Die Autorin Marlene Reidel wäre am heutigen Mittwoch 100 Jahre alt geworden. Ihre preisgekrönten Bücher begeistern Kinder weltweit - die New York Times zählte 1960 "Kasimirs Weltreise" zu den zehn besten Kinderbüchern. Aufgewachsen ist die Schriftstellerin in einer idyllischen, aber auch abgelegenen Einöde auf dem niederbayerischen Land in der Nähe von Landshut.
Marlene Reidel hat in Obergangkofen gemalt, geschrieben, illustriert
"Kasimirs Weltreise" handelt von einem kleinen Jungen, der am Fenster steht, den Vollmond anschaut und denkt, das sei ein Luftballon, auf den er aufsteigen und davonfliegen könne. Das Buch erhielt 1958 den Deutschen Jugendbuchpreis. Marlene Reidel war selbst Mutter von sechs Kindern - trotzdem fand sie Zeit zum Schreiben und Illustrieren, in ihrem Haus nahe Landshut.
Es ist ein unscheinbarer Bau im beschaulichen Obergangkofen bei Landshut. Von außen ist kaum zu erkennen, dass sich hinter der schweren Eisentür eine andere Welt eröffnet. Die Welt von Marlene Reidel. In ihrem Atelier bei Landshut erinnert heute noch alles an sie. Hier hat sie gemalt, geschrieben, illustriert - und so weltweit Bekanntheit erlangt. An diesem Dezembertag strahlt die Sonne durch die bodentiefen Fenster - und damit strahlen auch Marlene Reidels Bilder von der Wand. Sohn Franz Reidel erinnert sich: "Sie war eine sehr introvertierte Person, hat viel für sich gelebt, allein in ihrem Atelier. Und wir waren draußen und haben gespielt."
Vielfältiger Stil Reidels: Stillleben, Linolschnitte, Wimmelbilder
Festlegen auf einen Stil lässt sich Reidels Werk nicht. Sie malt Stillleben von Flaschen und Gläsern, fertigt Linolschnitte an, illustriert Wimmelbilder. Ihre Kinder sind es, die Marlene Reidel inspirieren - als Malerin, vor allem aber als Autorin. Es entstehen unzählige Geschichten, veröffentlicht in mehr als 100 Büchern. Wie sie entstehen, hat Marlene Reidel vor vierzig Jahren im Gespräch mit ihren Kindern beschrieben.
"Erst waren es Erinnerungsfetzen. Die hab ich ausgebaut. Dann habt ihr wieder etwas dazu gegeben. Und so sind das unsere Geschichten geworden." Autorin Marlene Reidel
Es sind grenzenlose Erfolgsgeschichten. "Kasimirs Weltreise" - preisgekrönt in New York. "Anna und die Weiherhex" - ausgezeichnet in Tokio. Geschrieben wurden sie alle daheim, in der Nähe von Landshut. Die Charaktere sind oft ihren fünf Töchtern oder ihrem Sohn nachempfunden. Wenn sie heute eines von Reidels Büchern aufschlagen, erkennen sie sich sofort wieder. "Hier, das bin ich. Und das bist du", heißt es von den Geschwistern. "Und ich war immer die allerschönste Prinzessin."
Familie Reidel verbringt ihr ganzes Leben in Niederbayern
Reidels Werk ist eine Würdigung ihrer Liebsten. Und ihrer Heimat Landshut. Hier verbringt die Familie ihr ganzes Leben. Die Malerin und der Bildhauer an ihrer Seite. Karl und Marlene Reidel sind Zeit ihres Lebens ein bekanntes Künstlerpaar, beeinflusst von ihrer Umgebung, der Architektur und der Natur.
"Sie hat hier in Niederbayern gelebt und sehr viel daraus geschöpft. Sie hat auch in ihren Linolschnitten die Kirchtürme gemacht, auch die Farbkomposition - das ist Herbstlaub und das Grün. Ich bin letztes Mal durch die Landschaft gelaufen und hab lauter Marlene-Bilder gesehen", erzählt ihr Sohn Franz Reidel. Ein exaktes Abbild der Wirklichkeit sind diese "Marlene-Bilder" jedoch nie - nach dem Krieg entdeckt sie im Studium den Impressionismus für sich, verbindet in ihrer Malerei fortan Umwelt und die eigene Fantasie. Was sie sieht - viel mehr aber: wie sie in ihrer Umgebung sieht, erklärt Tochter Antonia: "Meine Mutter hat einfach wahnsinnig viel Fantasie gehabt. Und sie hat jedem den Mut gegeben, selber Fantasie zu haben. Emphatisch zu sein, sich in andere reinzuversetzen."
Marlene Reidel stirbt 2014: Grundschule wird nach ihr benannt
2014 stirbt Marlene Reidel, im gleichen Jahr wird die Grundschule in Kumhausen bei Landshut nach ihr benannt. Schulleiterin Christine Rhöse-Schmidt verbindet damit den Auftrag, die Botschaft von Marlene Reidel weiterzugeben: "Jedes Kind darf so sein, wie es ist. Und da sind auch Charaktere in diesen Kindern versteckt. Das gefällt mir persönlich am besten. Dass da nie versucht wird, die Kinder zu verändern, sondern dass die Kinder ihr Leben so leben dürfen."
Mit Fantasie, so Marlene Reidel, könne sich jedes Kind eine eigene Welt erschaffen. Auch die Erwachsenen, man muss sie nur lassen. Dabei helfen können Reidels Illustrationen, die bis heute im Landshuter Kasimirmuseum zu sehen sind - oder nach Vereinbarung im Künstlerhaus Reidel in Obergangkofen.
💡 Hintergrund:
Marlene Reidel zeichnete ihre Vielfalt aus: Sie zählt zu den großen Autorinnen der zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur, feierte aber auch als Grafikerin und Illustratorin Erfolge. Neben ihrer Arbeit als Kinderbuchautorin war Marlene Reidel in den 1960er-Jahren als Bühnenbildnerin für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg tätig. Nach Schule und Lehrzeit in einer keramischen Werkstatt hatte sie an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert, wo sie den Bildhauer Karl Reidel kennenlernte, den sie 1948 heiratete. Werke der Künstlerfamilie Reidel sind in ganz Bayern zu finden. Vier Kinder des Paares arbeiten ebenfalls in künstlerischen Berufen: Beate Rose als Malerin und Fotografin, Julia und Eva Reidel als Goldschmiedinnen sowie Antonia Reidel als Schauspielerin. Begraben ist Marlene Reidel im Friedhof von Obergangkofen (Gemeinde Kumhausen, Landkreis Landshut).
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