Es hat schon öfter geknirscht zwischen CSU und Freien Wählern in den vergangenen Jahren – dass der Wirtschaftsminister in einer Sachfrage dem Ministerpräsidenten öffentlich die Schuld zuschiebt, hat aber mindestens Seltenheitscharakter: Hubert Aiwanger macht seinen Chef Markus Söder sowie seine Kabinettskollegin Michaela Kaniber (beide CSU) verantwortlich für das Nein der Bürger der Gemeinde Mehring (Kreis Altötting) zum größten Windpark des Freistaats.
CSU und Staatskanzlei lassen das nicht auf sich sitzen und erinnern Aiwanger an seine Zuständigkeiten als Wirtschafts- und Energieminister. Die Debatte über den Windpark im oberbayerischen Chemiedreieck belastet das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern CSU und Freie Wähler.
Aiwangers Attacke: "Planung zu sehr von oben"
Die Vorgeschichte: Dem Wirtschaftsminister war in der vergangenen Woche von verschiedenen Seiten vorgeworfen worden, sich nicht ausreichend um das Großprojekt im bayerischen Chemiedreieck gekümmert zu haben. Kritiker verwiesen unter anderem darauf, dass Aiwanger einen für 8. Januar geplanten Besuch in Mehring abgesagt hatte und stattdessen gleich fünf Bauern-Demos besuchte. Der Minister reiste dann erst am 17. Januar in die Gemeinde, als die meisten Wahlberechtigten schon per Briefwahl abgestimmt hatten.
Den Vorwurf einer Mitverantwortung wies Aiwanger beim "Sonntags-Stammtisch" im BR Fernsehen als "absoluten Unsinn" zurück. Er sei bis November 2023 gar nicht zuständig gewesen für die Staatsforsten, wo der Windpark entstehen soll, betonte Aiwanger. In die Planungen sei er nicht eingebunden gewesen, vielmehr hätten sich darum Ministerpräsident Söder und die damals für die Staatsforsten zuständige Ministerin Kaniber gekümmert.
"Die Leute haben nicht dagegen gestimmt, weil der Aiwanger nicht dort war, sondern weil ihnen einfach die Planung nicht gefallen hat", sagte Aiwanger. Sie hätten mehr oder weniger aus der Zeitung davon erfahren, mit den Bürgern sei zu wenig gesprochen worden. "Die Planung kam zu sehr von oben", lautet der Vorwurf des Ministers an seine Kabinettskollegen. Ob er nicht für das Projekt hätte werben sollen? "Ich lasse mich halt auch nicht überall hinschicken, wo man mich gerne hätte."
Video: Aiwanger beim Sonntags-Stammtisch
Aiwanger: "Glaube, das wird ein Vorzeigeprojekt"
Als die Windpark-Pläne im Juni 2023 offiziell in Burghausen vorgestellt wurden, waren in der Tat Söder und Kaniber vor Ort – ohne Aiwanger. Die Überschrift der Pressemitteilung dazu lautete: "Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Forstministerin Michaela Kaniber starten Großprojekt bei Altötting."
Allerdings war im Dezember 2022 auch Aiwanger dabei, als das bayerische Kabinett den Windpark offiziell beschloss. Dazu gab es nicht nur eine Mitteilung der Staatskanzlei, sondern auch eine des Wirtschaftsministeriums mit dem Aiwanger-Zitat: "Großprojekte für die Versorgung der Glasindustrie im Frankenwald und des Bayerischen Chemiedreiecks mit insgesamt etwa 50 Windrädern gehen wir mit hoher Priorität an."
In der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung ließ Aiwanger damals zwar zunächst den Ministerpräsidenten Fragen zum Windpark im Chemiedreieck beantworten. Söder forderte aber auch seinen Minister auf, ein paar Sätze zu sagen. Aiwanger lobte daraufhin den breiten Zuspruch von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung für den Windpark. "Ich glaube, das wird ein Vorzeigeprojekt werden, ob wir es schaffen, solche Großprojekte in Bayern hier zu realisieren." Es werde zwar eine Herausforderung, aber: "Das müssen wir hinkriegen."
CSU: Aiwanger hat sich nicht genügend eingesetzt
Dass der Energieminister knapp 14 Monate später jede Beteiligung an dem Projekt abstreitet, verärgert die CSU. Martin Huber, Altöttinger Landtagsabgeordneter und zugleich CSU-Generalsekretär, stellt auf BR-Anfrage klar: "Für die Windkraft ist ausschließlich Hubert Aiwanger zuständig. Energiepolitik ist Wirtschaftspolitik."
Die örtliche Industrie stehe hinter dem Windpark, Tausende Arbeitsplätze hingen davon ab, betont Huber. "Leider hat sich Hubert Aiwanger im Vorfeld nicht genügend dafür eingesetzt und einen Termin mit der Bürgerinitiative abgesagt, um stattdessen an fünf Demonstrationen teilzunehmen. Diesen Einsatz gilt es jetzt nachzuholen."
Staatskanzlei: Aiwanger seit sechs Jahren für Windkraft zuständig
Ähnlich fällt die Reaktion der Staatskanzlei aus. Sie erinnert daran, dass Aiwanger schon seit mehreren Jahren für den Ausbau der Erneuerbaren Energien verantwortlich sei: Die fachliche Zuständigkeit sei in der Verordnung über die Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatsregierung geregelt, schreibt ein Staatskanzleisprecher dem BR.
"Sämtliche Fragen zur Energieversorgung, Energiewende oder Energieinfrastruktur sind im Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie angesiedelt - im sechsten Jahr in der Verantwortung von Hubert Aiwanger." Dies umfasse insbesondere auch die Zuständigkeit für Windkraft. Landwirtschaftsministerin Kaniber äußerte sich am Montag auf BR-Anfrage zunächst nicht.
Bürgermeister: Von der Staatsregierung alleingelassen
Der Bürgermeister von Mehring, Robert Buchner (Freie Wähler), fühlt sich von den zuständigen Stellen insgesamt im Strich gelassen. Nachdem der Gemeinderat vor einem Jahr den Grundsatzbeschluss für den Windpark gefasst habe, sei die Gemeinde von der Staatsregierung, dem Landratsamt, aber auch dem Windpark-Betreiber Qair über Monate "alleingelassen" worden, sagt er dem BR. "Wir hatten erhofft, dass wir neutrale Informationen erhalten und mit diesen versorgt werden, um der Bürgerinitiative etwas Paroli bieten zu können. Aber dem war leider nicht der Fall."
Erst als sich dann die Gemeinde selbst "massiv" um Informationen bemüht habe, sei etwas Unterstützung gekommen. "Aber da war es leider schon etwas zu spät." In der "Süddeutschen Zeitung" formulierte Buchner explizit auch Kritik am Ministerium seines Parteifreunds Aiwanger: "Irgendwie habe ich den Eindruck, dass im Wirtschaftsministerium nicht so angekommen ist, was bei uns eigentlich abgeht."
Aiwanger lädt zu Gespräch: "Dinge aufarbeiten"
Aiwanger betonte derweil beim "Sonntags-Stammtisch", ab jetzt gelte es, mehr mit den einzelnen Gemeinden und der Bürgerinitiative zu reden. Es könnten nur so viele Windräder gebaut werden, wie die Menschen vor Ort akzeptieren. Er werde nun mit den Leuten reden und "die Dinge aufarbeiten", versprach der Minister. Man müsse "jetzt mal drei Schritte zurückgehen", um dann wieder zwei der drei Schritte vorwärtszukommen.
Dieses Mal will der Minister offenbar keine weitere Zeit verlieren. Für Dienstagnachmittag steht in Aiwangers Terminkalender: "Gespräch mit Landrat und Bürgermeistern aus dem Landkreis Altötting. Thema: Windkraft." Spannend aber dürfte schon am Vormittag die Sitzung des bayerischen Kabinetts werden. Dort werden Söder und Kaniber Gelegenheit haben, dem Energieminister persönlich auf seine öffentliche Kritik zu antworten.
Zum Audio: Kritik an Aiwangers Demo-Hopping
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