So ganz kann sich Wladimir Putin offenbar noch nicht in die Gedankenwelt von Donald Trump hineinversetzen. Nachdem der US-Präsident gedroht hatte, den Ölpreis abstürzen zu lassen, um damit Russlands Finanzen (und militärische Fähigkeiten) zu ruinieren, antwortete der russische Präsident (externer Link) in einem Interview: "Er ist nicht nur ein intelligenter Mensch, er ist auch ein pragmatischer Mensch. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Entscheidungen getroffen werden, die der amerikanischen Wirtschaft selbst schaden."
"Er versucht, Trump vom Vorhaben abzubringen"
Aus der Sicht des amerikanischen "Institute for the Study of War" (ISW) klingt das wie das sprichwörtliche Pfeifen im Walde (externer Link): "Putins Versuch, niedrigere Ölpreise als schädlich für die US-Interessen darzustellen, deutet darauf hin, dass er den Schaden fürchtet, den eine solche Politik Russland zufügen würde." Der russische Wirtschaftsexperte Semjon Nowoprudski widersprach (externer Link) energisch: Bei einem stark rückläufigen Ölpreis werde die Schieferölproduktion in den USA unrentabel, ebenso wie die Erschließung neuer Lagerstätten.
Unterdessen meldete die britische Nachrichtenagentur Reuters (externer Link), dass Moskau neuerdings erhebliche Probleme hat, sein Öl an Indien und China zu verkaufen. Beide Abnehmer scheuten die durch die Sanktionen stark erhöhten Transportkosten. Damit nicht genug schlechte Nachrichten für den Kreml: Der zur Hälfte staatseigene Gazprom-Konzern hatte wegen der Absatzkrise Massenentlassungen angekündigt und drängt auf massive Preiserhöhungen im Inland, was vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten träfe. Das alles beunruhigt die tonangebenden russischen Blogger.
"Bedeutungsverlust der Kohle aufschlussreich"
Politologe Dmitri Michailitschenko vertrat die Ansicht (externer Link), Trump wolle einerseits den weltweiten Ölmarkt unter die Kontrolle der USA bringen und andererseits mehrere außenpolitische Ziele gleichzeitig erreichen: "Niedrigere Ölpreise sind auch ein Schlag für den Iran, dem Trump keine Begnadigung in Aussicht gestellt hat. Die USA wollen Teheran aber nicht angreifen, nicht einmal im Bündnis mit Israel. Sie wollen die Wirtschaft abwürgen und einen Aufstand innerhalb der iranischen Gesellschaft provozieren."
Der kremlkritische Blogger Anatoli Nesmijan verwies darauf (externer Link), dass Trump mit einer Absenkung des Ölpreises nicht nur Russland und dem Iran schaden, sondern auch Länder wie Venezuela und Nigeria vom Weltmarkt drängen könnte: "Russland ist dabei nur Zuschauer, nur Objekt. Es ist klar, dass bei einer Schwächung des OPEC-Kartells [mit Hilfe von Saudi-Arabien] alle sofort damit beginnen würden, ihre Produktionsmengen zu erhöhen, in der Erwartung, dass Schurkenländer und solche mit geringen technologischen Fähigkeiten gezwungen sein werden, ihre Präsenz am Markt zurückzufahren."
Der kremltreue Blogger Juri Barantschik (74.000 Fans) fühlt sich angesichts von Trumps Drohungen an das "Drehbuch zur Perestroika" erinnert (externer Link), also an den Zusammenbruch der Sowjetunion. Einerseits wollten die USA den Ölpreis senken, also den russischen Staatshaushalt ruinieren, andererseits müsse Moskau angesichts der Bedrohung durch die NATO selbst nach einem eventuellen Waffenstillstand enorme Investitionen in die Rüstung stemmen: "Von da bis zu Lebensmittelgutscheinen für Nudeln ist es dann nicht mehr weit. Wir müssen die Angelegenheit zu unseren Gunsten entscheiden. Wie lange wird es dauern? Ein Jahr? Zwei? Das spielt keine Rolle."
"Fortsetzung des Krieges um seiner selbst willen"
Wenn es Trump gelinge, den Ölpreis um 30 oder 40 Prozent abstürzen zu lassen, befürchtet ein weniger kriegsbegeisterter Kommentator (externer Link) mit 97.000 Fans für Russland eine Destabilisierung der Gesellschaft: "Infolgedessen würde die russische Wirtschaft bereits im Jahr 2025 in beschleunigtem Tempo aus allen Fugen geraten, und dann werden sich Fragen der äußeren Sicherheit für die meisten Russen als zweitrangig erweisen, was eine Fortsetzung des Krieges nur um seiner selbst willen bedeuten würde."
Allzu viel Zeit habe Putin nicht, argumentiert der Kolumnist des Wirtschaftsblatts "Kommersant" (externer Link), Dmitri Drise: "Russland hat nicht nur seinen Monopolisten-Status verloren, sondern könnte schon in naher Zukunft nicht mal mehr gewöhnlicher Erdgaslieferant für Europa sein. Noch ist es für Europa derzeit wirklich sehr schwierig, ohne russisches Gas auszukommen. Aber dieses Zeitfenster schließt sich vermutlich schon bald. Daher ist es für uns wichtig, es offen zu halten."
Blogger Dmitri Sewrjukow setzt derweil (externer Link) auf die versöhnende Kraft der Symbole: "Angesichts der geopolitischen Lage gibt es solange Hoffnung auf einen Dialog, wie es bei uns [eigenproduzierte] Coca-Cola gibt. Wenn die aus den Regalen verschwindet, ist Trump mit seinem Latein am Ende."
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