Viele Erfrischungsgetränke enthalten viel Zucker.
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Getränkedosen in einem Supermarkt Kühlregal

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Zuckersteuer auf Getränke – Aktionismus oder sinnvolle Maßnahme?

Limo, Cola und Eistee erfrischen an heißen Tagen, doch sie enthalten oft zu viel ungesunden Zucker. Nun wird in Deutschland über eine Zuckersteuer diskutiert. Großbritannien hat sie schon vor Jahren eingeführt – mit Erfolg.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Säfte, Energydrinks, Cola, Limo, Eistee – gerade wenn die Temperaturen steigen, greifen viele Menschen gerne zu eisgekühlten Erfrischungsgetränken. Doch die meisten dieser Getränke enthalten viel Zucker. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist seit Jahren auf die Gefahren eines übermäßigen Zuckerkonsums hin und empfiehlt global eine Zuckersteuer. Laut dpa erheben weltweit 117 Länder und Territorien Steuern auf zuckerhaltige Getränke – Deutschland gehört nicht dazu.

Großbritannien führte 2018 eine Zuckersteuer ein – gemäß neuester Daten mit großem Erfolg. Laut einer Studie der Cambridge University (externer Link) halbierte sich die Zuckermenge, die Kinder dort durch Limonaden und Ähnliches zu sich nehmen, innerhalb eines Jahres nach Einführung der Steuer, wodurch sich beispielsweise die Fettleibigkeit bei zehn- und elfjährigen Mädchen um acht Prozent verringerte.

"Weißes Gold" – Zucker einst nur für Reiche

Zucker war einst ein kostbares Nahrungsmittel, das sich bis in die Neuzeit nur Reiche leisten konnten. Nicht umsonst wurde Rohrzucker als "Weißes Gold" bezeichnet. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts, mit Beginn der industriellen Zuckerherstellung, landete er auch in den Küchen und auf den Tellern der breiten Masse. 1841 wurde im damaligen Preußen das erste Zuckersteuergesetz erlassen. Anfangs auf Import und Herstellung, dann als reine Verbrauchsteuer.

Selbstverpflichtung nicht erfolgreich

Deutschland schaffte die Steuer 1993 mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes und der Harmonisierung der Gesetzgebung wieder ab und setzt seit 2015 auf eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft – mit mäßigem Erfolg. Laut einer 2023 veröffentlichten Studie der LMU München (externer Link) ging der durchschnittliche Zuckergehalt von Softdrinks in Deutschland zwischen 2015 und 2021 gerade einmal um zwei Prozent zurück. Möglicherweise könnte sich der Ansatz bald ändern: Anfang Juni sprachen sich neun von 16 Bundesländern auf der Verbraucherschutzministerkonferenz für eine Zuckersteuer auf besonders zuckerhaltige Getränke aus. Bayern ist nicht darunter.

Zuckersteuer: FDP und CSU dagegen

Die Idee ist nicht neu: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sie schon vor Jahren in seiner Funktion als gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partei eingebracht. Die Zuckersteuer hat es allerdings nicht in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung geschafft. Wolfgang Kubicki, der stellvertretende FDP-Vorsitzende, bezeichnete Pläne dazu als "politischen Aktionismus". Auch CDU und CSU haben eine derartige Steuer bis dato immer abgelehnt.

Aus Sicht des Bayerischen Verbraucherschutzministeriums sind weitere Vorgaben des Staates nicht erforderlich. Es liege in der Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten sowie deren Eltern, über den Konsum von Softdrinks zu entscheiden, schreibt die Pressestelle von Verbraucherschutzminister Thorsten Glauber (FW) auf eine Anfrage von BR24 hin. Zucker sei in vielen Lebensmitteln enthalten. Gesunde Ernährung basiere auf einer vielfältigen und überlegten Lebensmittelauswahl. "Die Effekte einer bürokratisch aufwändigen Besteuerung von Softgetränken sind aus bayerischer Sicht überschaubar."

Grüne: Nahrungsmittelhersteller sollen gesündere Lebensmittel produzieren

Die Grünen wollen mithilfe einer Zuckersteuer weniger die Menschen bevormunden als vielmehr die Nahrungsmittelindustrie dazu erziehen, gesündere Produkte herzustellen. Cem Özdemir (Grüne), der im Bund für das Thema Ernährung zuständig ist, freut sich deshalb, dass neun seiner Kollegen auf Länderebene sich jetzt dafür ausgesprochen haben und hofft, dass diese auch die Ministerpräsidenten der Länder überzeugen.

Weniger Folgeerkrankungen – riesiges Einsparpotential

Der volkswirtschaftliche Nutzen einer Zuckersteuer auf Softdrinks ist groß – aus gesundheitlichen Gründen. Zu diesem Ergebnis kam 2023 eine Studie der Technischen Universität München (externer Link) und der britischen Universität Liverpool im Fachmagazin "PLOS Medicine". Denn die Folgekosten eines hohen Zuckerkonsums sind hoch. Laut Dr. Peter von Philipsborn vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung an der LMU München hat die Studie seiner Kollegen ergeben, dass "über die kommenden 20 Jahre hinweg rund 250.000 Diabetes-Fälle und 70.000 Adipositas-Fälle verhindert, 160.000 Lebensjahre gewonnen, sowie 4 Milliarden Euro Gesundheitskosten und 16 Milliarden Euro gesellschaftliche Kosten vermieden werden könnten."

Nach Angaben des Statistischem Bundesamts (externer Link) brachten 2019 rund 54 Prozent aller Erwachsenen zu viele Kilos auf die Waage. Bei Kindern und Jugendlichen sind 15,4 Prozent von Übergewicht (externer Link) betroffen, 5,9 Prozent haben eine Adipositas.

Auch Kinderzähne profitieren von einer Zuckersteuer. Das belegt eine britische Studie (externer Link). So sei die Zahl der Zahnextraktionen bei Kindern in den ersten fünf Lebensjahren um mehr als ein Viertel gesunken.

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Zucker in Getränken

Verband der Kinder- und Jugendärzte begrüßt Zuckersteuer

Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Bayern steht der Zuckersteuer positiv gegenüber. "Zucker ist eines der umstrittensten Lebensmittel", das mit einer Reihe von Erkrankungen in Verbindung gebracht werde, so der Landesverbandsvorsitzende Dominik Ewald. Der Mediziner verweist auf den Gewohnheitsaspekt "bis hin zur Sucht". Inwieweit Zucker für den Einzelnen schädlich sei, hänge von vielen Faktoren ab. "Wenn eine Zuckersteuer den übermäßigen Konsum von Zucker, speziell im Kindesalter senken kann, sollte so eine Maßnahme im Sinne des Verbraucherschutzes erfolgen", sagte Ewald BR24.

Wie könnte eine Zuckersteuer aussehen?

Großbritannien setzt auf eine gestaffelte Zuckersteuer – und damit auf einen finanziellen Anreiz für die Hersteller. Diese reduzierten den Zuckergehalt in ihren Getränken, um unter einen niedrigeren Steuersatz zu fallen. Ab fünf Gramm Zucker pro 100 Millilitern beträgt die Steuer 18 Pence pro Liter (umgerechnet 21 Euro-Cent), ab acht Gramm Zucker werden 24 Pence pro Liter fällig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, externer Link) plädiert für eben so eine gestaffelte Besteuerung.

Weniger erfolgreich war laut dem DIW eine pauschale Zuckersteuer, wie Dänemark sie 2012 eingeführt hatte. Die Dänen hätten im Durchschnitt danach zwar deutlich weniger zuckerhaltige Getränke getrunken. "Allerdings reduzierten die Personen, die ihren Zuckerkonsum wenig unter Kontrolle haben, ihren Softdrink-Konsum trotz um elf Prozent höherer Preise im Vergleich zu Menschen mit hoher Selbstkontrolle kaum (nur um vier Prozent im Vergleich zu 19 Prozent)", so die Bilanz. Die Zuckersteuer wurde in Dänemark wieder abgeschafft.

Eine Steuer könne im Kampf gegen Adipositas per se aber nicht das alleinige Mittel sein, warnt der Mediziner Dominik Ewald. Notwendig sei vielmehr ein multimodales Konzept aus psychischer Begleitung der Familie, Ernährungsschulung, angeleitetem Sport und Bewegung mit Gleichalten sowie gemeinsame Erlebnisse in der Familie.

Vorbehalte gegen eine Bevormundung

Grundsätzlich sind in Deutschland die Vorbehalte gegen eine Bevormundung des Staates groß, auch in gesundheitlichen Fragen. Viele wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Zucker sie konsumieren sollten oder nicht. Auch das Argument, dass eine Zuckersteuer untere Einkommensschichten härter treffen und ihre Wahlfreiheit an der Supermarktkasse einschränken würde, wird immer wieder vorgebracht. Tatsächlich ist es aber so, dass gerade diese Gruppe am stärksten von einer Zuckersteuer profitieren würde. Das hat die letzte Nationale Verzehrsstudie (externer Link) gezeigt. Demnach ist der Konsum zuckergesüßter Getränke in der niedrigen Sozialschicht rund viermal so hoch wie in der oberen Sozialschicht.

Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) warnt vor einer Zuckersteuer. Hauptgeschäftsführer Günter Tissen hält diesen Ansatz nicht für zielführend: "Um das eigentliche Ziel zu erreichen – Übergewicht und die damit verbundenen gesundheitlichen Folgen zu bekämpfen – bleibt die Kalorienbilanz entscheidend. Deshalb müssen die Kalorien in den Mittelpunkt gerückt werden, die Regulierung einzelner Nährstoffe wie Zucker ist dafür eindeutig der falsche Weg."

Der Mediziner Dominik Ewald hingegen geht davon aus, dass eine Verteuerung von zuckerhaltigen Lebensmitteln sehr wohl eine Auswirkung auf den Konsum haben würde. "Im Gegensatz zu der politischen Äußerung der FDP ist dies durchaus zu begrüßen und nicht mit einem Vorenthalten von Nahrungsmitteln misszuverstehen. Andere Nahrungsmittel werden ja auch im Sinne des Verbraucherschutzes gesetzlich reglementiert oder supplementiert", betont der Mediziner.

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