Der Stahlhelm eines Wehrmachtssoldaten.
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Debatte um "Traditionserlass": Ehrwürdige Wehrmachts-Generäle?

Laut einem Dokument des Verteidigungsministeriums sollten Angehörige der Wehrmacht künftig Teil einer positiven Erinnerungskultur der Bundeswehr sein – im Namen der "Kriegstüchtigkeit". Nach heftiger Kritik wurde das Papier nun zurückgezogen.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

In welcher Tradition kämpft eine Armee, deren Vorgänger einen Vernichtungskrieg, viele Millionen Tote und zahlreiche Kriegsverbrechen zu verantworten hat? Um diese Frage zu beantworten, beschloss das Verteidigungsministerium 2018 eine Neufassung des "Traditionserlasses" der Bundeswehr. Mit der Dienstvorschrift sollte geregelt werden, welche Art von Erinnerungskultur in der Bundeswehr gilt. Sie stellte klar: "Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen." Dieser Erlass wurde am 12. Juli 2024 um eine "Klarstellung zur Auslegung des Traditionserlasses" ergänzt, über die die taz Anfang der Woche berichtete (externer Link).

"Zeitenwende": Militärs in positiver Erinnerung behalten

Der entscheidende Punkt darin: Fortan sollen vor dem Hintergrund der "Zeitenwende" und des Kriegs in der Ukraine auch einzelne Militärs in positiver Erinnerung behalten werden, wenn sie sich als besonders "kriegstüchtig" erwiesen hatten – selbst als Teil der Wehrmacht – und danach die Bundeswehr prägten. Diese neue Auslegung hat eine Debatte ausgelöst. So bezeichnete der Schriftsteller Max Czollek (externer Link) das Dokument etwa als "Deutsche Gutwerdung qua Dekret". Der Historiker Jürgen Zimmerer schrieb, das Papier liefe "allem zuwider, was erinnerungskulturell seit Wehrmachtsausstellungen geschehen ist."

Das Ministerium lenkte Mitte der Woche schließlich ein: Die ergänzenden Hinweise im Dokument hätten "sich jetzt in der Rückschau so nicht als förderlich herausgestellt" und würden zurückgenommen.

Abwägen zwischen "persönlicher Schuld und individueller Leistung"

Das betreffende Dokument (externer Link) allerdings hätte auch ganz ohne die öffentliche Aufregung im Verteidigungsministerium auffallen müssen: Es gäbe außerhalb der "bundeswehreigenen Geschichte Spielraum für traditionsstiftende Beispiele militärischer Exzellenz", heißt es darin.

Unterzeichnet hatte Kai Rohrschneider, der im Ministerium als Leiter der Abteilung Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte arbeitet, also durchaus in ranghoher Position. Laut Ministerium hatte der Verfasser des Dokuments im Alleingang gehandelt.

Auch laut des Traditionserlasses von 2018 war es möglich, Menschen aus der NS-Zeit als Beispiele einer fortwährenden Tradition heranzuführen, sofern diese sich im Widerstand oder beim Aufbau der Bundeswehr verdient gemacht hatten. Die Neufassung war damals Ergebnis eines langen parlamentarischen Aushandlungsprozesses.

In seinem angeblichen Alleingang ergänzte Rohrschneider nun freimütig: Zur Förderung der "Kriegstüchtigkeit" der heutigen Streitkräfte sei es zusätzlich notwendig, "eine Auseinandersetzung mit Beispielen für militärische Exzellenz, Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf zum Ziel" zu führen. Bei der Auswahl traditionswürdiger Figuren müsse man fortan "zwischen etwaiger persönlicher Schuld und individueller Leistung" abwägen. Es las sich so, als könne das eine das andere ausgleichen.

Vom risikofreudigen Jagdpilot bis hin zum SS-Mitglied

Was damit konkret gemeint war, wird in den folgenden Absätzen deutlich. Hier werden Beispiele für Menschen aufgeführt, die sich angeblich als Beispiele besagter "Exzellenz" eignen: Zum Beispiel Hans Röttiger, Generalsstabschef einer Panzerarmee im Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion, ausgezeichnet mit dem von Hitler gestifteten "Goldenen Kreuz".

Oder Erich Hartmann, als risikofreudiger Jagdpilot ein Held der NS-Propaganda. Im Schreiben des Verteidigungsministeriums werden seine Verdienste minutiös aufgelistet, mit seinen 352 "Luftsiegen" (in anderen Worten: Abschüssen von Piloten der Alliierten), sei er der "erfolgreichste Jagdflieger der Militärluftfahrt".

Ein weiterer Name: Erich Topp, U-Boot-Kommandant. Er trat 1933 in die NSDAP ein und war bereits ab 1934 Mitglied der Allgemeine-SS. Im Dokument steht, er habe sich nach Kriegsende "sehr kritisch mit der eigenen Vita sowie der Rolle der Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg" auseinandergesetzt. Das sollte in Zukunft offenbar reichen.

Militärische Exzellenz – losgelöst vom Kontext?

Kann man militärische Leistungen von Menschen unabhängig vom System betrachten, für das sie erbracht wurden? Unabhängig von der Brutalität ihres übergeordneten Feldzugs, jahrelanger Besatzung, Aushungerung, Deportationen und Kriegsverbrechen?

Die Geschichtsprofessorin und Wehrmachts-Expertin Tatjana Tönsmeyer von der Universität Wuppertal hat hier Einwände: "Was hier eigentlich passiert, ist eine Entkontextualisierung. Und Entkontextualisierung heißt Enthistorisierung", sagt sie gegenüber dem BR. Wenn man behaupte, dass jemand im Krieg große Leistungen erbracht habe, könne man diese nicht isoliert betrachten: "Wenn ich zum Beispiel sage, dass jemand ein hervorragender Bomber-Pilot war, muss ich auch fragen: Was hat er denn bombardiert? Warschau? Rotterdam? Belgrad?"

"Ehrenrettung der Wehrmacht"

Bei der Bundespressekonferenz am Montag hatte Oberst und Bundeswehr-Sprecher Arne Collatz das Papier und die darin auftauchenden Figuren, die nach der Wehrmacht Karriere bei der Bundeswehr gemacht hatten, noch verteidigt. Er verwies auf den "Personalgutachterausschuss", der in den 50er-Jahren die Eignung künftiger Bundeswehr-Mitglieder prüfte. Durch die Prüfung hätten nur "verlässliche, in der Demokratie gefestigte Menschen" beitreten können.

Historikerin Tönsmeyer meint, dass in der frühen Nachkriegszeit andere Maßstäbe gegolten hätten: wie die Wehrmacht etwa sowjetische Kriegsgefangene behandelt hatte, die millionenfach starben, oder wie sie im "Partisanenkrieg" die Zivilbevölkerung terrorisierte. "Das galt damals als kriegsnotwendig", sagt sie. Die Rolle der Wehrmacht sei zu Zeiten des Personalgutachterausschusses bei Weitem nicht ausreichend erforscht gewesen.

Auch Geschichts-Professor Jürgen Zimmerer hatte im Gespräch mit dem BR am Mittwochvormittag nur wenig Verständnis für die Ergänzungen. Er bezeichnete sie als "Ehrenrettung der Wehrmacht", einen Rückschritt nach der mühsamen Aufarbeitung in den 90er-Jahren: "Bis vor Kurzem hat man gesagt: Die Bundeswehr hat braune Wurzeln, die müssen wir aufarbeiten. Und nun sagt man: Die Beteiligung am Aufbau der Bundeswehr und eine angebliche 'Exzellenz' wäscht die braune Farbe der Bundeswehroffiziere, die aus der Wehrmacht kamen, sozusagen ab."

Das Einlenken des Verteidigungsministeriums erklärte Pressesprecher Collatz am Mittwoch dann schließlich so: Erst die Debatte habe "dazu geführt, dass wir uns noch mal die Formulierungen angeschaut haben und sie vom Markt nehmen."

Zum Audio: Historiker Jürgen Zimmerer über die geplatzten Ergänzungen im Traditionserlass

Wehrmachts-Soldaten im Schützengraben 1941.
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Wehrmachts-Soldaten im Schützengraben 1941.

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