Symbolbild: Der Kirchturm der Auerkirche in Oberau vor der Kulisse des Watzmanns
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Zeitkapseln auf Kirchtürmen - Schätze zwischen Himmel und Erde

Zeitkapseln auf Kirchtürmen - Schätze zwischen Himmel und Erde

Reliquien, Briefe aus der NS-Zeit oder sogar eine tote Schildkröte: Auf Kirchturmspitzen gibt es oft goldene Kugeln, und in vielen verbergen sich teils bizarre Schätze – auch in Bayern. Es ist eine Art Flüsterpost über Jahrhunderte hinweg.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Tausende gibt es davon in Deutschland, viele auch in Bayern: Kugeln auf Kirchturmspitzen. Man nimmt sie oft erst auf den zweiten Blick wahr und würde gar nicht vermuten, dass sie es in sich haben – denn viele stecken voller historischer Überraschungen.

Bauleute befüllen Kirchturmkugeln seit dem Mittelalter

Ende September 2024 in Bad Reichenhall: Die fast 900 Jahre alte romanische Stadtkirche Sankt Zeno ist eine Baustelle. Bauleiter Matthias Rein gibt die Anweisungen. Das Dach der Kirchturmspitze muss neu gedeckt werden. Deshalb soll das Kreuz abmontiert werden – mitsamt der goldenen Kirchturmkugel, auf der es sitzt. In der Kugel könnte sich ein historischer Schatz verstecken. Dies sei eine "einmalige Sache", sagt Rein. "Wir sind natürlich alle gespannt, ob in der Kapsel etwas drin ist."

Seit dem Mittelalter befüllen Bauleute, Pfarrer und Gemeindemitglieder Kirchturmkugeln mit Botschaften für die Nachwelt. Bei Sanierungen werden die Kugeln geöffnet und wiederum durch eine Botschaft oder Gegenstände ergänzt. Eine Art Flüsterpost über die Jahrhunderte. Ob der Brauch auch in Sankt Zeno in Bad Reichenhall gepflegt wurde, wird sich gleich zeigen.

Geschichten, die zwischen Himmel und Erde schlummern

Den Geschichten, die zwischen Himmel und Erde in Kirchturmkugeln schlummern, ist der Schweizer Historiker Beat Kümin auf der Spur. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern von der Universität Warwick in England sucht er in Kirchenarchiven systematisch nach Hinweisen auf frühere Öffnungen von Kugeln und deren Inhalte. Denn die können tiefe Einblicke in die Vergangenheit geben.

Im fränkischen Roßtal etwa legte bei einer Turmsanierung 1936 der Pfarrersohn einen Brief in die Kugel, in dem er das NS-Regime kritisierte – damals nicht ungefährlich, sagt Kümin. "Man konnte das aber machen, weil man davon ausgeht, dass diese Äußerungen dann erst nach Jahrzehnten wieder gefunden werden. Deshalb besteht eine diskursive Freiheit, die man sonst in anderen Situationen nicht hat."

Tote Schildkröte auf dem Züricher Münster

Auch seltene Münzen und Reliquien fanden sich. Auf dem Züricher Fraumünster barg die Kugel eine tote Schildkröte. Wohl ein Symbol für eine Art Schutzpanzer über der Gemeinde, glaubt der Historiker. Die Öffnungen seien daher "jedes Mal eine Überraschung".

Und manchmal auch eine Enttäuschung: Als etwa im fränkischen Helmitzheim im Landkreis Kitzingen die Kugel der evangelischen Kirche 2022 geöffnet wurde, fand die Gemeinde nichts darin, führte den Brauch dann aber ein. Als Zeugnisse für die Nachwelt liegen in der Kugel auf dem Kirchturm jetzt unter anderem ein Corona-Test und eine Maske.

Zeitkapsel in Bad Reichenhall wurde vor 40 Jahren schon einmal geöffnet

Zurück in Bad Reichenhall. Es ist fast so weit: Die Spengler haben die Kugel samt Kreuz abmontiert und an einem Kran befestigt. Jetzt wird sie langsam nach unten gelassen und von Bauleiter Rein entgegengenommen – und endlich geöffnet.

Für den anwesenden Stadtheimatpfleger Johannes Lang ist aufgrund von Tesa an der Zeitkapsel schnell klar, dass die Kugel vor 40 Jahren schon einmal aufgemacht worden war. Dennoch ist es ein reicher Fund. Alte Handwerkerrechnungen kommen zum Vorschein – die Währung darauf: Gulden.

Zurück in die Kugel kommt auch eine Botschaft aus der Gegenwart

Auch ein über 150 Jahre altes Foto von dem ehemaligen Pfarrer Anton Thoma, der um 1868 in Sankt Zeno wirkte, ist enthalten. Von ihm stammt wohl das damalige Motto der Gemeinde "Im Kreuz ist Heil", das er in einem Brief hinterlassen hat. Alles Dokumente, die nun archiviert werden.

Zurück in die Kugel kommen nur die Kopien – und natürlich eine Botschaft aus der Gegenwart, die Pfarrer Moderegger verfassen wird. Er möchte den Unheilspropheten dieser Zeit etwas entgegensetzen: "Ich kenne ja viele Zeitgenossen, die auf alles schimpfen. Persönlich möchte ich sagen: Nein, ich finde, wir leben in einer guten Zeit."

Ende Oktober soll die neu befüllte Kugel auf den sanierten Kirchturm wieder montiert werden.

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