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Mit einem vorläufigen Ergebnis von 32,8 Prozent der Wählerstimmen in Thüringen ist die AfD im Landtag stärkste Kraft geworden. Spitzenkandidat Björn Höcke sagte am Sonntagabend in der ARD: "Es ist gute parlamentarische Tradition in Deutschland, dass die stärkste Kraft einer Wahl zu Gesprächen einlädt." Nun werde besprochen, wem Gesprächsangebote unterbreitet würden. Denn um zu regieren, müsste die Partei eine Koalition bilden. Doch niemand will mit ihr koalieren.
User-Kommentare: "Das erwartet der Wähler"
Schon vor der Wahl kommentierten BR24-User: "Die AfD wird stärkste Kraft bzw. zweitstärkste und damit besteht ein Recht auf die Beteiligung an der Regierung. Das erwartet der Wähler, ansonsten können wir die Wahl gleich sein lassen", so "Vanillepudding". "Wenn am Sonntag 30 Prozent z.B. in Sachsen AfD wählen, dann kann das doch nicht ignoriert werden. Demokratie geht anders", schrieb "Schlawiner". Andere User hielten entgegen, dass es solch ein Recht nicht gebe und dass eine Mehrheit erforderlich sei.
Stärkste Kraft nicht in der Regierung - Beispiele der Vergangenheit
Laut Christian Stecker, Professor am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt, bildete sich bisher nach rund zehn Prozent der Wahlen seit 1949 (externer Link) eine Regierung ohne die stärkste Partei. Etwa nach der Bundestagswahl 1976, nach der Bayern-Wahl 1954 oder in Bremen 2019.
"Keine Partei, die nicht eine absolute Mehrheit gewinnt, hat einen Anspruch, in der Regierung zu sein", sagte Stecker kurz vor den Landtagswahlen BR24. Nun war die "spezielle Situation, dass die AfD großen Zuspruch erhält und gleichzeitig andere Parteien stark ablehnt und auch von diesen stark abgelehnt wird". Das ist der Knackpunkt, denn in Deutschland entscheidet jede Partei selbst, mit wem sie koaliert. Auch wenn die AfD ihre Hand ausstrecken will - Gesprächseinladungen müssten erst einmal angenommen werden. In Thüringen und Sachsen stuft der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein.
Politologe: "Geht um Mehrheitsfähigkeit"
"Es geht in unserer Demokratie um Mehrheitsfähigkeit", erklärte Stecker. Mehrheitsfähig zu sein sei gerade jetzt von Bedeutung, da die stärkste Kraft im fragmentierten Parteiensystem oftmals weit unter der absoluten Mehrheit liege. Es kommt also auf die Verhandlungen an. "Die meisten Stimmen zu bekommen ist demokratietheoretisch weniger wert, als fähig zu sein, eine absolute Mehrheit bilden zu können", so der Politologe.
Bezüglich des Wählerwillens sagte Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Trier: "Wenn die anderen Fraktionen im Parlament eine Mehrheit bilden, bilden sie den Willen der Mehrheit der Wähler ab." Die Regierung hat so insgesamt mehr Wählerstimmen hinter sich, als die größte Fraktion ohne absoluter Mehrheit. "Man kann dem Wählerwillen auch ohne die Beteiligung der stärksten Fraktion an der Regierung gerecht werden."
Dieses Vorgehen ist auch in anderen "Koalitionsdemokratien" üblich, etwa in Österreich oder Belgien. Man ignoriere nicht den Wählerwillen, sagte Jun. "Denn der Wähler wählt die Zusammensetzung des Parlaments, nicht die Regierung." Diese wird vom Parlament gewählt. Die stärkste Fraktion bekommt in Sachsen und Thüringen lediglich das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten. Durch die Sperrminorität könnte die AfD als Oppositionskraft Einfluss bekommen.
Vorschlag: Auf alle Wählerpräferenzen schauen
Dennoch: Wenn die stärkste Kraft nicht in der Regierung ist, könne "der Eindruck geringerer Legitimität entstehen", so Jun. Auch in Vorwahlumfragen, die Stecker begleitete (externer Link), zeigte sich, dass viele Befragte der Überzeugung waren, dass die Partei mit den meisten Wählerstimmen in die Regierung gehöre. Dies müsse man auch ernst nehmen.
"Jede Umfrage interessiert sich mehr für den Wählerwillen als unser Wahlsystem", befand Stecker. Denn der Wähler werde nur nach seiner Erstpräferenz gefragt. Die Erwartung der Wähler spreche dafür, künftig beispielsweise auf alle Wählerpräferenzen zu schauen. So erstellten Wähler in Australien eine Rangordnung (externer Link) über alle Kandidaten hinweg. Ein Modell, in dem Stecker Vorteile sieht. Denn dadurch werde etwa auch deutlich, wie wenig jemand andere Parteien an der Macht sehen will.
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