Gutgelaunt, charmant und redselig betritt Jan B. die Bühne in der Coburger Reithalle. Artig dankt er dem Landestheater für die Möglichkeit, hier seinen Vortrag halten zu dürfen. Doch eines stört ihn gleich zu Beginn: er sei, wie auf den Plakaten zu lesen ist, kein Reichsbürger, sondern ein Selbstverwalter. Und damit kommt der Mann im blauen Anzug und weißem Hemd direkt zur Sache.
- Zur Analyse: Wie Reichsbürger ticken und wie gefährlich sie sind
Freiheit als Einstieg
Der Selbstverwalter will anderen helfen, dafür hält er seit Jahren deutschlandweit Vorträge zum Thema Souveränität. Nach kurzem Smalltalk mit dem Publikum legt Jan B. los, sein Einstieg in den Abend ist die individuelle Freiheit. Im Grunde sei niemand an diesem Abend in der Coburger Reithalle wirklich frei, außer er selbst. Der Grund: Deutschland sei kein freies Land. Für den Selbstverwalter ist klar: es gibt keinen Staat, Deutschland ist immer noch besetzt, wird von einer eingesetzten Scheinregierung verwaltet und ist im Grunde eine GmbH mit geopolitischen Vorteilen für die USA.
Wilder Ritt durch Themengebiete
Daran ändern für Jan B. auch Personalausweise, Beamten und Geldscheine nichts. Da es keinen Staat gebe, fühle er sich diesem eben auch nicht verpflichtet. An dieser Stelle führt der selbsternannte Selbstverwalter geschickt den Komplex Steuern ein. Alle zahlen, aber niemand profitiere davon. Jan B. geht auf Tuchfühlung mit dem Publikum, will Zustimmung. Bei der angeblichen Suche nach dem Verbleib von Steuergeldern hetzt Jan B. durch die Themenbereiche: marode Infrastruktur, Altersarmut, mangelnde medizinische Versorgung, schlechte Bildung und Zuwanderung.
Ton verschärft sich
Nach etwa 20 Minuten lässt der scheinbar freundliche Besserwisser erstmals die Maske fallen, als er von der Angst spricht, ob denn die kleine Fatima auch noch am nächsten Tag in die Schule kommen könne. Oder der Mohammed mit dem Messer. Spätestens jetzt macht sich im Publikum Unbehagen breit. Doch Jan B. gibt weiter Gas. Bei den Themen Bewaffnung und Zuwanderung wird der Ton noch schärfer: "Opfermythos", "Deutsche als Untermenschen", "Abschaum", "Kulturbereicherer". Das freundliche Auftreten des Selbstverwalters ist dahin. Seine Botschaft: sich das Land zurückholen, souverän werden. Kurz danach wirkt Jan B. wieder abgekühlt, als er mit ruhigen Worten erklärt, dass Selbstverwalter ganz normale Menschen seien, die nur einen Schritt weiterdenken.
"Der Reichsbürger" interagiert mit dem Publikum
In der zweiten Hälfte des Schauspiels bezieht Jan B. das Publikum noch mehr mit ein. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen sich auf zwei Tribünen gegenüber, in der Mitte tigert der Selbstverwalter umher. Kurzerhand gründet er an diesem Abend in der Reithalle seinen eigenen Freistaat. Dazu entrollt er ein gelb-schwarzes Absperrband, das die Zuschauerinnen und Zuschauer festhalten. Da der Freistaat Jan auch noch eine Verfassung braucht, lässt er das Publikum per Handzeichen über Punkte wie gleichgeschlechtliche Ehe, Zuwanderung oder Religionsfreiheit abstimmen. Kurz danach folgt ein prompter Abgang ohne Verbeugung.
Auftritt wirkt beim Publikum nach
Das Schauspiel wirkt bei den Zuschauerinnen und Zuschauern nach. Der Applaus ist verhalten, im Foyer der Reithalle folgen viele vertiefte Gespräche. Eine Zuschauerin attestiert Tobias Bode, der den Selbstverwalter Jan B. gespielt hat, eine sehr gute schauspielerische Leistung. Doch der Inhalt seiner Darstellung lässt sie nachdenklich werden. Ein anderer Zuschauer berichtet, ihn habe betroffen gemacht, dass er Teilen der Aussagen innerlich zugestimmt habe, auch wenn er wusste, in welche Richtung es am Ende gehen werde. Seine Begleiterin spricht von einer gewissen Angst, die durch das scheinbar freundliche Auftreten des Selbstverwalters und die gleichzeitige Kälte seiner Aussagen entstanden seien. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer verlassen nachdenklich die Reithalle.
Gelungene Premiere des provokanten Schauspiels
Regisseur Matthias Straub ist nach der Premiere des Schauspiels sehr zufrieden. Der zögerliche Applaus stört ihn nicht. Im Gegenteil, man habe bewusst auf eine Verbeugung verzichtet. An einem solchen Abend solle man das schauspielerische Können nicht honorieren, da sich sonst die Privatfigur Schauspieler mit der Bühnenfigur zu sehr vermische, so Straub. Den gesagten Inhalten wolle man nicht applaudieren. Das Stück ist provokant, das unterstreicht auch der Untertitel "Eine Publikumsverführung". Straubs Anliegen: die Wachsamkeit der Menschen steigern, darauf aufmerksam machen, über welche Kanäle man sich informiert.
Viel Recherche im Vorfeld
Im Vorfeld des Schauspiels haben sich Regisseur Matthias Straub, Schauspieler Tobias Bode und Dramaturgin Cosma Hahne intensiv mit der Thematik und der Bandbreite der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene befasst. Das Spektrum sei sehr groß, so Dramaturgin Cosma Hahne. Es gebe eben nicht eine einzelne Strömung, sondern viele verschiedene. Das Schauspiel sei deshalb auch ein Konglomerat dieser verschiedenen Richtungen, erläutert Schauspieler Tobias Bode. Im Selbstverwalter Jan B. finden sich diese unterschiedlichen Ansätze wieder. Im Vorfeld habe er sich aber auch mit dem Thema Demagogie intensiv auseinandergesetzt, so Bode. Für das Stück sei es wichtig zu wissen, wie man sympathisch bleibe, so dass das Publikum die Figur nicht gleich ablehne. Die Darstellung des Jan B. sei für ihn aber deshalb besonders anspruchsvoll, da das Stück auch von der Interaktion und den Reaktionen aus dem Publikum lebe.
"Der Reichsbürger" bis Ende Mai in Coburg zu sehen
Tobias Bode spielt die herausfordernde Rolle des Selbstverwalters Jan B. sehr überzeugend. Sein knapp einstündiger Vortrag ist geschliffen und rhetorisch beeindruckend. "Der Reichsbürger" von Annalena und Konstantin Küspert ist auch sechs Jahre nach der Uraufführung ein sehenswertes Schauspiel für Interessierte, die Einblicke in verquere und gefährliche Sichtweisen erhalten wollen. Es ist bis Ende Mai in der Reithalle Coburg zu sehen.
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