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Soziale Ungleichheit wächst - Müssten Reiche mehr abgeben?

Soziale Ungleichheit wächst - Müssten Reiche mehr abgeben?

In Deutschland gibt es mehr Milliardäre als je zuvor. Der Abstand zwischen Reich und Arm wächst. Die zunehmende soziale Ungleichheit erfordert ein Eingreifen, sagen eine Millionärin und ein Soziologe.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Renate Stichter ist wohlhabend. Sie habe das Geld geerbt, mehr soll nicht geschrieben werden, bittet sie. Es geht um ihre Stiftung. Sie sitzt im Wohnzimmer von Arta Kanushi, es gibt Kaffee und saftigen albanischen Blechkuchen. Kanushi war wohnungslos, zwei Jahre lang lebte sie mit ihren drei Kindern in einem Frauenhaus. Sie hatte schon viele Jobs, derzeit ist sie arbeitssuchend, alleinerziehend mit drei Kindern im teuren München. Aber immerhin: Heute hat die Alleinerziehende eine Wohnung. Dank der Renate-Stichter-Stiftung.

Stiftung übernimmt Teil der Miete

Renate Stichter, Perlenohrringe, dunkelblaue Bluse, lässt Kanushi von ihrer Zeit im Frauenhaus erzählen: Sie und ihre Kinder fühlten sich dort sehr unwohl, gleichzeitig war es unmöglich, eine Wohnung zu finden. Entweder waren sie zu teuer oder sie bekamen Absagen. Alleinerziehend und Migrationshintergrund – das macht es doppelt schwer, das Misstrauen von Vermietern zu zerstreuen, glaubt Kanushi. Denn so absurd es scheint: Trotz des immensen Mangels an bezahlbaren Wohnungen stehen in Bayern Immobilien leer, da Vermieter mitunter befürchten, die Miete könnte nicht gezahlt werden.

Genau hier setzt die Stiftung von Renate Stichter an: Sie versucht Vertrauen zwischen Wohnungsbesitzern und alleinerziehenden Müttern herzustellen. Vermieter sollen sichergehen können, dass das Mietverhältnis verlässlich ist. Außerdem übernimmt die Stiftung die Kaution und einen Teil der Miete.

Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter

Im Dezember 2024 zählte die Stadt 11.271 Wohnungslose in München, teilt das Sozialreferat auf Anfrage mit. Tendenz steigend. Der Immobilienmarkt in München sei ein gutes Beispiel, um über soziale Ungleichheit zu sprechen, findet der Münchner Soziologieprofessor Fabian Pfeffer. Sehr deutlich lasse sich die Spreizbewegung ablesen zwischen denen, die Immobilien besitzen und deren Mieteinnahmen steigen, und Mietern, die immer höhere Wohnkosten aufbringen müssen.

Pfeffer hat 17 Jahre lang in den USA gelebt und zur sozialen Ungleichheit geforscht. Die derzeitige Lage in den USA bereite ihm Sorge, sagt er, aber die in Deutschland auch. Würde man das durchschnittliche Vermögen einer Familie in Deutschland in 1-Euro-Münzen übereinander stapeln, wäre das ein 50 Meter hoher Turm. Würde man das Vermögen eines deutschen Superreichen danebenstellen, würde sein Euro-Münzen-Stapel die internationale Raumstation ISS erreichen.

Pfeffer: Vermögenssteuer von 1 Prozent bereits effektiv

Für den Soziologen Pfeffer ist die Vermögenssteuer für Millionäre ein probates Mittel, die soziale Ungleichheit abzufedern. 1952, in der Nachkriegszeit, schraubte sie Konrad Adenauer auf 50 Prozent hoch. Eine erneute Besteuerung von Vermögen von Millionären mit angedachten 1 Prozent würde den Lebensstandard der Betroffen nicht ändern. Aber dem Staat stünden hohe Einnahmen zur Verfügung, die den ärmeren Schichten zugutekämen, wie etwa für den sozialen Wohnungsbau, sagt Pfeffer.

Pfeffer: Extremer Reichtum kann demokratische Balance gefährden

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos haben 370 Millionäre und Milliardäre für eine höhere Besteuerung von Vermögen der Superreichen demonstriert.

In den USA könne man beobachten, so der Soziologe Pfeffer, dass Hochvermögende wie Elon Musk mithilfe ihres Reichtums direkt in politische Prozesse eingreifen (externer Link), auch wenn dieser das zurückweise.

In Deutschland sei ein privilegierter politischer Einfluss von Wohlhabenden auf politische Entscheidungen im Bundestag nicht so klar erkennbar, allerdings müsse man auch hier aufpassen. "Dass beispielsweise die Besteuerung von Kapitaleinkommen sehr viel geringer ist als die Besteuerung von Lohnarbeit, das mag durchaus bestimmte Interessengruppen reflektieren, die das Ohr von Politikerinnen und Politikern haben", sagt Pfeffer.

Auch Stifterin Renate Stichter warnt vor sozialer Ungleichheit

Arta Kanushi zeigt Renate Stichter, wie die Kinderzimmer jetzt eingerichtet sind. Es freut die Unterstützerin, dass die Idee ihrer Stiftung so gut aufgeht. Denn die komme mit wenigen Mitarbeiterinnen aus und könne – anders als etwa Stadtverwaltungen – unbürokratisch nach Lösungen suchen. Drei Familien konnte sie bereits vermitteln. Mit einer Vermögenssteuer für wohlhabende Menschen wäre sie dennoch einverstanden. Sie mache sich Sorgen, sagt sie: Dass die Spanne zwischen reichen und armen Menschen immer weiter auseinandergehe, sei gesellschaftlich ungesund.

Im Video: Tagesgespräch 12.02.2025 - Sozialpolitik im Wahlkampf: Wie solidarisch soll unsere Gesellschaft sein?

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