1970 schnallte sich die Künstlerin Rebecca Horn einen dünnen langen Stab auf den Kopf und spazierte damit – ansonsten gänzlich unbekleidet – durch die Landschaft. "Einhorn" nannte Horn die Performance, ein kleiner Schmunzler, aber ein großer Schritt in Richtung eines Werks, in dem es in Folge immer wieder genau darum ging: um Körpererweiterungen und Körperwahrnehmung.
Die Ausstellung im Haus der Kunst (externer Link) zeigt Ein- und Doppelhörner, Flügel aller Art oder auch ein paar schwarze Handschuhe, deren Finger zu meterlangen Stäben verlängert sind. Kuratorin Jana Baumann: "Sie nennt das Körperextensionen, die fungieren eigentlich wie Prothesen, wenn man so will, Bandagen, die man anlegt, Hörner, die man auf dem Kopf hat, wodurch man eine andere Haltung annimmt. Aber auch Objekte, die einen steif werden lassen in der Haltung, auch ein Festfrieren also, und da steckt sehr viel drin von körperlicher Reglementierung, von tradierten Rollenvorstellungen, die sie aufbricht."
Ein Dreiklang aus Mensch, Natur, Maschine
Man geht, steht und bewegt sich anders mit diesen Prothesen. Das sieht man vor allem in den frisch digitalisierten Videos ihrer Performances. Und nach diesem Anderen suchten die Künstler seinerzeit. Ab den 80ern setzte Rebecca Horn Motoren ein. Da ist etwa ihre Pfauenmaschine von 1982: Dutzende dünner langer Stäbe, die sich dank Motor auffächern wie die Schwanzfedern eines Pfaus – eine der schönsten Körpererweiterungen des Tierreichs. Der Dreiklang aus Mensch, Tier und Maschine wurde zu einem ihrer wichtigsten Themen. Federn entpuppten sich dabei als ideales Material, erklärt Jana Baumann. "Gerade im Frühwerk ist es sehr spannend, dass das sehr auf das Sensuelle und Taktile hin ausgerichtet ist, Federn als Masken zum Beispiel, wo sich zwei Menschen gegenüberstehen und dem anderen übers Gesicht streicheln."
Körperwahrnehmung heißt immer auch Raumwahrnehmung. Das zeigt sich gut in einer zweiteiligen Spiegelarbeit: ein großer runder Spiegel am Boden und unter der Decke ein etwas kleineres Gegenstück. Beugt man sich über den Spiegel am Boden, sieht man nicht nur sich selbst, man steht zugleich mitten in einem Endlosbild, in dem der beigefarbene Steinfußboden und die markanten Oberlichtfenster im Haus der Kunst plötzlich direkt nebeneinander liegen – und man selbst mittendrin. Durch einen Motor wird der Spiegel am Boden leicht bewegt: Bild, Raum und man selbst beginnen unweigerlich zu wanken: Im Angesicht der Unendlichkeit kann einem hier tatsächlich schwindlig werden.
Rebecca Horn bringt Skulptur in Bewegung
Als Performances und Installationen könnte man die Arbeiten von Rebecca Horn bezeichnen, der Begriff "Choreografien" passt aber viel besser. Denn neben den Bewegungen sind da immer wieder auch Klänge: schräge Geigen, ein berstendes Klavier, durchdringende Glöckchen. Aus dem Rhythmus von Bewegung und Klang ergibt sich ein Tanz. Selbst im landläufigen Sinn statische Arbeiten wirken bei ihr bewegt: Ihre Installation "Inferno" etwa besteht aus neun über- und ineinander gestapelten Metallbetten aus einer Psychiatrie. Aus einem Möbelstück, das mit seinen vier Füßen gemeinhin recht fest auf dem Boden steht, hat Rebecca Horn hier einen Strudel gebaut, der tornadoförmig von der Decke herabzustürzen scheint. Sie versetzt Skulptur in Bewegung. "Natürlich ist das Bett als wichtiger Moment menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod hin sehr bestimmend, oftmals auch von Leid geprägt, in dem Kontext, aus dem die Betten hier entstammen. Und ich glaube, der Künstlerin ist eines zu eigen, nämlich ein großes Moment der Empathie und auch dem menschlichen Leid gegenüber, wir sehen darin auch Blitze, fast schon wie Elektroschläge, das ist auch ein sehr beunruhigendes Werk", so die Kuratorin Jana Baumann.
Rebecca Horn begegnet in dieser Ausstellung als extrem sensible Künstlerin. Die Maschinen bewegen sich oft nur minimal und langsam, die Formen selbst sind reduziert, die Klänge schrill und schräg, aber kurz. Doch die Präzision, mit der das alles gebaut und inszeniert ist, der genaue Blick auf die Materialien, das Gespür für Timing, Themen, Körper ist erstaunlich. In gewissem Sinn könnte man von leisen Arbeiten sprechen, die den Betrachter unweigerlich für seinen eigenen Körper sensibilisieren. Man geht ein bisschen aufrechter aus dieser Schau heraus, als man gekommen ist – auch ohne Horn auf dem Kopf.
Rebecca Horn. Bis 30. Oktober 2024 im Haus der Kunst in München.
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