Mit einer überraschenden Nachricht trat kürzlich der tschechische Regierungschef an die Öffentlichkeit: Ursprünglich sollte er verkünden, welches Unternehmen den Zuschlag für den Bau eines neuen Atomreaktors erhalten würde. Doch stattdessen verkündete Petr Fiala, dass nun die Planung von bis zu vier Reaktorblöcken in einem Paket in Betracht gezogen werde. Diese Entscheidung wurde vor allem aus finanziellen Gründen getroffen. Fiala argumentierte, dass so die Baukosten pro Reaktor um bis zu 25 Prozent gesenkt werden könnten.
Neue Favoriten im Rennen um Atomreaktoren
Der Plan wirbelt einiges durcheinander. Bisher galt das amerikanisch-kanadische Konsortium Westinghouse als Favorit für den Bau des Reaktorblocks in Dukovany, im Süden Tschechiens. Das Unternehmen ist bereits dabei, das erste Atomkraftwerk in Polen zu errichten. Tschechiens Industrieminister Jozef Sikela ist jedoch unzufrieden. Westinghouse habe die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so Sikela, der jetzt andere Firmen im Auge hat.
Der US-Botschafter in Prag zeigte sich enttäuscht. Er hatte die Unterstützung für Westinghouse zu seiner Priorität erklärt. Jetzt sind nur noch EDF aus Frankreich und der Außenseiter KHNP aus Südkorea im Rennen. Ihre neuen Angebote soll das Unternehmen CEZ bis Mai bewerten. In Tschechien liegt die Zustimmung zur Atomkraft in Umfragen bei fast 80 Prozent – der höchste Wert in der ganzen EU. Auch die Opposition unterstützt den Ausbau.
Debatte um die Zukunft der Energie in Tschechien
"Es gibt keinen anderen Weg", sagt der Vize-Chef der populistischen ANO-Partei, Karel Havlicek. "Wer meinte, man könne Atomkraft durch erneuerbare Energien ersetzen, war ein naiver Träumer. Ich bin sehr froh, dass unsere Regierung damals den AKW-Ausbau vorangebracht hat. Und es war richtig, dass die jetzige Regierung die Ausschreibung gestartet hat."
Tschechien rechnet damit, dass der Stromverbrauch des Landes deutlich steigen wird – bis 2050 um bis zu zwei Drittel. Neue Kernreaktoren sollen genug bezahlbare Energie liefern und helfen, die Klimaziele zu erreichen. Schon 2022 hatte die EU Atomkraft als klimafreundlich eingestuft.
Aktuell laufen in Tschechien sechs Blöcke an zwei Standorten – in Dukovany, in der Nähe von Österreich und in Temelin. Temelin liegt nur knapp 80 Kilometer zum nächsten Grenzübergang in Niederbayern entfernt. In Temelin musste der halbstaatliche Betreiber CEZ vor einer Woche einen Störfall melden. Österreichische Medien hatten zuvor von Explosionsgeräuschen berichtet.
Atomkraft: Finanzierung und Kosten im Fokus
Von dem neuen Plan für je zwei Reaktoren an beiden Standorten wurden Österreich und Bayern kalt erwischt. Aber auch in Tschechien ist Kritik zu hören – nicht an der Kernkraft, aber an den Kosten. "Die Finanzierung und der Zinssatz, das sind die Hauptthemen", sagt der Wirtschaftsanalyst Radim Dohnal. "Laut Studien entfallen bis zu 86 Prozent der Gesamtkosten eines neuen Atomkraftwerks auf die Finanzierung. Wir sehen das an den Verzögerungen überall auf der Welt, besonders in den USA. Dort steigen die Kosten jedes Jahr immens."
Für den Bau eines Reaktors hat die tschechische Regierung vor einigen Jahren rund 6,5 Milliarden Euro veranschlagt. Experten gehen allerdings von bis zu 20 Milliarden Euro aus. Angesicht der Größe der tschechischen Wirtschaft und der Höhe der Staatsverschuldung sei das Ziel, gleich vier neue Blöcke zu bauen, absolute Science Fiction, meint der Energieanalyst und CEZ-Aktionär Michal Snobr. "Das kommt sehr überraschend." Er erinnert daran, dass die Regierung zwei neue Blöcke in Dukovany bauen wollte: "Dann wurde das wegen Problemen mit der Kühlung dort auf einen reduziert. Und jetzt springen wir völlig ohne Vorbereitung und Diskussion in einer laufenden Ausschreibung auf vier!" Die Regierung habe Chaos angerichtet, so der CEZ-Aktionär. Das gesamte Verfahren sei eigentlich gescheitert.
Auch andere Beobachter halten den Ausbau der Atomenergie in Tschechien nun insgesamt für bedroht. Nicht so Premier Fiala: Der Zeitplan stehe, der neue Reaktor solle 2036 ans Netz gehen, 2050 bis zu drei weitere Blöcke.
Mit Informationen von AP
Im Video: Reaktionen auf die tschechischen Pläne
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