Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Ukraine-Krieg schnelle Aufklärung versprochen. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker am Samstag von einer "sehr ernsten Angelegenheit". Auf eine Frage nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: "Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig."
Verteidigungsministerium bestätigt Abhörfall
Einen Tag zuvor hatten russische Propagandakanäle das abgehörte Gespräch veröffentlicht. In dem Gespräch sind Offiziere der Bundeswehr zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper diskutieren.
Nach Informationen mehrerer Medien ist das Audiomaterial authentisch. Die virtuelle Besprechung fand demnach nicht über eine gesicherte Leitung, sondern über die Plattform Webex statt.
Das Verteidigungsministerium bestätigte am Nachmittag, dass es einen Abhörfall bei der Bundeswehr gibt. "Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem ARD-Hauptstadtstudio.
Das ist im Mitschnitt zu hören
An der Besprechung soll unter anderen Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teilgenommen haben. Es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben.
In dem Mitschnitt geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Raketen möglicherweise technisch dazu in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur bereits seit 2014 annektierten Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt im internen Gespräch der Bundeswehroffiziere ist demnach, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für den Einsatz gibt.
Brisante Details über britische Einsatzkräfte in Ukraine
Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen.
Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte."
Russland fordert Erklärung der Bundesregierung
Das russische Außenministerium forderte eine Erklärung der Bundesregierung. "Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet", schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Marija Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Zugleich veröffentlichte Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Staatssenders RT, einen angeblichen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen Gesprächs. Wie Simonjan an die Aufnahmen gekommen ist, sagte sie nicht.
Reaktionen aus der Politik: "Ein hochproblematischer Vorgang"
"Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang", sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz (Grüne), den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). "Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt", fügte der Grünen-Politiker hinzu. "Ich erwarte umgehende Aufklärung aller Hintergründe."
Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), forderte, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter warnte vor einer Veröffentlichung weiterer abgehörter Gespräche. "Es werden sicher noch etliche andere Gespräche abgehört worden sein und gegebenenfalls zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden", sagte er dem ZDF.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte bessere Vorkehrungen gegen Spionage. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre "zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung". Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden.
Video: Scholz zum Taurus-Leak
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