Der russische Präsident am Schreibtisch
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Allein im Kreml: Wladimir Putin

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"Neue Runde von Machtkämpfen": Putins Kehrtwende verwirrt Eliten

"Neue Runde von Machtkämpfen": Putins Kehrtwende verwirrt Eliten

Der Kreml mäßigt seine Rhetorik und lässt zu, dass Kolumnisten demonstrativ die Vorteile des Friedens preisen. Das empört Ultrapatrioten und droht den inneren Machtzirkel zu destabilisieren, so Beobachter, die "Orientierungslosigkeit" fürchten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Putin will sich weder an der Nase herumführen lassen, um dann [vor dem Internationalen Strafgerichtshof] in Den Haag zu landen, noch will er sich von lächelnden 'Freunden' Nahrungsergänzungsmittel in seinen Tee mischen lassen. Unser Präsident sollte dringend die Sicherheitsbestimmungen verschärfen lassen)", schimpft der russische Ultrapatriot Igor Skurlatow (515.000 Fans) und nennt alle Landsleute, die für Verhandlungen mit den USA und der Ukraine eintreten "Verräter" und "Kriminelle".

"Kampf der Lobbyisten" befürchtet

Das jüngste Telefonat zwischen Donald Trump und Putin kommt bei russischen Rechtsradikalen gar nicht gut an. "Was wir brauchen, ist nicht Trumps Gnadenakt, sondern einen Sieg. Den wird uns niemand schenken", so Alexander Dugin (78.000 Follower), ein extremistischer "Philosoph", der auch gern als Chefideologe des Kremls bezeichnet wird.

Militärblogger Schiwoff (113.000 Fans) sagt einen "Kampf der Lobbyisten" im Kreml voraus. Britische oder chinesische "Einflussagenten" seien gewiss gegen eine baldige Verständigung mit der Ukraine, aber die "riesige Menge amerikanischer Interessenvertreter" in Putins Umfeld werde letztlich den Ausschlag geben. Die Reaktion von Militärblogger Roman Aljechin (196.000 Fans): "Es spielt überhaupt keine Rolle, welche Lobbyisten gewinnen, denn all diese Lobbyisten denken nicht an Russland und seine Bevölkerung, sondern an ihre eigenen, egoistischen Interessen."

"Nicht alle auf Wende vorbereitet"

Die zaghaften Annäherungsversuche zwischen Washington und Moskau drohten Teile der russischen Elite in gehörige Verwirrung zu stürzen, argumentiert der Kolumnist des Wirtschaftsblatts "Kommersant", Dmitri Drise: "Es ist klar, dass möglicherweise nicht alle wichtigen Akteure auf dem russischen Schauplatz auf eine solche Wende der Ereignisse vorbereitet sind." Wenn nicht alles täusche, bereite sich der Kreml darauf vor, die bisherige "Parteilinie" zu korrigieren und sich von den bisher viel gepriesenen "traditionellen Werten" zu verabschieden.

"Dem Kreml droht Destabilisierung"

"Generell bringt das die Gefahr neuer Orientierungslosigkeit unter den Eliten mit sich, sowie eine neue Runde im Kampf um den 'Platz an der Sonne'", so Drise. Das Hauptproblem seien Trumps Wankelmütigkeit und Impulsivität. Wenn sich herausstellen sollte, dass er es mit Putin doch nicht so gut meine, wie derzeit spekuliert werde, drohe dem Kreml eine Destabilisierung und eine "ernste Gefahr des Systemungleichgewichts", weil die Eliten mit dem Tempo der Kehrtwenden überfordert seien.

Um die politische Balance im Kreml fürchtet auch Polit-Blogger Dmitri Sewrjukow. Eine Rückkehr zur früheren Normalität sei schlicht unmöglich, dass beide Seiten gleichermaßen nachgäben, undenkbar: "Im Chaos und Nebel des Geschehens kann man nicht nur die Sicht, sondern auch das Gleichgewicht leicht verlieren, und so kann man in einen vielschichtigen diplomatischen Prozess mit einer bestimmten Annahme einsteigen, aber tatsächlich mit völlig anderen Ergebnissen herauskommen."

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"Wir sollten nicht vergessen, dass ein so überstürztes Herumwerfen des Ruders Konsequenzen hat und dass die bekannte Wahrheit - Eile mit Weile - immer noch gilt", warnte ein weiterer Blogger mit Blick auf die Euphorie mancher Beobachter über einen nahenden Waffenstillstand: "Wir stehen am Beginn einer neuen Ära von Unruhen und internen Machtkämpfen, und die Zukunft unserer Außenpolitik bleibt undeutlich. Dabei ist zu bedenken, dass jeder Schritt unvorhersehbare Konsequenzen für das gesamte System haben kann."

"Was passiert, ist besorgniserregend"

Für den Politologen Ilja Graschtschenkow hat Putin seine "Wette" gewonnen, im Ukrainekrieg länger durchhalten zu können als Europa: "Noch ist aber unklar, wie sich das in Zukunft auswirken wird."

Kollege Andrei Nikulin rätselte: "Was passiert, ist leider Besorgnis erregend. Man muss sich nur die in Panik geratenen europäischen Politiker anschauen, die nicht verstehen, was vor sich geht." Er fragte sich, was Putin Trump wohl insgeheim angeboten habe und rechnet mit dem "Beginn einer neuen Weltordnung", die viel unangenehmer sein werde als die derzeitige "unansehnliche Realität": "Obwohl es jetzt so aussieht, als könnte es nicht schlimmer kommen."

Als Indiz dafür, dass der Kreml seine harsche Rhetorik hinter sich lasse, wurde eine Analyse des russischen Ex-Finanzministers und Bankers Michail Sadornow im Wirtschaftsblatt RBC genannt: "Alles deutet darauf hin, dass die Chance besteht, die inzwischen drei Jahre andauernden Feindseligkeiten zu beenden." Sadornow warnte vor einer Fortsetzung des Kriegs und zog das Fazit: "Für Russland bedeutet das Ende der Spezialoperation, dass Leben gerettet werden, die Zahl der Arbeitskräfte steigt, und zwar ziemlich schnell, die Inflation durch einen ausgeglichenen Haushalt besiegt wird, der Rubel etwas gestärkt wird und Mittel für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung zur Verfügung stehen."

Meldungen, wonach die russische Zentralbank ihre Inflationsprognose verdoppelte und die Goldvorräte des Nationalen Wohlfahrtsfonds um 70 Prozent geschrumpft sind, dürften ebenfalls darauf abzielen, eine gewisse Verständigungsbereitschaft zu signalisieren.

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