Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befindet sich aktuell auf Besuch in Berlin, wo er an der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz teilnimmt. In einer emotionalen, 16-minütigen Rede vor dem Bundestag dankte er Deutschland für die Unterstützung seines Landes nach dem russischen Überfall: "Ich danke Dir Deutschland." Er nannte vor allem die Lieferung von Patriot-Flugabwehrsystemen. Diese hätten Tausende Menschenleben gerettet.
Der ukrainische Präsident wurde von den Abgeordneten mit langanhaltendem Beifall begrüßt. Er kam an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Plenarsaal.
Selenskyj rief die Verbündeten seines Landes dazu auf, den russischen Angriffskrieg gemeinsam erfolgreich zu beenden. Man dürfe Russland nicht einen weiteren Marsch durch Europa erlauben. "Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert."
Selenskyj: "Es gibt keine Mauer, die nicht fällt"
Der Krieg müsse so beendet werden, dass kein Zweifel bestehe, wer gesiegt habe, sagte Selenskyj. Er erinnerte die Deutschen an ihre eigene Geschichte während des Kalten Krieges. "Das geteilte Europa war niemals friedlich. Und das geteilte Deutschland war niemals glücklich." Das wisse Deutschland aus eigener Erfahrung. "Und daher können Sie uns, die Ukrainer verstehen. Sie können verstehen, warum wir so gegen die Versuche Russlands kämpfen, uns zu teilen und die Ukraine zu teilen. Warum wir alles, einfach alles tun, um keine Mauer zwischen den Teilen unseres Landes zuzulassen." Selenskyj betonte: "Es gibt keine Mauer, die nicht fällt."
Der Präsident ging auch auf die bevorstehende Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz ein. "Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben", sagte er.
Selenskyj: Russland muss "den ganzen Schaden zahlen"
Mit Blick auf die Wiederaufbaukonferenz für sein Land forderte der ukrainische Präsident, dass Russland die volle Verantwortung für seinen Krieg gegen sein Land übernehmen müsse. "Die Zeit für Kompromisse ist vorbei", sagte Selenskyj. "Russland muss den ganzen Schaden bezahlen."
Zugleich zeigte er sich besorgt über das Erstarken prorussischer Populisten bei den jüngsten Wahlen in Europa und sagte an die europäischen Länder gerichtet: "Die radikale prorussische Rhetorik ist gefährlich für Ihre Länder."
Am Ende seiner Rede applaudierten die Abgeordneten Selenskyj minutenlang stehend.
"Bettelpräsident": AfD boykottiert Selenskyjs Rede
Die Abgeordneten der AfD blieben der Rede Selenskyjs im Bundestag größtenteils fern. "Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören", sagten die Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla mit Blick auf den ukrainischen Präsidenten, der bei seiner Rede im Bundestagsplenum einen schwarzen Pullover und dunkelgrüne Hosen trug.
"Selenskyjs Amtszeit ist abgelaufen", erklärten die AfD-Chefs. "Er ist nur noch als Kriegs- und Bettelpräsident im Amt." Die Ukraine brauche "einen verhandlungsbereiten Friedenspräsidenten, damit das Sterben aufhört und das Land eine Zukunft hat". Nur einige wenige AfD-Abgeordnete waren bei Selenkyjs Rede im Plenum.
Auch BSW-Abgeordnete bleiben fern
Auch die Abgeordneten der aus der Linkspartei hervorgegangenen Wagenknecht-Partei BSW nahmen nicht teil. BSW-Außenexpertin Sevim Dagdelen sagte: "Mit dem Fernbleiben setzen wir auch ein Zeichen der Solidarität mit all jenen Ukrainern, die sich einen sofortigen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung wünschen statt von Präsident Selenskyj als Kanonenfutter für einen nicht gewinnbaren Krieg zwangsrekrutiert zu werden."
Merz: "Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments"
In Berlin sorgte das Verhalten von AfD und BSW bei den übrigen Parteien fraktionsübergreifend für Empörung. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz zeigte sich entsetzt: "Man kann ja über die Hilfe für die Ukraine unterschiedlicher Meinung sein", sagte der CDU-Vorsitzende. "Aber dass man als Abgeordneter im Deutschen Bundestag dem Staatspräsidenten dieses vom Krieg bedrohten Landes den Respekt versagt, ist ein wirklicher Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments." SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast nannte das Fernbleiben der Abgeordneten "peinlich und respektlos".
Scholz: "Wir bauen die Ukraine wieder auf – stärker, freier, wohlhabender als zuvor"
Bei der Eröffnung der Wiederaufbaukonferenz sicherte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Selenskyj weitere Unterstützung zu: "Wir bauen die Ukraine wieder auf – stärker, freier, wohlhabender als zuvor." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte der Ukraine kurzfristige Hilfen in Milliardenhöhe zu: "Russland kämpft für eine Vergangenheit, die Ukraine kämpft für eine bessere Zukunft."
2.000 Teilnehmer bei Wiederaufbaukonferenz
In Berlin beraten Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am Dienstag und Mittwoch auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz über weitere Unterstützung für das Land. Die rund 2.000 Teilnehmer aus 70 Staaten kommen vor allem aus der Wirtschaft. In Regierungskreisen wurde betont, dass es sich nicht um eine klassische Geberkonferenz handele, in der große staatliche Geldbeträge gesammelt würden. Vielmehr gehe es darum, die Kontakte mit und zwischen privaten Firmen zu stärken. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einem enormen Interesse deutscher Firmen. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG planen 43 Prozent der befragten deutschen Firmen in der Ukraine neue Investitionen.
Mit Material von dpa und AFP
Zum Video: Mario Kubina hat den Besuch von Präsident Selenskyi in Berlin begleitet
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