nur in Frankreich ist die Reihenfolge umgekehrt. Auf Platz drei landet die Mitarbeit in Parteien, Vereinen oder Bürgerinitiativen.

Drei Viertel der Befragten sind der Meinung, dass Wählen Bürgerpflicht sei. Allerdings liegt die Wahlbeteiligung in diesem Altersbereich häufig deutlich niedriger als 75 Prozent. Für Politikwissenschaftler Faas deutet das darauf hin, "dass das Wählen für junge Menschen zwar Bürgerpflicht, aber irgendwie doch keine Selbstverständlichkeit ist." Hier brauche es noch mehr Mobilisierung, so Faas, um daraus tatsächliches Wahlverhalten zu machen.

Jeder Dritte blickt pessimistisch in die Zukunft

Was die persönliche Situation angeht, so blickt knapp jeder dritte junge Europäer pessimistisch in die Zukunft. Dieser Wert hat sich über die letzten Jahre auf diesem Niveau stabilisiert. "Die Vielzahl an nationalen und globalen Krisen belastet und verunsichert junge Erwachsene in Europa nach wie vor", erklärt Thorsten Faas von der FU Berlin. Lediglich in Frankreich zeigen sich junge Erwachsene optimistischer.

Im Audio: Politikwissenschaftler Faas über die Ergebnisse der Jugendstudie

Archivbild: Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Bernd Wannenmacher
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Archivbild: Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin.

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