Einerseits stand "Mozart!" nach der Uraufführung im Oktober 1999 in Wien 419 Mal auf dem Spielplan und wurde ein paar Jahre später über 300 Mal in Hamburg (und anderswo) aufgeführt, was für eine gewisse Popularität spricht. Andererseits waren die Kritiken schon damals durchwachsen. Das Buch von Michael Kunze sei "zu konstruiert", war zu lesen, die Musik von Sylvester Levay (Schöpfer des Siebziger-Jahre-Ohrwurms "Fly, Robin, Fly") sei vorhersehbar und wenig originell. Gemessen am großen Komponisten Mozart ist das Stück in der Tat eine ziemlich fantasielose Angelegenheit mit teils ärgerlich schablonenhaften Melodien.
Volle Haare grau gepudert
Aber spielfreudige, ja ausgelassene Mitwirkende, ein inspirierter Regisseur und ein motivierter Dirigent können den dreistündigen Abend trotzdem retten, wie sich an der Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater herausstellte. Es wärmt das Herz, wenn junge und sehr junge Studierende ältere Personen darstellen und sich dafür ihre vollen Haare grau pudern müssen. Natürlich nimmt man ihnen die "Senioren"-Rollen nicht ab, aber es ist ausgesprochen vergnüglich und berührend, wie sie aus ihrer jugendfrischen Perspektive mehr oder weniger gebeugte Charaktere in vorgerückten Jahren interpretieren.
Mozart steht gleich dreimal auf der Bühne, die Titelrolle ist aufgeteilt unter Christian Sattler, Jens Emmert und Raphael Binde. Energiegeladen sind sie alle, unternehmungslustig und geltungsbedürftig, wie es der Komponist zweifellos war. Ihnen nimmt man sofort ab, dass sie keinen Respekt vor muffigen Autoritäten haben wie dem letzten regierenden Salzburger Fürstbischof Hieronymus Colloredo (1732 - 1812). Teodor Pop spielt ihn fulminant, ihm ist eine großartige Musical-Karriere zu wünschen. Ebenfalls von mitreißender Intensität: Laura Oswald als Mozarts Ehefrau Constanze und Madleen Dederding als kunstbeflissene Baronin von Waldstätten.
Auch mal ins Risiko gehen
Die Choreographie von Alex Frei machte durchweg gute Laune, zumal der studentische Cast funkensprühend fröhlich bei der Sache war, was nicht von jedem Ensemble zu behaupten ist, schon gar nicht bei Tourneen-Produktionen. Klar, es gibt mal Wackler und Unaufmerksamkeiten, aber gerade sie zeigen, dass hier alle für ihre Arbeit lichterloh brennen und auch mal ins Risiko gehen.
Regisseur Andreas Gergen ist derzeit einer der besten Musical-Spezialisten im deutschsprachigen Raum überhaupt. Wunderbar, dass er diese "Rettungsaktion" für "Mozart!" übernommen hat. Ausstatter Stephan Prattes hatte eine kreisrunde Kampfarena entworfen, eingerahmt von Baugerüsten. Draußen wirbt ein riesiges Werbebanner für Mozart, drinnen prallen die Interessen in einem kräftezehrenden Match aufeinander. Kein Wunder, dass alle in weißen Fitness-Klamotten auftreten: Komponieren und musizieren ist (Hoch-)Leistungssport.
Athletische Herausforderung
Keck lässt Gergen erst ein paar kleinere, dann eine überdimensionale Mozart-Kugel in die Arena rollen. Mit der Süßigkeit wird bekanntlich rund um Salzburg und Bad Reichenhall gut verdient, in Memoriam des Meisters. Ums Geld geht's in dieser Inszenierung mindestens so oft wie um die Kunst und die Liebe, eine tragikomische Ironie, die von Mozarts wechselhafter Lebensgeschichte beglaubigt wird. Die Dukaten waren stets knapp bemessen, die Ausgabendisziplin allerdings auch.
Dirigent Andreas Kowalewitz und das Münchner Rundfunkorchester gingen betont forsch an die Arbeit, sowohl was die Lautstärke, als auch was das Tempo betrifft: Beherzt und erfreulich rasant vermieden sie weitgehend den zähflüssigen Kitsch, den Sylvester Levay leider hier und da über seine Partitur gegossen hat.
Insgesamt eine fürwahr athletische Herausforderung, diesen wenig griffigen Musical-Brocken zu stemmen. Entsprechend dankbar und freundlich reagierte das Publikum: Stehende Ovationen.
Wieder am 15., 17., 19. und 22. November an der Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater München.
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