In Martin Weinharts Dokumentation "Fragmente aus der Provinz" finden sich immer wieder schwer verdauliche Hasstiraden, etwa über "Fake-Asylanten", die "Europa vollmüllen". Der Regisseur porträtiert darin die Gemeinde Kloster Veßra in Thüringen, traurig berühmt als "Nazi-Dorf". Dieser Titel geht vermutlich auf ein Gasthaus im Ort zurück: Der "Goldene Löwe" ist seit Jahren ein rechtsextremer Treffpunkt, weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt.
Wolf im Schafspelz
Das Problem des Films: Der Betreiber Tommi Frenk und die Mitarbeiter der Gaststätte geben sich oftmals lammfromm, wenn sie vor der Kamera stehen und lassen nur vereinzelt ihre rechtsradikalen Ansichten durchschimmern; etwa beim Krafttraining oder beim Abwasch.
Und genau darin – in der ach so harmlosen Art, der Anbiederung an die gesellschaftliche Mitte – liegt die Gefahr für die Demokratie, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Grund genug für das Münchner Dok.fest, ein Schlaglicht auf die Gefährder der europäischen Demokratien zu werfen, in all ihren Ausprägungen: von Parteien bis hin zu kleineren Gruppen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn, Österreich, Russland und Norwegen.
Parallelen und Unterschiede
So wie etwa die Organisation SIAN in Norwegen, kurz für "Stoppt die Islamisierung von Norwegen". Deren Überzeugung scheint, allein aufgrund des Namens, relativ klar: Muslime seien von Grund auf böswillig und schuld am Zustand des Landes. Daher sollten sie so schnell wie möglich ausgewiesen werden.
Bereits zu Beginn macht das Regie-Duo aus Bård Kjøge Rønning und Fabien Greenberg in seinem Film "Norwegian Democrazy" deutlich, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist. Als eine Gruppe von SIAN eine Kundgebung veranstaltet, werden sie von vermummten Personen brutal angegriffen – die Polizei muss einschreiten. Momente wie diese entstehen in den knapp 90 Minuten Laufzeit gefühlt alle zehn Minuten.
Bis an die Grenze des Gesetzes
Der Konflikt zwischen Neo-Nazis und den anderen Bewohnern im Dorf in Thüringen ist im Vergleich zu solchen Szenen zwar unterschiedlich gelagert, aber nicht weniger schlimm. So sind beide Dokumentationen nur schwer zu ertragen: Sie zeigen detailliert auf, wie Verfassungsfeinde und Rassisten bis an die Grenzen des Gesetzes gehen, um ihre Botschaften unter die Menschen zu bringen. Gerade junge Menschen rücken oft ins Visier der porträtierten Gruppierungen, insbesondere durch Social Media. Eine problematische Entwicklung, die auch Regisseur Martin Weinhart umtreibt: "Das macht mir tatsächlich Sorge, weil man verliert junge Leute aus dem Konsens, über den wir uns 70 Jahre hier, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, verständigt haben, in Deutschland."
Dadurch, dass "Fragmente aus der Provinz" und "Norwegian Democrazy" auf eine kritische Einordung verzichten, sondern meist nur beobachten, bleibt die Sorge, ob die Regisseure den beleuchteten Akteuren dadurch nicht einfach nur eine weitere Bühne gegeben haben. Den Rechten entgegenzutreten, wird anderen überlassen, denn – auch das eine Gemeinsamkeit – die Zivilgesellschaft positioniert sich in beiden Ländern weiterhin stark gegen Rassismus und Ausgrenzung. So begleiten die Regisseure in "Norwegian Democrazy" einen jungen Aktivisten, der SIAN nur mit Worten anstatt mit Fäusten entgegentritt und sagt: "Ich denke, dass es wichtig ist, bei den Protesten zu sein. Ich möchte SIAN nicht verbieten. Es ist besser, wenn Menschen dort auftauchen, um sie zu stoppen. Denn dann mobilisierst du die Leute."
Wo beginnt Hetze?
Zwar hat es das Publikum mit zwei verschiedenen westeuropäischen Ländern zu tun, in beiden Filmen geht es aber um ähnliches: Wie steht es um die Demokratie in Europa? Und: Was fällt noch unter die Meinungsfreiheit und was ist Hetze oder rassistisch? Keine dieser Frage ist neu – doch in der aktuellen, politisch aufgeheizten Stimmung dieser Tage bekommen sie eine Brisanz wie selten zuvor. Auch wenn beide Werke nicht rundherum gelungen sind und immer wieder ein flaues Gefühl im Magen verursachen, sollte man sie gesehen haben.
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