Es ist gewissermaßen der letzte Akt eines Autolebens: seine Verwertung. Wenn etwa eine Mercedes-E-Klasse stolze 400.000 Kilometer gefahren wurde, dann gilt sie als Altfahrzeug und ist in der Regel reif für die Verschrottung. "Schlachtreif", so nennt man das in der Branche.
Verschrotten dürfen nur zertifizierte Betriebe, sogenannte Autoverwerter. Doch in Deutschland gibt es offenbar eine ganze Industrie an nicht-legalen Verwertern, die später mit Ersatzteilen Handel treiben. Jährlich verschwinden rund 360.000 Autos aus den Statistiken - und 300.000 davon sollen illegal in Deutschland zerlegt werden, so die Zahlen aus einer Studie des Umweltbundesamtes. Kontrovers - Die Story hat sich auf die Suche nach diesen Geisterautos begeben.
Im Video: Die ganze Reportage von Kontrovers - Die Story
So geht Verwertung richtig
Die Suche beginnt in Leipzig, bei Deutschlands größtem zertifizierten Autoverwerter. Christian Hauff, Kfz-Mechatroniker und seit 22 Jahren im Betrieb, erklärt, worauf es bei der legalen Verwertung ankommt: "Wir fangen jetzt an, das Fahrzeug trockenzulegen, nach genauen gesetzlichen Vorschriften vom Bundesumweltamt." Dann wird die Batterie entnommen, Klimagas abgezapft, Benzin abgepumpt. Alles kommt in dafür vorgesehene Behälter und wird separat entsorgt. Brauchbare Einzelteile werden für den späteren Verkauf abmontiert. Was dann noch übrigbleibt, das landet in der Presse. So können bis zu 95 Prozent des gesamten Autos recycelt werden.
Besonders wichtig ist die ordentliche Entsorgung von Klimagas, also dem Kältemittel in der Klimaanlage. Denn das ist umweltschädlich: Gelangt es in die Atmosphäre, wird CO2 freigesetzt; das regt den Treibhauseffekt an. Christian Hauff nutzt für die Entsorgung ein Klimaabsauggerät - das kostet zwischen 5.000 und 8.000 Euro. Kosten, die sich nicht-zertifizierte Betriebe vermutlich sparen, denn dort schneide man die Klimaleitungen einfach durch. Dadurch werden dem Umweltbundesamt zufolge rund 167.000 Tonnen CO2-Äquivalente freigesetzt - pro Jahr.
Unklare Regeln bei Verwertung: Gebrauchtwagen versus Altfahrzeug
Von dem Mercedes, den Christian Hauff in der Kontrovers-Story auseinanderschraubt, sollen Außenspiegel und Motorhaube weiterverkauft werden; für letztere will sein Arbeitgeber noch 285 Euro haben. Dieser Preis kann von illegalen Verwertern problemlos unterboten werden. Und das macht den lizenzierten Betrieben starke Konkurrenz. Geschäftsführer Michael Meinert sagt dazu: "Wir haben irgendwo 800 bis 1.000 zertifizierte Betriebe und haben 15.000 eBay-Shops mit gebrauchten Teilen. Da sehen Sie doch schon mal, was das für eine immense Anzahl sein muss an illegalen Fahrzeug-Zerlegern."
Das Problem beim Thema Auto-Verwertung: Es ist nicht eindeutig geregelt, wann ein Auto noch als Gebrauchtwagen gilt und wann als Altfahrzeug, also gefährlicher Abfall. Gebrauchtwagen dürfen Halter in ihrer Garage parken, auch um daran herumzuschrauben. Altfahrzeuge dürfen dagegen nur von einem zertifizierten Betrieb auseinandergebaut werden. Die Unterscheidung hängt auch am Willen des Halters: Soll das Auto nochmal repariert werden, um es weiterzufahren (Gebrauchtwagen) oder ist es, bis auf Einzelteile, reif für die Schlachtung (Altfahrzeug)? Und diese Uneindeutigkeit ist ein Schlupfloch für illegale Betriebe.
Was das Stichwort "Schlachtfest" bedeutet
Unser Reporter von Kontrovers - Die Story trifft einen Informanten, der ihm den Gegensatz zwischen Gebrauchtwagen und Altfahrzeug in der Praxis zeigen will - am Beispiel mutmaßlich illegaler Verwertungsbetriebe. Bestimmte Begriffe gelten in der Branche als Chiffren: Wird im Netz etwa ein Auto als "Schlachtfest" angeboten, deute das auf ein Altfahrzeug hin.
300.000 Geisterautos: Behörden am Limit
Am Ende bleibt die Frage stehen: Wie kann es sein, dass hierzulande so viele nicht-zertifizierte Betriebe ungehindert Autos ausschlachten? Die verantwortlichen Ämter geben bis Redaktionsschluss keine offizielle Auskunft. Aus Hintergrundgesprächen erfahren wir: Es fehle an personellen Kapazitäten, man sei auf Zeugen angewiesen. Die aber wollen, wie auch unser Informant, anonym bleiben.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!