Betroffene Ingolstädterin Ulrike Dengel
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Zwangsbehandlung bald auch außerhalb von Kliniken möglich?

Medizinische Behandlungen gegen den Patientenwillen sind bisher nur als Ausnahme erlaubt und sie dürfen nur stationär in einer Klinik erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht prüft jetzt, ob es Ausnahmen geben kann, wenn das zum Wohl der Patienten ist.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Ingolstädterin Ulrike Dengel geht offen damit um. Sie wurde gegen ihren Willen medizinisch behandelt. Das war vor gut zwei Jahren, als sie eine manische Phase hatte. Damals ordnete ein Richter die Unterbringung in einer Klinik an, um sie zu schützen. Die Ärzte fixierten sie sogar. Auch wenn sie immer noch darunter leidet und Albträume hat, glaubt sie, dass die Ärzte damals richtig gehandelt haben: "Ich bin der festen Überzeugung, es musste sein."

Die Hürden für Zwangsbehandlungen sind hoch

Zwangsbehandlungen sind ethisch heikel, die Hürden hoch. Ein Richter muss sie anordnen und sie können nur stationär im Krankenhaus durchgeführt werden. Sie darf nur bei Menschen zur Anwendung kommen, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung nicht in der Lage sind, selbst zu entscheiden. Gleichzeitig muss eine ernsthafte Gefährdung für ihre Gesundheit vorliegen, so Professor Thomas Pöllmächer.

Der Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN), nennt weitere Beispiele, bei denen Behandlungen gegen den Willen des Patienten nötig sein können: "Stellen Sie sich einen Patienten vor, der sich vom Geheimdienst verfolgt fühlt und so aufgeregt und nervös ist, dass er den Straßenverkehr gefährdet. Oder eine schwangere Patientin, die in ihrer Erkrankung nicht einsehen kann, dass ihr Kind auf natürlichem Weg nicht zur Welt kommen kann, sondern ein Kaiserschnitt notwendig ist."

Kann eine nicht-stationäre Behandlung im Einzelfall besser für den Patienten sein?

Solche Behandlungen können nur stationär im Krankenhaus stattfinden. Doch es gibt auch Fälle, bei denen eine andere Regelung für die Patienten weniger belastend sein könnte: Zum Beispiel, wenn demente Patienten für die Medikation extra ins Krankenhaus müssen. Das Bundesverfassungsgericht prüft jetzt, ob von der stationären Behandlung abgewichen werden darf.

Zu dieser Prüfung kam es, weil ein gesetzlicher Betreuer eine Ausnahmegenehmigung für eine Frau beantragen wollte. Sie musste zur Medikamenteneinnahme regelmäßig in eine Klinik gebracht werden, obwohl das auch in ihrer Pflegeeinrichtung gegangen wäre. Der Betreuer argumentiert, dass die Patientin der stationäre Aufenthalt in einer Klinik zusätzlich belaste.

Bundesgerichtshof gab Entscheidung zu Zwangsbehandlung an Verfassungsrichter weiter

Zunächst befassten sich die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) mit dem Fall. Sie meinten, die aktuelle Regelung verstoße gegen das Grundgesetz, wenn es im Einzelfall für den Patienten anders besser wäre. Deshalb gaben sie den Fall an die Verfassungsrichter weiter. Jetzt liegt der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht.

Der Ingolstädter Professor Thomas Pöllmächer ist einer der Sachverständigen, der die Richter berät. Er ist für eine Einzelfallprüfung: "Wie und auf welchem Wege sollte weniger von der Diagnose abhängen, sondern in jedem einzelnen Fall geprüft und erwogen werden. Immer unter dem Bild des geringsten möglichen Eingriffs, also das mildeste Mittel, das überhaupt zur Verfügung steht."

Ob es eine Zwangsmedikation auch außerhalb der Kliniken geben darf, wird sich zeigen. Das Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Und es gibt auch Kritiker, die gegen eine Öffnung der Regelung sind. Sie fürchten, mit Ausnahmeregelungen könnte die Zahl der Zwangsmaßnahmen steigen.

Ein älterer Herr kommt mit seinem Rollator in ein Behandlungszimmer
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