Wie in einem Bühnenbild schlängeln sich alte Wrackteile in Richtung dreier dunkler Tunneleinfahrten: Ein Oldtimer aus den 1930er-Jahren, ein ausgebranntes SUV, alte Handkarren und eine Postkutsche aus dem 19. Jahrhundert: einige von 50 alten Fahrzeugen, die mit Hunderten von Archivboxen beladen wurden. Doch was haben die alten Vehikel mit dem deutschen Archivwesen zu tun?
Reise in eine ungewisse Zukunft
Das Berliner Künstlerduo Böhler&Orendt schickt in seiner raumgreifenden Installation "Memory Movers" ausrangierte Fahrzeuge auf eine ungewisse Reise. Für Christian Orendt trifft dieses Bild auch auf die Situation vieler Archive zu.
"Wenn man gerade verfolgt, was in der Welt passiert, weiß eigentlich niemand, wie die Zukunft in zehn Jahren aussieht und gleichzeitig beinhaltet diese Tätigkeit des Archivierens, dass man Dinge über einen Zeitraum bewahrt, der viel länger ist als die letzten zehn Jahre." Christian Orendt
Wie spannend und unterschiedlich Archive im deutschsprachigen Raum sind, zeigt sich im Gepäck der Fahrzeuginstallation. Um das zu erkunden, bekommen Besucherinnen und Besucher einen geheimnisvollen Audio-Guide.
Rundgang mit einem Geist
Beim Erkunden der Archivobjekte, die in und auf den alten Fahrzeugen präsentiert werden, helfen sogenannte Geister. Es sind Audio-Guides, die mit dem Aufziehen eines Plastikhutes aktiviert werden. Ein wenig erinnert das an den Zauberhut bei Harry Potter. Wenn Besucherinnen und Besucher diesen transparenten Plastikhut aufsetzen, erfolgt als Erstes eine persönliche Begrüßung in einer drolligen kindlichen Stimme des Geistes – hier nennen sie sich Daimons.
Diese Geister werden mittels Bluetooth an den einzelnen Fahrzeugen aktiviert. Wer sich zum Beispiel der ausgestellten Postkutsche nähert, erfährt mehr über den Reisedienst der ehemaligen DDR und wie Bürger in Ostdeutschland in den 1970er-Jahren Urlaub machen konnten. Die Audio-Guide-Texte, die von den Hüten abgespielt werden, sind nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam und kurios.
Archive sind nicht langweilig
Ein Rundgang über die Ausstellung zeigt, wie spannend Archive sein können: Denn gesammelt werden nicht nur trockenes Hintergrundwissen, sondern auch Fotos, Bilder, Plakate und Videos. In einem alten Trabi ist zum Beispiel ein Video der Digitalen Reproduktion eines selbstspielenden Klaviers von 1910 zu sehen, eine Leihgabe des Musikarchivs der deutschen Nationalbibliothek.
50 Archive stellen sich vor
Die Berliner Künstler Matthias Böhler und Christian Orendt sind nicht nur für die künstlerische Gestaltung der Ausstellung verantwortlich, sondern auch für die inhaltliche Ausrichtung. Künstler als Kuratoren – eine Kombination, die hier eine ungewöhnliche und spannende Herangehensweise für das eigentlich trockene Thema "Archiv" verspricht. Das Künstlerduo wählte von rund 300 Archiven insgesamt 50 für ihre Ausstellung aus.
Das Berliner Künstlerduo "Böhler&Orendt" will vor allem zeigen, dass aktuelle Themen oft gar nicht so neu und innovativ sind: In der Ausstellung finden sich Plakate, die zeigen, dass bereits 1910 fleischlose Ernährung propagiert wurde. Auch die Deutsche Bahn warb in den 1970er-Jahren mit Plakaten für die Reise mit dem Zug, der Umwelt zuliebe. Und die aktuell viel diskutierte Künstliche Intelligenz mittels ChatGPT hatte bereits Ende der 1950er-Jahre einen Vorläufer: Ausgestellt ist ein Computergedicht, das der Mathematiker Theo Lutz damals mit einem der ersten Computer programmierte.
Lehren aus der Vergangenheit
Die raumgreifende Installation "Memory Movers" vermittelt spannende Geschichten aus 50 deutschen Archiven und vielen Jahrhunderten. Nach einem Rundgang wird deutlich, warum das Archivieren von Kulturgütern so wichtig ist: Mit einem Blick in die Vergangenheit zeigt sich vieles heute in einem neuen Licht. "Memory Movers" ist eine außergewöhnliche Ausstellung, die zugleich ein spannendes Abenteuer ist.
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